Taylor Swift, wie geht es Ihnen heute?
2020 schleppt sich in die finale Runde. Man möchte es nicht glauben. Und dann auch noch eine provokante Frage frühmorgens: Wie geht es Ihnen heute? Andererseits, das konnte ich in den letzten Monaten zweifelsfrei feststellen, hat sich in der Frage nach der persönlichen Stimmungskurve ein Paradigmenwechsel vollzogen. Das ist beim Kindergartenelterngespräch nicht anders als in der Schlange vor dem Massentest oder beim Stiegenhausgeplauder mit den lieben Nachbarn: Kann man am Ende dieses verkorksten Jahres einfach sagen, wenn es einem nicht so gut geht, weil einem die Situation, die Sorgen um Mitmenschen, die Betreuungsengpässe, die persönlichen Dämonen immer mehr zu schaffen machen?
Dabei scheint – wir wollen ja konstruktiv bleiben – diese unvermittelte Offenheit nicht nur heilsam bis kathartisch, sie lässt (Achtung: subjektive Wahrnehmung) auch eine neue, erfrischend ehrliche Gesprächsbasis entstehen. Die Kunst des Miteinanderredens kann in Zeiten, in denen Experten mit dramatischen Langzeitkonsequenzen bei psychischen Erkrankungen rechnen, in denen Unsicherheiten, Depressionen, Existenzängste und Einsamkeit in der Gesellschaft zunehmen, ein durchaus guter Anfang sein (Podcast-Empfehlung: profil-Kollegin Angelika Hager im Gespräch mit der Fachärztin Gabriele Fischer).
Nun aber zu Taylor Swift, dem gegenwärtig größten weiblichen Popstar des Planeten: Sie hat auf die Frage, wie es ihr in diesem Scheißjahr so geht, einfach mal ihr zweites Lockdown-Album veröffentlicht – und dies völlig überraschend. Das ist in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert. Die Musikerin aus Pennsylvania, die letzten Sonntag 31 Jahre alt geworden ist hat in ihrer Karriere bereits einige Haken geschlagen: Nach Country im Teenageralter, Chart-getriebenem Powerpop und vielen, vielen Breakup-Songs hat sie nach „Folklore“ (aufgenommen während der ersten Corona-Welle) letzten Freitag ihr zweites Lockdown-Album, genannt „Evermore“, veröffentlicht, vorerst noch nur digital. Sie habe, sagt sie zu ihrem Überraschungscoup, einfach nicht aufhören können, Songs zu schreiben. „Poetisch gesprochen war es, als stünden wir am Rande eines Folklorewaldes und hätten die Wahl: umdrehen oder tiefer in diese Musik hineinwandern.“
Wald, Wandern, Folklore. Taylor Swift macht auf „Evermore“ Kammerpopmusik im besten Sinne, reduziert ihre Popsongs auf Gitarre und Klavier (mit wenigen elektronischen Einstreuungen) und erzählt mit warmer Stimme von den großen und kleinen Geschichten des Lebens; vom Ausziehen und Heimkommen, vom Verlassen und Verlassenwerden, von Selbstermächtigung und Kränkung. Große Singer-Songwriter-Kunst. Das Erstaunliche: Die Pandemie kommt auf diesem wunderbaren Lockdown-Album nicht vor. Lieber geht sie mit GastmusikerInnen wie HAIM, The National und Justin Vernon von Bon Iver auf die Suche nach der Ursprünglichkeit ihres Sounds, hinein in den Wald, hinaus auf die Wiesen. So entstanden 15 neue Songs, die einen durch den grauen Winter tragen können.
Eine Bitte zum Schluss: Schreiben Sie mir doch an [email protected], wie Sie dieses Jahr des Grauens überstanden haben; was Sie positiv stimmt, was Ihr Leben reicher macht, was Sie für 2021 geplant haben, welche Musik, welche Serien oder Filme Sie begleiten – oder einfach, wie es Ihnen geht. Wir werden an dieser Stelle davon berichten.
Alles wird gut.
Philip Dulle