profil: Sie haben ein Gutteil ihres Lebens auf Tour, in fremden Ländern und Städten verbracht. Die Viruskrise muss Sie hart getroffen haben.
Cat Power: Letztes Jahr hatte ich gerade noch 30 Dollar auf meinem Konto, war trotz Impfung an Corona erkrankt und konnte nicht auftreten. Die Band Garbage hat mich anschließend mit auf Tour genommen und ich konnte jeden Abend vor 5000 Menschen spielen. Das hat mich gerettet.
profil: Jahrelang hatten Sie mit Lampenfieber zu kämpfen. Fällt Ihnen das Livespielen heute leichter?
Cat Power: Es war ein Kampf. Ich habe mich lange Zeit nicht als richtige Musikerin gesehen, kannte mich mit Akkorden nicht aus. Als junge Frau habe ich mich geschämt, auf die Bühne zu gehen. Zudem hatte ich mit psychischen Problemen und meiner Alkoholsucht zu kämpfen. Ich musste mich erst selbst akzeptieren, dann hat es auch mit den Konzerten geklappt. Wir alle brauchen Hilfe und müssen lernen, danach zu fragen. Heute schäme ich mich nicht mehr.
profil: Sie leben seit fast 20 Jahren in Miami. Wie haben Sie die Pandemie erlebt?
Cat Power: Die Ungewissheit war das Schwierigste, die Frage, ob wir das überleben werden. Meine Großmutter, die mich mein ganzes Leben lang begleitet hat, ist kurz vor dem ersten Lockdown gestorben. Ich habe eine Autoimmunerkrankung und musste mich mit meinem Sohn und meinen Hunden isolieren. Ich bin keine Lehrerin, aber ich habe versucht, ihm während dieser Zeit das Lesen und Schreiben beizubringen.
profil: Auf dem Cover Ihres Albums lugt ein Reisepass aus einer Hemdtasche. Leiden Sie unter Fernweh?
Cat Power: Der Pass bezieht sich auf die Songs, die ich da eingespielt habe und mit denen ich gerne reise, es sind alles Coverversionen. Es ist kein Zufall, dass man sich als junge Musikerin schon nach der ersten Gitarrenstunde an „Stairway to Heaven“ versucht. In der Musik spiegelt sich die Menschheit, sie hält uns zusammen, wir sind durch sie verbunden.
profil: Sie covern Songs von Frank Ocean, Lana Del Rey und Billie Holiday. Was suchen Sie in diesen Liedern?
Cat Power: Als Kind singt man Lieder nach, ohne sich Gedanken darüber zu machen. Ich wähle die Lieder nicht aus, sie kommen zu mir. Mit dem Musiksender MTV wurde nicht nur der moderne Popstar geboren, sondern auch die Tradition des Cover-Songs zu Grabe getragen. Plattenfirmen haben gemerkt, dass es reicht, wenn man mit wenigen Superstars – damals waren es Madonna, Michael Jackson oder Billy Idol – Millionen verdienen kann. Plötzlich brauchte man stets frischen Content, neue Künstlerinnen und Künstler, um unentwegt Veröffentlichungsrechte zu generieren. Es ist schön zu hören, dass im Hip-Hop wieder viel zitiert wird, alte Musik am Leben erhalten wird.
profil: Fragen Sie sich, was die Leute, deren Songs Sie nun singen, über Ihre Interpretationen denken?
Cat Power: Nein, das ist für mich wie Redefreiheit. Wenn man einen Song veröffentlicht, gehört er nicht mehr nur denen, die ihn geschaffen haben, er gehört uns allen. Das ist durchaus tröstlich. Die Menschen sterben irgendwann, aber ihre Lieder sind noch da.
profil: Auf ihrem aktuellen Album covern Sie sich auch selbst. Aus dem Song „Hate“ von 2006 wurde jetzt „Unhate“.
Cat Power: Das habe ich mir bei Bob Dylan abgeschaut. Er interpretiert sich bei Konzerten immer wieder neu. Als ich erfahren habe, dass ich schwanger war, standen Konzerte in Europa, den USA und Südamerika an. Live hat sich mein Lied „Hate“ dann nicht mehr richtig angefühlt; ich wollte nie wieder über diese dunkle Zeit, diese psychischen Probleme singen.
profil: Hat sich Ihr Songwriting verändert, seit Sie Mutter geworden sind?
Cat Power: Es hat mich furchtloser werden lassen.
profil: Ist Ihnen wichtig, wie sich die Menschen an Ihre Musik erinnern werden?
Cat Power: Nein, seit ich ein Kind habe, mache ich mir darüber keine Gedanken mehr. Ich wollte einst Schriftstellerin werden, später Journalistin, wollte die Welt kennenlernen und mit Menschen in Krisengebieten sprechen. Heute weiß ich, dass es meine Aufgabe ist, auf der Bühne meine persönlichen Geschichten in Songs zu fassen und zu erzählen.
Cat Power, 50
Aus privaten und künstlerischen Krisen musste sich Chan Marshall, wie Cat Power mit bürgerlichem Namen heißt, oft spielen. Die 1972 in Atlanta geborene Singer-Songwriterin hat sich nach Anfängen im Indierock der 1990er-Jahre als zentrale Stimme einer neuen Folk-Musik etabliert; sie schuf moderne Klassiker („The Greatest“, 2006) versuchte sich an elektronischer Musik („Sun“, 2012) und brach infolge künstlerischer Differenzen mit ihrer alten Plattenfirma („Wanderer“, 2018). Mit ihrer dritten Songsammlung „Covers“ bleibt sie ihrer Leidenschaft für unkonventionelle Interpretationen treu, präsentiert Klassiker in neuem Licht. Für den Sean-Penn-Film „Flag Day“ (2021) hat sie zuletzt den Soundtrack mitgestaltet.
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