Cellist Lukas Lauermann: „Ich hätte mir das früher nicht zugetraut“
Emojis, Gifs und Chats sind nicht die Welt des Lukas Lauermann. Dieser Tage ist der Cellist auf einer zweiwöchigen Tour durch China. Die Kommunikation mit den Klubbetreibern führte Lauermann per WeChat. "Sie können schon Englisch. Aber lieber ist ihnen natürlich, wir kommunizieren auf Chinesisch. Das Programm hat das für mich übersetzt. Und wenn ein Termin fixiert war, ist von den Veranstaltern oft eine tanzende Figur oder ein Gif als Antwort gekommen", erzählt der 33-jährige Cellist kurz vor seinem Abflug im Gastgarten des Café Rüdigerhof am Wiener Naschmarkt. "Chats habe ich nie verstanden. Dafür bin ich mit meinem Zweifingersystem beim Schreiben zu langsam. Da kommen schon drei neue Fragen, bevor ich eine beantwortet habe. Musik ist sicher das geeignetere Mittel, um mich auszudrücken."
Musikalisch ausgedrückt hat sich Lauermann in den letzten zehn Jahren auf vielfältige Weise. Als Cellist bei den Bands „A Life, A Song, A Cigarette" und „Donauwellenreiter", an der Seite von „Soap&Skin", als Gastmusiker bei „Tocotronic" oder als Komponist von Theater- und Filmmusik. Ende letzten Jahres hat der 33-Jährige mit „How I Remember Now I Remember How“ schließlich sein erstes Soloalbum veröffentlicht, in dem er die Grenzen zwischen klassischem Cellospiel und Elektronik auslotet.
Mit profil hat Lauermann über Sehnsüchte, die Bühne als politischen Ort, Euphorie und seine Metalvergangenheit gesprochen.
Interview: Stephan Wabl
profil: Musiker, mit denen Sie arbeiten, beschreiben Sie als sehr ruhigen Menschen. Liegt das am klassischen Instrument? Lukas Lauermann: Ich bin als Mensch sicherlich ruhig. Das ist mir auch wichtig, weil es auch Phasen in meinem Leben gab, in denen das anders war und ich mich nicht rausgesehen habe. Da werde ich dann unruhig und mir geht es nicht so gut. Das kommt sicher auch von einer gewissen Ernsthaftigkeit, mit der ich die Dinge betreibe. Bevor ich etwas sage, denke ich darüber nach. Das fordert Pausen.
profil: Aus welchen Dingen haben Sie sich nicht rausgesehen? Lauermann: Das waren Phasen, in denen sich sehr viel getan hat und ich das noch nicht gewohnt war. Zum Beispiel was die Organisation von Auftritten betrifft und mehrere Sachen an einem Tag waren. Das funktioniert nicht lange und hat mir auch nicht gutgetan. Aber mittlerweile habe ich gelernt, Termine in einen Kalender einzutragen, ganz altmodisch auf Papier.
Es hat ein paar Jahre gebraucht, bis ich soweit war, meine eigenen Ideen umzusetzen.
profil: War das auch der Grund, warum es gedauert hat, um von der Zusammenarbeit mit anderen Musikern zu Ihren eigenen Stücken zu kommen? Lauermann: Es war mehr die künstlerische Dringlichkeit, die langsam gewachsen ist. Es hat ein paar Jahre der Mitarbeit bei Bands und anderen Projekten gebraucht, bis ich soweit war, meine eigenen Ideen umzusetzen. Natürlich muss man sich das auch trauen. Mit dem Soloalbum habe ich begonnen, als ich das Gefühl gehabt habe, dass ich Möglichkeiten mit dem Cello gefunden habe, die für mich neu sind und bei denen ich das klassische Cellospiel durch Elektronik erweitern kann. Dafür habe ich mir auch bewusst Zeit genommen. Ich wollte mich nicht zwischen zwei Konzerten von unterschiedlichen Bands kurz hinsetzen und etwas hinfetzen, das mir zwar ganz gut gefällt, aber in Wahrheit von nichts kommt und nichts zu sagen hat.
profil: Woher kommt Ihr Soloalbum? Was erzählt es? Lauermann: Einerseits geht es darum, wie sich unterschiedliche Dinge und Formen bereichern und nicht ausschließen. Die Stücke auf meinem Album sind sehr unterschiedlich. Sie wurden auch in vier verschiedenen Räumen aufgenommen. Es gibt sehr schöne, harmonische und choralartige Stücke. Und dann gibt es Elemente, die das Schöne wieder zerstören. Als ich die ersten Stücke angegangen bin, hat zudem der große Schwung der Flüchtlingskrise begonnen. Das hat mich auch beschäftigt: Wie begegnet man diesen Menschen, die Schutz und Hilfe suchen? Hat man Angst vor dem Fremden oder versteht man es als Bereicherung und versucht, in einen Dialog zu kommen.
profil: Wie haben Sie diese Themen musikalisch verarbeitet? Lauermann:Bei diesen Stücken waren häufig Sätze aus Gedichten oder Kurzgeschichten Ausgangsbasis für mich. Manche Sätze habe ich mit mir herumgetragen und über die Zeit verarbeitet. Zum Beispiel den Satz „Könnte mein Herz denken, stünde es still“. So ging es mir emotional manchmal, als ich Aussagen von diversen Politikern gehört habe, die inzwischen auch an der Macht sind. Beim Albumtitel „How I Remember Now I Remember How“ ist das ähnlich. Das hat etwas Unfassbares für mich, weil ich nicht genau fassen kann, was es für mich bedeutet. Mir ist es darum gegangen, ein Gefühl der Machtlosigkeit auszudrücken. Weil ich das Gefühl hatte, dass sich Dinge – auch historisch – wiederholen, von denen ich dachte, dass sie nie wieder passieren würden. Das Aufziehen von Grenzen zum Beispiel.
profil: Sind Grenzen ein zentrales Thema für Sie? Musikalisch und politisch? Lauermann: Scheint so, denn ich bringe es immer wieder auf. Ich schätze es sehr, dass ich sehr viel unterwegs sein kann. Daher verstehe ich das Bestreben nicht, sich einkasteln und abschotten zu wollen. Ich mag eher raus und viel kennenlernen. Alles was das verhindert, finde ich nicht gut. Und musikalisch gibt es für mich sowieso keine Grenzen. Diese Offenheit ist mir wichtig. Das Ausloten von technischen Möglichkeiten, die etwas mit der Musik und dem Gestalten machen und Neues entstehen lässt, das emotionale Kraft hat.
Ich finde es wichtig, Position zu beziehen.
profil: Sie haben sich bei Ihrem Konzert beim Popfest in der Karlskirche über aktuelle politische Entwicklungen geäußert. War das eine Überwindung? Lauermann: Nein, Überwindung war es keine. Aber vor ein paar Jahren hätte ich mir das noch nicht zugetraut. Da habe ich bei Konzerten nie gesprochen, habe durchgespielt und war der Meinung, die Musik muss alles sagen. Das ist sehr romantisch gedacht. Aber was ich bei einem Konzert sage, ist Teil der Musik und es ist gut, eine Brücke zum Publikum zu schlagen. Als ich letztes Jahr angefangen habe, mein Soloalbum zu präsentieren, habe ich auch begonnen, mehr als nur „Danke“ und „Schön war’s“ zu sagen. Das schafft eine Verbindung und ergänzt die Musik.
profil: Halten Sie es für wichtig, dass Künstler sich zu gesellschaftlichen Themen zu Wort melden? Lauermann: Ich finde es wichtig, Position zu beziehen und nicht daran zu denken, ob man dadurch keine Förderung mehr bekommt. Nur zu schweigen und zu denken, Kunst ist etwas Überhöhtes im Elfenbeinturm führt nirgendwo hin. Mein Publikum ist auch selten schockiert, sondern fühlt sich eher bestätigt in seiner Meinung. Das tut manchmal auch gut, wenn einem bewusst wird, dass man nicht alleine ist und viele Menschen ähnlich denken.
profil: Sie spielen sehr viele unterschiedliche Konzerte in nächster Zeit: In China, Palästina oder der Steiermark. Da liegen Welten dazwischen. Ändert sich dabei Ihr Zugang? Lauermann: Vor allem ändert sich die Perspektive. Je weiter ich aus Österreich wegkomme, desto weniger wird über Österreich geredet. Das ist schon auch ganz gesund. Gerade, wenn immer wieder behauptet wird, dass so wie wir das hier in Österreich machen, es richtig ist. Sieht man dann, wie weit weg es auch ganz anders geht und die Menschen gut leben können, ist das spannend. Der andere Aspekt ist der künstlerische. Wenn ich unterwegs bin, merke ich, dass ich künstlerisch natürlich auch in einer Blase lebe. In China relativiert sich das. Es tut mir gut, immer wieder daran erinnert zu werden.
profil: In der Beschreibung zu Ihrem Album ist viel die Rede von Erinnerung, Empfindungen und Sehnsüchten. Sind das die emotionalen Räume, in denen Sie sich bewegen? Lauermann:Die Frage ist: Woraus will ich schöpfen? Es geht mir persönlich ganz gut. Ich kann also nicht aus meinem großen Leid schöpfen. Ich beschäftige mich eher damit, was ich wahrnehme und was um mich herum passiert. Ich beschäftige mich auch mit bildender Kunst. Das Nachdenken darüber lässt in letzter Konsequenz auch musikalisch etwas in mir aufkommen. Es gibt einen schönen Satz des Malers Mark Rothko: „Kunst ist eine an andere gerichtete Kommunikation über die Welt“. Es geht allerdings weniger um meine Sehnsüchte, sondern darum, was ich durch die Beschäftigung mit der Welt um mich ausdrücken möchte und wie es die Zuhörer hören, sich damit auseinandersetzen und darin für sich etwas finden.
Im Optimalfall packt es mich selbst nach wie vor sehr.
profil: Wenn Sie Ihre Stücke spielen, was tut sich da bei Ihnen? Lauermann: Ich bin im Normalfall immer sehr im Spielen drinnen. Obwohl, immer ist übertrieben. Wenn man sehr oft spielt, wäre es gelogen zu sagen, dass man immer 100 Prozent in der Musik ist und ich nicht auch daran denke, warum ich schon wieder SVA-Beiträge zahlen muss. Aber im Optimalfall packt es mich selbst nach wie vor sehr. Vor allem ist es auch nicht festgelegt, was ich selbst empfinde, wenn ich spiele. Wenn ich gerade etwas erlebt habe, was mich emotional beschäftigt, kann das während dem Spielen sehr präsent sein und mich berühren. Jene Momente, in denen ich mir selbst beim Spielen zuhöre, sind die schönsten für mich. Da merke ich, dass es mir nach wie vor um etwas geht und mich die Musik berührt. Es ist mir wichtig, dass es tief geht und nicht nur an der Oberfläche hübsch anzuhören ist. Denn nur dann kann man auch das Publikum berühren.
profil: Sie spielen auch häufig an kleineren Orten am Land. Reagiert dort das Publikum anders auf Sie? Lauermann: Für mich ist es spannend zu sehen, wie Leute reagieren, die mit einer falschen Erwartungshaltung zu meinen Konzerten kommen. Manchmal lesen Leute im Programm nur das Wort Cello und denken, dass ich Bach-Suiten spiele. Aber die meistens lassen sich auf meine Musik ein. Mir ist es auch wichtig, dass ich bei solchen Konzerten nicht gleich reinfahre und den Leuten die Chance lasse, die Ohren aufzumachen. Ich habe noch nicht erlebt, dass jemand verstört oder verärgert war, dass ich kein klassisches Cellokonzert gespielt habe. Gleichzeitig gibt es aber auch am Land jüngere Besucher, die mich aus einer Band kennen. Am Ende kann aber offensichtlich jeder etwas für sich rausholen. Da scheint es ein verbindendes Element zu geben. Aber ich selbst höre ja auch alles von György Ligeti (Komponist des 20. Jahrhunderts, Anm.) bis Radiohead.
Metal löst ganz eigenartige Dinge in mir aus.
profil: Warum funktioniert Ihre Musik von Klassik bis Elektronik, von der Steiermark bis nach China? Lauermann: (Langes nachdenken) Meine Konzerte sind sehr unmittelbar, weil ich mit meinem Instrument alleine bin. Hinzu kommt, dass ich mich mit dem Cello sehr sicher fühle und nur spiele, womit ich mich zu 100 Prozent identifizieren kann. Das hat scheinbar eine Tiefe, die Menschen berührt. Warum das so ist, weiß ich nicht. Ich kann mich nur darüber freuen.
profil: Bei aller Ernsthaftigkeit: Sind Sie manchmal auch euphorisch? Lauermann: Ich kann mich natürlich über Sachen freuen. Aber ich laufe nicht jubelnd durch den Backstageraum. Da schlägt die Ruhe dann doch wieder zu.
profil: War das immer so? Es gab ja auch eine Metal-Phase in Ihrem Leben. Lauermann: (lacht) Ja, Metal löst ganz eigenartige Dinge in mir aus. Es gibt einen Metal-Klassiker, „Raining Blood“ von Slayer. Höre ich diesen Song, fliegt auch schon mal das T-Shirt durch den Raum. Es gibt eine Bar bei mir um die Ecke und da kann das bei Geburtstagsfeiern schon mal passieren. Vielleicht ist das ein euphorischer Moment. Meine Metal-Phase ist aber auch schon 15 Jahre her. Diese Härte und Lautstärke haben mich damals beeindruckt: Vier Leute auf der Bühne beschallen mit vier Instrumenten zwei Stunden lang tausende Menschen. Das finde ich immer noch faszinierend.
profil: Ist die Musik für Sie manchmal auch nur ein Job und Sie denken sich: Heute habe ich überhaupt keinen Bock? Lauermann: So extrem ist es mir noch nie gegangen. Manchmal bin ich müde, da ich auch recht viel mitschleppen muss. Aber dass ich keine Lust hätte, ein Konzert zu spielen, ist mir noch nie passiert. Es kommt natürlich vor, dass ich nicht gut drauf oder mit dem Kopf woanders bin. Aber dann habe ich Strategien, wie ich mich konzentrieren kann. Denn ich weiß ja nach wie vor, wie man Cello spielt. Auch wenn ich mir vor manchen Konzerten nicht immer so sicher bin. Aber nach ein paar Takten merke ich dann, dass ich es immer noch kann.
Zur Person Lukas Lauermann (33) studierte Cello an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien sowie an der Anton Bruckner Privatuniversität in Linz. Er spielt und arbeitete mit Bands und MusikerInnen zusammen wie A Life, A Song, A Cigarette, Soap&Skin, Donauwellenreiter, Schmieds Puls, Der Nino aus Wien oder Tocotronic. Sein Soloalbum „How I Remember Now I Remember How“ ist 2017 bei col legno erschienen.