Das Leben und andere Unschärfen: Die eigenwilligen Filme des Hong Sang-soo
Der aus Seoul stammende Filmemacher Hong Sang-soo, 63, leistet Kinoarbeit im Akkord: Seit Mai 1996, als er mit „Der Tag, an dem ein Schwein in den Brunnen fiel“ sein Regiedebüt in die Welt setzte, hat er seine Filmschlagzahl beständig erhöht. Brachte er anfangs nur alle zwei Jahre ein Werk in die Kinos, begann er sich ab 2004 auf den Jahrestakt einzustellen; 2009 stieg Hong noch vehementer aufs Gas: Seither legt er jedes Jahr, neben kurzen Werken und Beiträgen zu Episodenfilmen, zwei bis drei Kinoarbeiten im Jahr vor, überschwemmt die großen Festivals regelrecht mit seinen betont bescheiden gehaltenen Erzählungen. In Locarno wird er in drei Wochen seine 32. abendfüllende Regiearbeit vorstellen.
In Hongs Universum treffen Fremde aufeinander, um sich in kommunikativen Sackgassen, seltsamen Missionen und improvisierten Trinkgelagen zu verirren, in Debatten über Kunst, Liebe und Macht; in diesen Filmen, bevölkert von Schauspielerinnen, Regisseuren und Dichtern, finden Suchbewegungen und Zufallsereignisse statt, werden Alltagskomik und eine hauchzarte Tragik in deliziöser Balance gehalten. „Storys“ in jedem gewichtigeren Sinn des Begriffs verweigert dieser Regisseur; lieber spürt er den scheinbar geringen Dingen des Lebens nach, den tagtäglichen Wiederholungen und ihren minimalen Variationen, der zirkulären Logik jeder Existenz.
Der auf avanciertes Weltkino spezialisierte Wiener Filmgarten-Verleih wird am 2. August gleich zwei rezente Hong-Produktionen nach Österreich liefern. In Wien, Graz, Villach und Innsbruck (und möglicherweise demnächst auch noch in anderen Städten) werden die Filme Nummer 29 und 30 zu sehen sein, die 2023 Premiere hatten: Sie heißen „Im Wasser“ und „Unser Tag“. Letzterer ist der nicht nur für Hong-Einsteiger lohnendere, vielfältigere der beiden; er kreist um unerwartete Begegnungen und spielerische Diskussionen (über die Kunst, das Essen und die Einsamkeit).
„Im Wasser“ ist das rätselhaftere Erzeugnis: Eine Filmproduktion stagniert, man wartet am Meeresstrand auf das passende Licht, die Selbstzweifel im kleinen Team entwickeln ein Eigenleben. Hongs Film ist in Unschärfen gehalten, in mehr, dann wieder weniger verschwommenen Bildern, als hätte die Undurchschaubarkeit der Figuren auch den Fokusregler der Kamera in Mitleidenschaft gezogen. Mit Mysterien zu Rande zu kommen, ist eben eine Voraussetzung des gelungenen Lebens.