Das ewige Mädchen: Erinnerung an Bibiana Zeller, 1928–2023
Unser Interview im Jahr 2015 endete mit einem Kichern und einem Satz von Thomas Bernhard’scher Wucht: „Alles in allem eine Katastrophe, aber ansonsten bin ich sehr glücklich.”
Bernhard kannte sie noch vor allen anderen. Im legendären Künstler-Treff „Tonhof” im Kärntner Maria Saal stand sie in seinem allerersten Stück, einem Monolog über die Einsamkeit, „Die Erfundene” im Scheunen-Theater, 1960 auf der Bühne. Mäzene und Gastgeber waren das Ehepaar Maja und Gerhard Lampersberg, denen Bernhard, Dauergast auf dem Anwesen, mit seinem autobiografischen Roman „Holzfällen” später ein so geniales wie grausames literarisches Denkmal setzte: „Der Thomas war so herrlich boshaft, das liebte ich an ihm.”
Bei unserem Gespräch war Bibiana Zeller 87 Jahre alt und tödlich gekränkt, dass sie in ihrem geliebten Burgtheater nur noch als „Gast” auftreten durfte: „Das hat man mir mit so einem Zettel mitgeteilt. Ich habe verstanden, dass man mich jetzt in der Kategorie Greisin einreiht.” Ihre letzte Rolle am Burgtheater war die Großmutter in Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“, eine für sie untypische, weil durch und durch bösartige Figur, die das „Bankert” ihrer Enkelin Marianne im kalten Freien schlafen lässt, um sich demnächst einen Esser zu ersparen: „Da gebe ich meiner hässlichen Tochter eine solche Ohrfeige, dass ich wirklich glücklich bin, das überhaupt geschafft zu haben. Und dann verfluche ich alle, die mir den Tod wünschen. Es ist sicherlich die böseste Rolle, die ich je gespielt hab’.“ Damals waren gerade ihre Memoiren „Bitte lasst mich mitspielen”, aufgezeichnet von der Radiojournalistin und Freundin Marina Watteck, erschienen. Der Titel war gleichzeitig das Mantra in einem nach außen hin so erfüllten Künstlerinnenleben, das innerlich von Selbstzweifeln und Verunsicherung geprägt war. In den Memoiren wird eine Tagebuch-Aufzeichnung über ihre Burg-Jahre zitiert: „Ich habe hier mehr als 40 Jahre verbracht. In dieser Zeit habe ich unglaubliche Durststrecken erlebt, als ich überhaupt nichts angeboten bekam. Wartend, ob ich was kriege, wartend und sitzend – mehr als kämpfend, denn das kann ich leider nicht –, hab ich alle möglichen Zustände gehabt, die man sich überhaupt nur vorstellen kann … Ich habe mir die Tagebücher binden lassen, damit nicht so flatternde Schulhefte herumliegen … Egal ob ich 1983, 1997 oder 1970 aufschlage: Das Theater und meine Verzweiflung, das ist da durchgehend niedergeschrieben …” 1972 war die gebürtige Wienerin nach Wanderjahren an deutschen Bühnen unter der Direktion von Gerhard Klingenberg an das Ensemble ins Haus am Ring verpflichtet worden.
Und dann erzählt sie von sich, dem 17-jährigen Mädchen, das im Bombenhagel von Wien jeden Tag weniger um sein eigenes Zuhause als um das Überleben des Burgtheaters bangte. Sowohl die Elternwohnung in der Gölsdorfgasse nahe der Wiener Universität als auch „dieses Haus am Ring, das für mich ein magisches Land beherbergte“, wurden dann doch trotz aller Gebete in Schutt und Asche gelegt. Das Burgtheater erwischte es erst in den allerletzten Kriegstagen, am 12. April 1945. Und Bibi, Tochter einer stillen, häufig traurigen Mutter und eines fröhlichen Vaters, der unter anderem die Bibi-Bar in der Rotenturmstraße und sonst auch viel Unfug betrieb, vor allem mit Frauen, reihte sich sofort in die lange Menschenschlange, um bei den Aufräumarbeiten mitzuhelfen: „Ich hatte die Ziegel des Burgtheaters in der Hand. Schon damals entwickelte ich eine nahezu körperliche Verbundenheit mit dem Burgtheater. Dort wollte ich hin, dort, so glaubte ich, konnte einem nichts passieren, dort schien man geschützt.“ Eine Kindheit im Krieg und ein aufrechter Antifaschist als Vater, der vielen jüdischen Freunden beim Überleben half, haben das Gefühl der Ängstlichkeit in ihrem Empfinden dauerhaft implantiert. In ihrer Josefstädter Wohnung, die mit puristischen Möbeln Purismus und großflächigen modernen Bildern ganz ungreisinnenhaft gestaltet war, thronte das Schwarzweißporträt Claus Peymanns, der vor der Fotografin Gabriela Brandenstein eine diabolische Lachsalve ablässt. Zeller lebte damals mit ihrem zweiten Mann, dem Josefstadt-Schauspieler Eugen Stark, teils in Wien und auf dem Land in Niederösterreich. In dessen legendärer Inszenierung des Bernhard’schen „Theatermachers” hatte die Mutter von zwei Söhnen aus erster Ehe mit dem Regisseur Otto Anton Eder (Jakob ist verstorben, Fabian Eder ist ein gefragter Kameramann und Filmemacher) die stumme Wirtin zu spielen, auch im republikerschütternden Trauerspiel „Heldenplatz” musste „ich eine Wurz’n spielen”, so der Branchenjargon für Nebenrollen: „Er war schrecklich. Unter Peymann habe ich die größten Qualen durchmachen müssen. Die kleinsten und hässlichsten Rollen gekriegt. Manchmal musste ich wie ein Schwein aussehen. Als Regisseur war er gnadenlos. Er ist in jeden so weit vorgedrungen, bis man zerplatzte. Mein Gott, wie oft bin ich von der Probe aufs Klo gerannt und habe geweint und gespieben und was nicht alles. Aber er war so unglaublich lustig. Und deswegen hängt sein Foto noch heute bei mir in der Wohnung.”
Zu einer österreichischen Institution jenseits der Theaterwelt hatte sie der Regisseur Peter Patzak gemacht, als Gattin und personifizierter Vorwurf an der Seite seines anarchisch-skurrilen TV-Kommissars Kottan (gespielt von Peter Vogel, Franz Buchrieser und Lukas Resetarits) – 17 Folgen und zwei Kinofilme lang. Patzak sagte damals auf profil-Anfrage über seine jahrzehntelange Protagonistin: „Die Verunsicherung liegt nur in ihr selbst. Ich kenne kaum eine Schauspielerin, die in Österreich dauerhaft so beschäftigt war und ist wie die Bibi – am Theater wie im Film und Fernsehen.“
Immer wieder hatte er ihre Figur in den Kottan-Episoden „dreckig” geschrieben und ihr Korruption, Intrigen Promiskuität, sogar ein Panscherl mit dem Polizeipräsidenten, verpasst: "Aber sie hat es trotzdem geschafft, jedes Mal wie ein Engel auszusteigen. Auch das Alter hat im Gesicht der Bibi einfach keine Zeichen gesetzt.“ Er stellte damals einen Brief aus dem Jahr 1983 zur Verfügung, den Zeller nach der endgültig allerletzten Klappe des TV-Kottan an ihn gerichtet hatte. Das Schreiben hat sie jedoch erst 25 Jahre danach abgeschickt, eine Verzögerung, die all jene, die „die Bibi” kannten, nicht weiter „verwunderte”. Dort stand zu lesen: „Lieber P.P.! Ich konnte nicht weinen in der allerletzten Einstellung: Ich musste versuchen, positiv in die Welt zu blicken, auch wenn alles aus ist … Die Jahre mit dir haben mir so viel gegeben. Glaube nicht, dass ich deshalb nicht leide an meiner Erinnerung. Wollen wir nicht versuchen, lachend zu sterben?”
Es bleibt die Hoffnung, dass ihr dies gelungen ist.