SZENENBILD AUS "LA LA LAND": Pas de deux mit Ryan Gosling und Emma Stone

Charmestoff: Damien Chazelles berauschendes Film-Musical "La La Land"

Mit seinem klugen Kino- Musical "La La Land" hat Regisseur Damien Chazelle die amerikanische Filmindustrie verblüfft - und seinen Ruf als kreativer Jungstar konsolidiert.

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Man muss das Handbuch für die kompetente Filmregie gar nicht erst konsultieren, um zu ahnen, dass es sich auszahlt, im Kino gleich anfangs ein bisschen für Aufsehen zu sorgen, sein Publikum schon mit dem Einstieg zu entwaffnen. Mit jener spektakulären sechsminütigen Szene allerdings, die den Beginn von "La La Land" markiert, ist dennoch kaum zu rechnen: Eine virtuos choreografierte und sonnenbestrahlte Plansequenz entwickelt sich da in einer zum Erliegen gekommenen Blechlawine auf einem der Freeways in Los Angeles; die Autoradios dudeln vor sich hin, die Menschen hängen desillusioniert in ihren Vehikeln, und die Hitze, die aus diesen Bildern tropft, ist selbst in gut klimatisierten Multiplexsälen noch zu spüren. Aber dann kommt Bewegung in den Stau: 60 Autos, 100 Tänzer plus Statisten intonieren und verkörpern den Song "Another Day of Sun" in Überschwang und allem gebotenen Traditionsbewusstsein.

So müssen gute Filmmusicals aussehen - und honoriert werden: Mit sieben Nominierungen geht "La La Land" Anfang dieser Woche als Favorit in die Golden-Globe-Gala 2017 (Anmerkung: "La La Land" gewann sensationellerweise schließlich auch in sieben Kategorien). Und auch an der Oscar-Front wird der Film, in seltener Einigkeit von Kritik und Publikum gefeiert, Ende Februar wohl zu den Gewinnern gehören. Das liegt auch daran, dass er so leicht zu lieben ist: keine müde Politik, kein Krieg, kein Terror, nur Showbiz, Liebe, Tanz und Farbenfrohsinn. "La La Land" ist künstlich und zwanglos zugleich, besitzt das richtige Mischverhältnis aus Stilisierung und Bodenhaftung.

Der Mann, der diese Old-School-Produktion erdacht, geschrieben und inszeniert hat, ist jedoch kein alter Nostalgiker, sondern ein junger Hipster aus New England, ein Schlaumeier und Alleskönner: Damien Chazelle, Jahrgang 1985, Abgänger der Harvard University, hat sich mit seinem erst dritten Film produktionstechnisch in neue Territorien vorgearbeitet - und auf ganzer Länge triumphiert. Gedreht auf 35mm-Film, im CinemaScope-Format und im edlen Technicolor-Look, hergestellt mit einem Budget von 30 Millionen Dollar, dem fast zehnfachen Etat des letzten Chazelle-Films, des Jazz-Psychothrillers "Whiplash" (2014), bietet "La La Land" einiges an Charme und Schauwert auf. In den vergangenen vier Wochen allein hat er daher bereits fast 70 Millionen Dollar weltweit eingespielt -dabei steht die europäische Auswertung mit Filmstarts etwa in Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Russland dieser Tage erst noch an.

Bittersüße Romanze

In Zeiten, da das amerikanische Mainstream-Kino wie paralysiert nur noch in den Kategorien von Tieranimation und Fantasy-Blockbuster denken kann, nimmt sich "La La Land" (ab 13.1. in Österreichs Kinos zu sehen) eigenwillig aus. Seit seiner Weltpremiere beim Filmfest in Venedig Ende August macht die bittersüße Romanze zweier kreativer Träumer, eines Jazzpianisten und einer Schauspielerin, von sich reden: Ryan Gosling und Emma Stone bewegen sich wie weiland Fred Astaire und Ginger Rogers, à la Gene Kelly und Cyd Charisse durch diesen Film. Die Retro-Liebenden drohen, bei aller Zuneigung, einander zu verfehlen, zu scheitern an der Unrealisierbarkeit ihrer Visionen. Ein paar melodramatische Beziehungsklischees und sanft überstrapazierte Drehbuchideen tun der Wirkung von "La La Land" keinen Abbruch. Um große Utopien geht es hier - und um die allzu kleinen Schritte, mit denen man sich auf sie zubewegt.

2009 hatte Damien Chazelle sein Debüt vorgelegt - und schon damals mit den Traditionen der MGM-Musicals und des Swing-Kinos kokettiert: "Guy and Madeline on a Park Bench", gedreht in Boston, war ein kleines, aber bemerkenswertes Stück Indie-Kino. Justin Hurwitz, Chazelles Freund und Studienkollege, war als Komponist bereits dabei, und auch er bereitete sich damit auf seine Reifeprüfung vor, die er mit dem Soundtrack zu "La La Land" nun abgelegt hat - mit zeitlosen, breit orchestrierten Stücken, aber auch melancholischen Instant-Klassikern wie dem Leitmotiv des Films, "City of Stars".

Auf den ephemeren Erstling, festgehalten in schwarzweißem 16mm-Material, sollte Handfesteres, Aggressiveres folgen: In "Whiplash" ließ Chazelle den Peitschenriemen, den er als Titel gewählt hatte, buchstäblich knallen; für das böse Duell, das er da zwischen einem ehrgeizigen jungen Jazzschlagzeuger (Miles Teller) und seinem sadistischen Drillmeister (gespielt von einem entfesselten J. K. Simmons) entfachte, griff er auf an der Musikhochschule selbst Erlebtes zurück.

Chemie zwischen Gosling und Stone stimmt

"La La Land" gibt sich nun sanfter, magischer, geht verschwenderischer noch um mit dem Talent, das in ihm wirkt: Die Tanz- und Gesangsamateure Gosling und Stone absolvieren ihre alles andere als simplen Performances erstaunlich elegant; ein Gutteil der Verführungskraft dieses Films geht auf ihr Konto: Die Chemie zwischen ihnen ist mehr als brauchbar, das photogénie des Duos ohnehin kaum zu übertreffen - und ihre pointierten Dialoge stehen der Inszenierung auch nicht im Weg.

Vor allem aber erfreut die selbstreferenzielle Anlage der Erzählung: "La La Land" kreist inhaltlich ebenso wie formal um künstlerische Obsessionen, um Kinoversessenheit und Jazz-Begehren; Chazelle träumt, indem er seine junge Heldin von einer Audition zur nächsten schickt, vom alten Hollywood mit seinen Drehhallen und dem bunten Treiben am Studiogelände. Und er denkt, mit einem Protagonisten, der sich musikalisch chronisch unterfordert oder ausgebeutet fühlt, über die alten Fronten zwischen Selbstverwirklichung und Ausverkauf nach. "La La Land", das steht für Los Angeles, aber auch für die alte Showbiz-Traumzone, in der die Wirklichkeit Pause hat.

So spielt Chazelle klug mit den Erinnerungen, den Bildern und Gefühlen, die Hollywood und Nouvelle Vague in uns hinterlassen haben. Er analysiert die Unruhe derer, die sich vom Leben betrogen fühlen, indem er sein Genre liebevoll auseinander nimmt, indem er sich auf Nicholas Rays "Rebel Without a Cause" und Stanley Donens "Singin' in the Rain" beruft, auf Vincente Minnelli und Jacques Demy. Aber er tut das alles eben nicht bloß zitathaft, sondern sinnlich korrekt, vollkommen organisch, als brauche man nur etwas Selbstbewusstsein, um den Rückgriff in die Filmgeschichte ganz selbstverständlich aussehen zu lassen. Denn Chazelle nimmt seine Kunst erstens ernst und zweitens persönlich: Schon die Strahlkraft monochromer Farben wird bei ihm zur Autobiografie.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.