Interview

„Club Zero“-Regisseurin Jessica Hausner: „Essen ist extrem intim, wie Nacktsein oder Sex“

Lebensmittelverzicht als Widerstandsprogramm? In dem Film „Club Zero“ werden Jugendliche auf beunruhigende Weise manipuliert. Jessica Hausner erklärt hier, wie Radikalisierung und Selbstzerstörung zusammenhängen – und was ihre Erzählung mit den Klimaklebern zu tun hat.

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Eine junge Lehrerin, gespielt von der Australierin Mia Wasikowska, unterrichtet an einem britischen Elite-College „Bewusste Ernährung“; sie übt mit esoterischem Vokabular erst sanften, bald heftigeren Druck aus, propagiert Fastentee, Nachhaltigkeit, Selbstreinigung und Zellenerneuerung durch Essensverzicht – und macht ihre Klasse zum „Club Zero“, zur Widerstandsgruppe gegen Konsumismus und Lebensmittelindustrie, für Disziplin und Willensstärke. Wasikowska und ein in Richtung Diversität gecastetes junges Ensemble bewegen sich in sediertem Tempo durch diesen Film; die perkussiv-exotisierende Musik trägt zur sonderbaren Atmosphäre bei. Ein Gesellschaftsbild entsteht, in dem wohlstandsverwahrloste und indoktrinierte Kids ihr Leben radikal herumzureißen (und auszudünnen) versuchen.

Die Wiener Regisseurin und Autorin Jessica Hausner („Amour fou“, „Little Joe“) arbeitet mit großer Stilsicherheit. Ihr jüngster Film besitzt einen farblich akribisch, bewusst anachronistisch gestalteten Look, entstanden in enger Zusammenarbeit mit der Kostümbildnerin Tanja Hausner und dem Kameramann Martin Gschlacht. „Club Zero“ ist Hausners bislang teuerste Produktion – und seit ihrer Weltpremiere in Cannes im vergangenen Mai ein Favorit der internationalen Arthouse-Szene: In 40 Länder wurde der Film bereits verkauft, dazu kommen Dutzende Festivaleinladungen. Jessica Hausner, Jahrgang 1972, empfängt die profil-Delegation in ihrem Wiener Studio, nahe dem Karmelitermarkt. Freundlich konzentriert harrt sie der Fragen. 

„Club Zero“ dreht sich um Aktivismus und Selbstbeschädigung, um Bildungs- und Erziehungsfragen – in sanft groteskem Tonfall. Was ist das? Eine Komödie oder ein Sozialdrama?
Jessica Hausner
Meine Filme liegen zwischen den Kategorien. Mein Publikum ist eingeladen, sich seinen eigenen Reim auf das Gebotene zu machen. Oft wirken darin ganz verschiedene Tonfälle gleichzeitig. Das hat mit meiner Ästhetik zu tun. Wenn ich eine weinende Frau in einer knallrosa Bluse sehe: Lache ich darüber, oder weine ich?
Ihre formalen Mittel sind unzeitgemäß: Sie arbeiten mit unüblichen Perspektiven, langsamen Zooms, atonaler Musik. Worauf läuft die Fremdheit Ihres Stils hinaus?
Jessica Hausner
Ich erfinde eine eigenwillige Form, die man nicht ignorieren kann. In meine Filme taucht man nicht ab und vergisst sich selbst. Ich will nicht einfach nur eine Geschichte erzählen, sondern Spielräume zur Reflexion eröffnen. Die Kameraperspektive ist Teil dieses Bemühens. Ich stelle das, wovon ich erzähle, laufend infrage. Da gibt es keinen omnipotenten Erzähler. Die Frage ist: Wer weiß hier was?
Ihre Filme irritieren, weil man sich dieses Gefühl der Befremdung selbst nicht ganz erklären kann.
Jessica Hausner
Die Welt, die ich zeige, ist wie ein Puzzle, dem einige Teile fehlen.
„Club Zero“ wirkt erdacht, wie ein böses Märchen, eine künstliche Welt.
Jessica Hausner
Weil es die richtige Welt nicht gibt. Ein Film, der behauptet, eine objektive Welt zu zeigen, ist in sich schon falsch. Ebenso ein Film, der behauptet, einen Menschen nachvollziehbar zu machen. Beides kann nicht funktionieren, da jeder Mensch die Welt anders wahrnimmt.
Unwirklichkeit statt Realismus-Illusion?
Jessica Hausner
Darüber spreche ich viel mit meiner Schwester, die ja meine Kostümbildnerin ist. Die seltsamen Farben, die Tanja wählt, sind sehr realistisch. Die unauffällige Kleidung im Mainstreamkino, farblich abgestimmt mit dem Bühnenbild, ist unrealistisch. Diese Filmrealität aber hat das Publikum teilweise internalisiert. Man muss nur in irgendein Café gehen, um zu sehen, was die Leute wirklich tragen. In „Amour fou“ habe ich am stärksten mit den visuellen Konventionen des Filmerzählens gebrochen. Niemand von uns war in Preußen anno 1815 dabei. Aber wir haben dazu viele Filme gesehen: alle in Braun, Weiß und Schwarz. Das ist für uns die Vorstellung der Wirklichkeit von damals. Ich wollte aber eine Welt zeigen, in der man Wohnungen bisweilen neu ausmalte und die dann eben giftgrün waren. Und auch die Stoffe, die man verwendete, waren nicht immer schon patiniert.
Mildert Ihr Spiel mit Farbgebung und Kamerablick die Härte des Erzählten nicht ab? „Club Zero“ wäre auch als Horrorfilm denkbar.
Jessica Hausner
Der wäre aber leichter auszuhalten. Wenn ich als Zuschauerin weiß, dass ich einen harten Schocker sehe, befinde ich mich ja wieder auf sicherem Boden. Ich stelle das Heitere gegen das Ernste, das Nachvollziehbare gegen das Irrationale. Wo liegt die Wahrheit? Wer entscheidet darüber?
Ihre Figuren sind so etwas wie Modelle, eher Parabel-Funktionäre als Empathie- oder Identifikationsträger.
Jessica Hausner
Meine Geschichten sind empathisch erzählt, glaube ich. Denn meine Figuren zeigen Schwächen. An Identifikation glaube ich tatsächlich nicht: Ein Kino, in dem man in die Protagonisten „schlüpfen“ soll, um zu empfinden und zu denken, was sie denken, deprimiert mich. Man versteht doch in der Regel nicht, was andere denken oder fühlen. Man spekuliert nur darüber. Das ist die Wirklichkeit, die ich darstelle.
Wird in „Club Zero“, aus Ihrer Sicht, auch Politisches erörtert?
Jessica Hausner
Ich könnte keine Politikerin sein. Mir fällt es schwer, mich für eine Sache, die ich für richtig halte, zu entscheiden. An den guten Dingen sehe ich die Nachteile, an den schlechten die Vorteile. Es dauert lange, bis ich mich überhaupt für etwas entscheiden kann. Ich neige zum Zweifel, zeige gern Widersprüchliches, verschiedene Wahrheiten, die gleichzeitig existieren. Ich würde mir wünschen, dies wäre eine politische Botschaft: Hat nicht auch das Gegenteil dessen, woran man glaubt, seine Berechtigung?
In „Club Zero“ scheint die Klimakatastrophe implizit stark mitzuschwingen.
Jessica Hausner
Ja. Die Angst um die Zukunft eint die junge Generation. Das führt sie dazu, radikale Aktionen ins Auge zu fassen. Das kann ich verstehen.
Sie zeigen aber eine zwischen Narzissmus und Weltrettung, zwischen Selbstoptimierung und Nachhaltigkeitsdenken unaufgelöste Generation.
Jessica Hausner
Diese Zweischneidigkeit ist vorhanden. Vielleicht weil die Bedürfnisse dieser Generation beinahe ignoriert werden. So wird ihr Anliegen zur Ideologie, zu einer Frage der Zugehörigkeit.
Die Radikalisierung der Jugendlichen …
Jessica Hausner
 … ist gewaltloser Widerstand. In meinem Film geht es um Autoaggression.
Ist in „Club Zero“ die Klimakleberdebatte versteckt?
Jessica Hausner
Daran musste ich auch denken. Was bringt einen so weit, dass man seine Haut an den Boden klebt? Das muss uns doch wachrütteln, es ist sichtlich ernst gemeint. Wir müssen auf das hören, was die Jungen uns sagen wollen.
Die Pädagogin, die in „Club Zero“ das Fach „Bewusstes Essen“ unterrichtet, predigt zunächst nur Gutes. Schrittweise wird sie aber gefährlich manipulativ, zur Sektenführerin.
Jessica Hausner
Sie glaubt, ihre Ideen seien richtig. Sie ist eine Missionarin, will die Kinder retten. Sie ist nicht hinterhältig.
Nein?
Jessica Hausner
Nein. Sie ist eine Heilige.
Eine Heilige?
Jessica Hausner
Ja. Sie ist verblendet, hegt einen extremistischen Glauben. Sie ist eine Schurkin, die nicht weiß, dass sie eine ist.
In Cannes, wo Sie „Club Zero“ uraufgeführt haben, hagelte es auch heftige Kritik. Die „New York Times“ sah in Ihrem Film eine „brutal auf einen einschlagende Satire“. Warum erregen Ihre Erzählungen derartigen Widerwillen?
Jessica Hausner
Es gibt bei mir keine moralische Verurteilung, keine Erlösung. Und ich denke, das Thema Ernährung berührt einen Nerv. Essen ist extrem intim, wie Nacktsein oder Sex. Es ist auch tabuisiert.
Der satirische Unterton, mit dem Sie Essstörungen behandeln, könnte als Provokation gewertet werden.
Jessica Hausner
Ja. Mein Film ist politisch nicht korrekt, bleibt amoralisch. Die Szene, in der ein wütender Vater seine Tochter dazu zwingt, eine Wurst zu essen, verstört natürlich. Denn woher rührt diese Wut?
Aus der Verzweiflung über das Nichtessen seines Kindes?
Jessica Hausner
Es ist nicht nur Verzweiflung, es ist auch der Zorn auf die Verweigerung sozialer Konventionen.
Ihre Filme haben etwas Entkörperlichtes, Theoretisches, auch Konzeptuelles. Und dann gibt es plötzlich Szenen, die radikal physisch wirken. Woher kommt das?
Jessica Hausner
Meine Filme handeln von der physischen Gebundenheit des Menschen an den eigenen Körper. In „Lourdes“ ist es eine Lähmung, die alles bestimmt. In „Little Joe“ sorgt eine Polleninhalation für Kontrollverlust. In „Club Zero“ definiert das Nichtessen meine Figuren. Wir sehnen uns nach Transzendenz, aber die Vergänglichkeit unserer Körper steht dem ewigen Leben leider im Weg.
Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.