Das Musical vom bösen Clown: Der "Joker" reüssiert beim Filmfest in Venedig
Der Rückkehr des Joker, der 2019, verkörpert von Joaquin Phoenix, Venedigs Goldenen Löwen errang, wurde am Lido heuer sehnsüchtig entgegengeblickt. Doch Regisseur Todd Phillips unterlief in „Joker: Folie à deux“ alle in ihn gesetzten Erwartungen und lieferte lieber eine bewusst gedämpfte Mischung aus Gefängnisfilm, Gerichtssaaldrama und Musical, eine Art Abgesang auf die Mythen der Populärkultur. Unter einer Folie à deux versteht man eine eine partnerschaftlich induzierte wahnhafte Störung. Sie entsteht im gegebenen Fall aus der Amour fou des bösen Clowns mit Harley Quinn, die er hinter Gittern kennenlernt.
Das infernalische, aber singende und tanzende Paar, das Phoenix und Lady Gaga hier bilden, reflektiert auch die depressive Struktur einer untergehenden Massenunterhaltungsindustrie: „That’s Entertainment“, intoniert der Joker höhnisch – und lässt mit dem schallenden Gelächter eines misshandelten Mörders erschaudern.
Die Tristesse und die Beklemmung, die im „Joker“-Sequel walten, würde man eher dem internationalen Autorenkino zuordnen als einer 200-Millionen-Dollar-DC-Comics-Produktion. Der Georgierin Dea Kulumbegashvili, 38, die den wohl nachdrücklichsten Film des heurigen Venedig-Wettbewerbs inszeniert hat, standen mit zwei Millionen Euro kaum mehr als ein Hundertstel des „Joker“-Budgets zur Verfügung. Aber der bleibende Eindruck, den ein Kunstwerk hinterlassen kann, ist eben – quod erat demonstrandum – keine Frage des Geldes.
Kulumbegashvilis zweiter Film nach ihrem weltweit akklamierten Extremismusdrama „Beginning“ (2020) heißt schlicht „April“ und folgt den gefährlichen Alleingängen einer Ärztin, die neben ihrem Job in einer Geburtsklinik auch illegale Abtreibungen durchführt. „April“ ist eine zwischen schroffem Naturalismus und allegorischem Surrealismus angesiedelte Existenzfabel um Geburt und Tod, die aber auch, auf äußerst unangenehme Art, um traktierte weibliche Körper, um Scham und Selbsthass kreist.