Choreografin Eisa Jocson: Schneewittchen in der Kraftkammer
Er trägt Cowboyboots zu engen Shorts, beißt lässig auf einem Kaugummi herum und hat einen in der Kraftkammer gestählten Traumbody. Jede seiner erotisch aufgeladenen Bewegungen ist stilisiert. Wie in Zeitlupe tanzt er, scheinbar in sich selbst versunken, obwohl er genau weiß, dass sein Publikum gekommen ist, um sich an ihm aufzugeilen. "Macho Dancer" nennt man die Rotlicht-Performer, die in Manila auf eine lange Tradition zurückblicken. Ursprünglich für ein schwules Publikum gedacht, finden diese Nachtclubtänzer mittlerweile auch ein zahlungskräftiges weibliches Publikum. Aber was passiert, wenn man den Macho-Bewegungsstil auf eine Theaterbühne überträgt, wenn eine Tänzerin männliche Stereotypen nachahmt?
Im Sommer 2013 war die philippinische Choreografin Eisa Jocson mit ihrer Version von "Macho Dancer" in der Nachwuchsschiene des Wiener Festivals Im-PulsTanz zu Gast: eine so faszinierende wie irritierende Soloperformance, in der Jocson eine radikal androgyne Figur verkörperte. Im Fitnesscenter hatte sie sich Muskeln antrainiert; jede ihrer Gesten reproduzierte ein künstlich übersteigertes Männlichkeitsbild. Im Unterschied etwa zu den bei uns bekannteren Chippendales, die auf flotte HipHop-Songs setzen, sind Manilas Macho Dancer viel pathetischer in ihrer Musikauswahl (die von Metallica bis Bonnie Tyler reicht) und langsamer in ihren Bewegungen. "Wie ein Kaugummi, der sich ausdehnt und wieder zusammenzieht", sagt Jocson im profil-Gespräch.
Eisa Jocson, Jahrgang 1986, hatte in Manila bildende Kunst studiert und Ballett getanzt. Doch sie wollte aus den klassischen Mustern und Geschlechterrollen ausbrechen, um zu erforschen, wie sehr man den eigenen Körper formen und verändern kann. Zunächst besuchte sie einen Pole-Dance-Kurs; eine Tante, die ebenfalls Künstlerin ist, hatte sie mitgenommen. Jocson fand es interessant, wie dieser Tanzstil aus den Stripclubs in den Fitnessbereich schwappte. Plötzlich bezahlten Businessfrauen für etwas, wofür sonst Stripperinnen entlohnt wurden. In ihrer Performance "Death of a Pole Dancer" (2011) analysierte sie, wie weit sie sich von Klischees, die man mit der Stange verbindet, entfernen konnte.
"Macho Dancer" (2013) war so etwas wie eine Fortsetzung: Diesmal waren es Männer, die mit ihren Moves verführen wollten. In einen Macho-Dancer-Club war sie erneut auf Initiative ihrer Tante geraten. Aber es war diesmal schwieriger, das Bewegungsrepertoire zu erlernen. Einschlägige Kurse gab es nicht. Jocson musste die Stripper fragen, die anfangs eher skeptisch reagierten. Mit der Zeit fassten sie Vertrauen, waren glücklich über die Wertschätzung ihrer tänzerischen Fähigkeiten. Inzwischen gibt die Choreografin selbst Workshops in Macho-Dancing (etwa am 3. November im Wiener Tanzquartier).
Als Performerin ist Jocson ein Chamäleon. Sie übernimmt Rollen, die sie im Nachtleben studiert hat: Für "Host" (2015) recherchierte sie in Clubs in Tokio, in denen weibliche und Transgender-Hostessen eine unterwürfige, dienstleistende Form von Weiblichkeit einstudieren, um japanische Männer zu umsorgen und zu unterhalten. Auf der Bühne kann Jocson alles sein, vom ruppigen Mann bis zur devoten Frau. Wenn sie auftritt, erkennt man sie kaum wieder. In der aktuellen Performance-Szene ist es schon seit Jahren angesagt, Genderrollen zu dekonstruieren. Aber Jocson dreht die Schraube weiter, ihr geht es um eine politische Grundierung. Sie fragt ganz konkret: Welche Rollen nehmen wir ein, wenn wir gewisse Dienstleistungen - von erotischem Tanz im Club bis zur Krankenpflege - ausüben? Welche tradierten Frauen- und Männerbilder werden von uns erwartet?
Bereits in "Host" standen Filipinos im Zentrum, die nach Japan gegangen waren, um dort zu arbeiten. Noch deutlicher wird das Sujet der Migration in "Princess", eine Produktion, die im Tanzquartier nun in österreichischer Erstaufführung zu sehen ist (1. und 2. November, Halle G im Museumsquartier). Als im Herbst 2015 eine Disneyland-Dependance in Hongkong eröffnete, zog dies viele Kunstschaffende aus den Philippinen an. Es war lukrativer, sich als Micky Maus oder Schneewittchen zu verkleiden und Kinder zu unterhalten, als im Staatsballett in Manila zu tanzen. Dabei wollte Disney die Prinzessinnen nicht philippinisch besetzen - die Hauptrollen blieben Weißen vorbehalten. So mussten Jocsons Kolleginnen Zebras, Korallen und Tintenfische spielen. Insofern ist "Princess" auch die Aneignung einer Rolle, die ihren Landsleuten in der Realität vorenthalten bleibt.
Schneewittchen ist für Jocson der Prototyp einer Disney-Prinzessin: "Im Disney-Kino ist Schneewittchen stets damit beschäftigt, die Hausarbeit zu machen. Sie putzt, kocht, wäscht Geschirr. Das ist genau jene Arbeit, die Filipinas auf der ganzen Welt ausüben. Sie sind Krankenschwestern, Pflegerinnen, Dienstmädchen." In "Princess" bleibt der Film hängen, Szenen wiederholen sich, Schneewittchen tritt mit Piepsstimme in Kontakt mit dem Publikum, möchte es allen recht machen, fällt dabei aus der Rolle. Das ist sehr komisch, aber das Lachen bleibt einem bald im Hals stecken. Darin ähnelt Jocsons Performance Elfriede Jelineks kulturkritischen "Prinzessinnendramen" (2003).
Die Inszenierungen der Schneewittchenfigur in Videos verschiedener Disney-Vergnügungsparks rund um den Globus klaffen auseinander, erzählt die Choreografin noch: "In Paris war Schneewittchen hochnäsig, in Japan sehr höflich und fürsorglich, und in Amerika hat sie so aufgedreht gewirkt, als ob sie auf Drogen wäre. Alles an ihr war überzuckert." Jocson hat "Princess" als ersten Teil einer Trilogie konzipiert, die "Happyland" heißen soll (wie übrigens auch ein Slum in Manila), in der es um das Verhältnis von Arbeit und Glücksversprechen in der globalisierten Unterhaltungsindustrie geht, erzählt Jocson. Die Themen werden ihr nicht ausgehen. Rodrigo Duterte, der durchgeknallte philippinische Präsident, meinte erst kürzlich wieder in einer Rede, solange es schöne Frauen gebe, werde es eben auch Vergewaltigungsfälle geben. Performerinnen wie Eisa Jocson, die destruktive Rollenbilder auf der Bühne infrage stellen, sind mehr denn je vonnöten.