Charlie Watts: Fels in der Brandung
Mit ernstem Gesicht saß er hinter seinen Trommeln, und er wirkte, während vorn Mick Jagger zappelte und Keith Richards die Gitarre phallisch schwenkte, in sich versunken, sehr konzentriert, als würde er im Geist den Takt mitzählen, den er schlug, was er beim zehntausendsten Mal „Satisfaction“ wohl nicht mehr musste.
Der Londoner Charlie Watts bediente ab Jänner 1963, fast sechs Jahrzehnte lang, das Schlagzeug der Rolling Stones, einer der gewaltigsten Bands der Welt, einer weltumspannenden Rock’n’Roll-Maschine, die Stadien und Arenen füllte – und längst zur Legende erstarrt war, auch vom Tod kaum noch antastbar erschien, alle Verfallsprozesse gestoppt wie unter einer meterdicken Eisschicht.
Aber das Eis schmolz schnell, denn die Rolling Stones waren stets um schnelle Erhitzung bemüht, auf Erregungswirkung, Rausch und Ekstase gepolt, insofern war Charlie Watts die produktive Antithese dieses Unternehmens. Die paradoxe Intervention seines Spiels brachte Jaggers nervöse Gestik und Richards’ ironisches Imponiergehabe erst wirklich zur Geltung, akzentuierte die kontrollierte Entgrenzung dieser Band. Fast genervt und kaum bewegt absolvierte Watts sein Programm, kein Tropfen Schweiß stand ihm auf der Stirn, denn er setzte nicht auf Geschwindigkeit und Lautstärke, sondern auf Coolness, Simplizität und Stoizismus. Dies allerdings mit enormer, niemals augenfälliger Präzision.
Sein größtes Zugeständnis an den Rock’n’Roll-Zirkus war der Wurf seiner Trommelstöcke ins jeweilige Auditorium, nach dem Verklingen der letzten Zugabe. Mehr Publikumsnähe musste nicht sein.
Am Dienstag vergangener Woche starb Charlie Watts 80-jährig in einem Londoner Krankenhaus, angeblich friedlich, im Kreis seiner Familie, während sich Mick Jagger, 78, Keith Richards, 77, Ronnie Wood, 74, sowie der schon seit 1993 nicht mehr als Bandmitglied fungierende Bill Wyman, 84, weiterhin zumindest passabler Gesundheit erfreuen.
Watts ist dennoch nicht der Erste, dessen Ableben die Stones zu betrauern haben. Der Gitarrist Brian Jones, die frühe Triebfeder der Band, starb nach Jahren des Drogenmissbrauchs und der wachsenden psychischen Instabilität bereits 1969. Aber auch Watts hatte seine Gesundheitskrisen: In den 1980er-Jahren begann er infolge familiärer Probleme selbstzerstörerisch zu trinken, schaffte es aber nach wenigen Jahren, seine Sucht zu besiegen. 2004 überwand er zudem eine Kehlkopfkrebserkrankung.
Als einer der bestgekleideten Popmusiker der Welt, der auch feinen Tweed mit unnachahmlicher Lässigkeit tragen konnte, als wäre es ganz selbstverständlich, als Rockmusiker so auszusehen, wurde er oft gewürdigt; es stach eher in die Augen als sein seelenruhiges Spiel. Die Neigung zum Edlen ließ ihn vier kostbare Oldtimer anschaffen, in denen er gerne saß, wie er berichtete, und ab und zu den Motor startete. Fahren konnte er mit seinen prachtvollen vintage cars nicht, denn er hatte keinen Führerschein. Natürlich verweigerte Watts auch Mobiltelefone und Laptops. Wer ihn erreichen wollte, müsse ihm eben einen Brief schreiben, erklärte er achselzuckend.
Der Jazz war seinem Herzen näher als der Rock’n’Roll. Mit der Musik von Chico Hamilton, Gerry Mulligan und Charlie Parker wuchs er auf, brachte sich als Arbeiterkind ab 1955 das Trommeln bei; wenige Jahre später, noch als Teenager, trat er in lokalen Jazzclubs auf, bis ihn der Musiker Alexis Korner, der ihn 1962 in seine Band holte, auch mit Rhythm’n’Blues konfrontierte. Er habe vom Zuschauen und Zuhören gelernt, sagte Watts. Man müsse nicht möglichst viele Noten produzieren, sondern vor allem ein guter Zuhörer sein. In der Jazz-Improvisation sei diese Fähigkeit unabdingbar.
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