Cellist Lukas Lauermann: Ausgeschlachtet und neu aufgebaut
Lukas Lauermann ist immer irgendwo dazwischen. Konzerte von Deutschland bis China, Studiotermine und Performances, Auftragsarbeiten für Filmsoundtracks. Gerade erst ist der Cellist von einem Konzert aus Lissabon zurück nach Wien gereist; gemeinsam mit der Singer-Songwriterin Alicia Edelweiß hat er bei einer Musik-Expo sein Heimatland vertreten. Auf einen Espresso trifft man den 37-Jährigen nun, ganz in Schwarz gekleidet, streng-freundlicher Blick, an einem frühlingshaften Tag Ende Oktober im Café Heumarkt, nur einen Steinwurf vom Wiener Stadtpark entfernt.
Der stille Star der österreichischen Musiklandschaft, der zwischen Alternative-Pop und zeitgenössischer Klassik pendelt, lebt einen künstlerischen Widerspruch: Man kennt Lauermann so gut, weil er sich lange Jahre nicht in den Vordergrund spielen wollte, dabei scheint kaum eine heimische Pop-Produktion ohne ihn auszukommen. Als Cellist war Lauermann fixes Bandmitglied der Wiener Indierock-Vordenker A Life, A Song, A Cigarette, er spielt aktuell mit der Jazz-Formation Donauwellenreiter – und ist bei Wanda und Gelitin, Soap&Skin und dem Nino aus Wien zu hören. Unter anderem. Zuletzt schrieb er die Musik für die heimische Kinodoku „Alpenland“ des Kärntner Regisseurs Robert Schabus.
Und hier kommt „Interploitation“, sein drittes Solo-Album ins Spiel, für das Lauermann erstmals nicht sein Cello in die Hand genommen hat. Für die neuen Tracks hat er bereits existierendes Material, minimalistische Cello-Stücke, die er für „Alpenland“ eingespielt hat, bis zur Unkenntlichkeit verändert, hat Töne und Spuren neu zusammengesetzt und durch elektronische Effektgeräte gejagt, wie er im Gespräch erklärt: „Wie der Mensch in die Natur eingreift und ihr vieles entnimmt, so schlachte ich diese Aufnahmen aus.“ Die vorherrschenden Themen – Massentourismus, Naturausbeutung, Klimawandel – beschäftigen ihn seit Jahren. „Es braucht eine radikale Veränderung“, meint er ohne Umschweife, was unsere Lebensweisen, unseren Konsum und Verbrauch angehe. Am Ende, so Lauermann, wird es aber große politische Entscheidungen brauchen, um der Welt nachhaltig Gutes zu tun. “Neue Technologien werden uns nicht retten.”
Ein Cellist ohne Cello? Für ihn sei es ein radikaler Schritt gewesen, sein Hauptinstrument (Lauermann spielt auch Klavier und Gitarre) diesmal im Koffer zu lassen und nur die Elektronik zu bedienen, erzählt er. „Interploitation“ (der Titel setzt sich aus den Wörtern interference, intervention und exploitation zusammen) soll zum Nachdenken darüber anregen, wann ein Eingriff zur „Ausbeutung“ wird, wann er notwendig ist, um Positives zu bewirken – oder einfach nur zerstörerisch ist. Ergebnis: neun elektronische Klangminiaturen, die sich bewusst dissonant und verspielt geben, in denen Störgeräusche (es knackt, knistert und rauscht) und lose Sound-Fragmente miteinander agieren. Auf „Interploitation“ werden musikalische Brücken gebaut und sofort wieder eingerissen; sicher sollte man sich hier, zwischen erbaulichen und bedrohlichen Klängen, nicht fühlen.
Auf Zerstreuung und schnöden Eskapismus will Lauermann auch im Jahr der multiplen Krisen nicht setzen. Es komme schon vor, sagt er noch, dass sich sein Publikum etwas anderes von einem Lauermann-Konzertabend erhoffe, sich vielleicht gemütlich in die “musikalische Badewanne” legen würde. Aber “den schönen Abend, bei dem man alles vergessen kann“, wolle er keinesfalls bieten.
Lukas Lauermann: Interploitation (col legno)
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