David Bowie von Alien bis Ziggy
Alien: Den vom Himmel Gefallenen stellte er früh dar. Als David Bowie 1976 in Nicolas Roegs Film "The Man Who Fell to Earth“ die Rolle des außerirdischen Titelhelden übernahm, war dies eine naheliegende Wahl, ein Fall von typecasting. Denn den dekadenten Science-Fiction-Helden hatte Bowie schon 1969, als junger Folk-Rocker gegeben - und er blieb beim Thema. 1971 goss er Mutmaßungen über die kinematografischen Qualitäten des "Life on Mars“ in einen Song, huldigte in "Starman“ ein Jahr später dem "hazy cosmic jive“.
Wenn er nicht gerade selbst aus dem Weltall zu kommen schien, träumte er sich als Raumschiffkommandant, als Major Tom (in dem Song "Space Oddity“), in die Weiten des Universums: "Hallo, Spaceboy“! Ein Astronautenschutzanzug liegt auch in "Blackstar“, seinem jüngsten Video, in einer stilisierten Mondlandschaft. Hinter dem Visier des Helms findet sich ein schmuckbesetzter Totenschädel. Damien Hirst lässt grüßen. Und Bowies makabrer "Moonage Daydream“ dauert an.
Berlin: Zwischen 1976 und 1979 lebte Bowie, auch aus steuerlichen Gründen, in Berlin-Schöneberg: Die dem Depressiven sehr zugeneigte Album-Trilogie "Low", "Heroes“ und "Lodger“ entstand hier, in Zusammenarbeit mit Musikern wie Brian Eno und Iggy Pop, in einer aus Heroin, Malerei und Club-Exzessen konstruierten Kunstwelt. In "Where Are We Now“ dachte Bowie 2013 noch einmal sehnsüchtig an seine Zeit im kalten Westberlin zurück - an den Potsdamer Platz, ans KaDeWe und die Nürnberger Straße.
Changes: Der berühmte Song mit der gestotterten Titelzeile mag inzwischen 45 Jahre alt sein, er passt immer noch perfekt: Die konstante Selbst-Transformation der öffentlichen Figur David Bowie bleibt dessen zentrale Methode. In dem inflationär benutzten Begriff vom "Pop-Chamäleon“ hat der Kulturbetrieb Bowie verzweifelt zu fassen versucht, aber der Künstler hatte auch in seinen stetig wechselnden ➝ Images stets mehr zu bieten als bloße Tarnungsfarbwechsel und Häutungsprozesse. Mit der Überbetonung seines performativen Narzissmus treibt Bowie seit Jahrzehnten die Selbstreflexion der Szene, in der er arbeitet, voran. Auf den von ihm sarkastisch proklamierten "Rock’n’Roll Suicide“ folgt verlässlich die Wiederauferstehung der ➝ Entertainment-Zombies.
Die samtene Revolution des David B. fand in der Idee des Glam ihre ideale Basis.
Entertainment: Im Unterhaltungsbetrieb der Popindustrie ist David Bowie ein Unikum. Als Songwriter ist er trotz stattlicher Meisterwerkliste nicht über jeden Zweifel erhaben, dazu bietet seine Diskografie seit 1965 dann doch zu viele mediokre Einträge. Aber es ist beeindruckend, zu sehen, wie sehr Bowie seit je die Avantgarde in seine kreativen Mischkalkulationen miteinbezieht: Der Ausfallsschritt ins Surreale ist ihm wichtiger als die Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung in den VIP-Zonen der Pop-Elite. Die in Bowies Laufbahn allfälligen Abstürze in den Mainstream - seine Duette mit Cher, Tina Turner und Mick Jagger etwa - bestätigen da nur die Regel.
Feminin / Maskulin: Den alten Machismo des Rock’n’Roll erweiterte der frühe Bowie beherzt ins Reich des Androgynen, machte sich im Umfeld der ➝ Glam-Bewegung in den frühen Siebzigern an den Grenzen zwischen Maskulinität und Weiblichkeit zu schaffen. Die Irritation weiter Teile seines Publikums verschaffte ihm nicht nur dessen feindselige Aufmerksamkeit, sondern auch den Respekt der (an und mit ihm lernenden) kunstsinnigeren Sympathisanten.
Glam: Mit flammend orangefarbenem Haar, blauem Lidschatten und Textilien in waffenscheinpflichtiger Farbgebung und Musterung setzte sich Bowie in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre in Szene. Hinter dem Glam-Rock, als dessen zentraler Exponent Bowie (neben Acts wie Marc Bolan, Roxy Music oder den New York Dolls) früh galt, stand das Konzept der radikalen Wandelbarkeit sexueller und musikalischer Identitäten. Die samtene Revolution des David B. fand in der Idee des Glam ihre ideale Basis.
Image: Die Kunst der Arbeit an sich selbst ist im Pop keine nach innen gerichtete Aktivität. In der Selbstinszenierung ist die unaufhörliche Bewegung der entscheidende Faktor. Die lange Karriere Bowies kennt aus gutem Grund kaum Trittbrettfahrer. Die wenigen, die es wagten, Bowie direkt zu zitieren oder nachzuahmen, wurden von der Popgeschichte erbarmungs- und rückstandlos verschluckt. Es war und ist praktisch unmöglich, einer Kunst, deren wesentliche Form darin besteht, ohne feste Form zu sein, einer Kunst der radikalen und ununterbrochenen Transformation (➝ Changes) nachzueifern.
Die vielen von Bowie erfundenen Kunstfiguren von ➝ Ziggy Stardust zu Aladdin Sane und weiter zum ➝ Thin White Duke sind Zeugnis der kreativen Mobilität des Briten; die Stilvielfalt seiner musikalischen Arbeit ist dazu die Parallelbewegung, die vom Blues der frühen Jahre bis zum weißen Soul ("Young Americans“, 1975) reicht und von Technopop ("Station to Station“, 1976), Krautrock und Post-Punk ("Low“, 1977) bis zu den Rock-Klischees der eher kurzlebigen Bowie-Band Tin Machine.
Kunst: Als Kunstsammler und Malerei-Connaisseur ist David Bowie, Musiker mit Art-School-Hintergrund, längst bekannt - in seiner Kollektion finden sich angeblich Gemälde von Tintoretto und Rubens, aber auch von Gavin Turk und Gilbert & George; seine ➝ Videos lässt er von Medienkünstlern wie Tony Oursler inszenieren (oder gestaltet sie gleich selbst, wie den berühmten Clip zu "Ashes to Ashes“, 1980). Sein Album "Outside“ (1995) ist von der Gugginger Art Brut geprägt, sein Gesamtwerk Stoff für global tourende Ausstellungen. Als bildender Künstler ist Bowie zudem selbst sehr aktiv: Er malt, zeichnet und fotografiert, verwischt dabei die Grenzen zwischen Pop und Kunst konsequent.
Als wäre er ein Wiedergänger Oscar Wildes, verhöhnt Bowie die unendliche Albernheit des Dauerwechsels der Moden: beep-beep!
London: Im Londoner Stadtteil Brixton wurde David Robert Jones am 8. Januar 1947 geboren. Seine Familie zog 1953 in den Vorort Bromley um. Unter den Rock’n’Roll-Singles, die sein Vater Mitte der 1950er-Jahre mit nach Hause brachte, beeindruckte den kleinen David vor allem Little Richards hysterische Originaleinspielung von "Tutti Frutti“ (1955): Er habe "Gott gehört“, sprach Bowie später - und brach in sein Kunst-, Musik- und Designstudium auf. Der Rest ist Geschichte.
Mode: In David Bowies selbstreferenziellem System hat die Mode ihren sicheren, aber keineswegs ehrenvollen Platz: Den Januskopf der Bekleidungsindustrie bespottete er in "Fashion“, einem Track seines Albums "Scary Monsters“, mit dem er die infernalischen 1980er-Jahre mit Ausflügen ins Atonale stilgerecht begrüßte. Der neue Mode-Tanz, den Menschen aus schlechten Verhältnissen aufführten, heißt es in "Fashion“, sei belastend und angstbesetzt, richtungslos ("Turn to the left / Turn to the right“) und unlogisch ("Listen to me / Don’t listen to me / Talk to me / Don’t talk to me“). Als wäre er ein Wiedergänger Oscar Wildes, verhöhnt Bowie die unendliche Albernheit des Dauerwechsels der Moden: beep-beep!
Ruhm: Günstig fiel auch Bowies Sicht auf das Phänomen des Weltruhms nicht aus: In "Fame“ stellte er 1975 nur kühl fest, dass Berühmtheit bloß ein Hohlraum sei, in dem einen "kein Morgen“ erwarte: "Is it any wonder I reject you first?“
Stern: Gleich vier der elf Nummern, die sich auf dem bahnbrechenden Konzeptalbum "The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars“ (1972) finden, tragen den Begriff "Star“ im Titel (neben dem Titelsong heißen sie "Starman“, "Lady Stardust“ und schlicht "Star“). Andere Bowie-Songs wie "The Prettiest Star“ (1970), "New Killer Star“ (2003) und nun eben auch "Blackstar“ (2015) zeigen die anhaltende Prominenz-Obsession des Künstlers. Tatsächlich ist der Stern der zentrale Begriff im futuristischen Bowieversum. Er sei übrigens kein Filmstar, kein Popstar, kein Pornostar und kein wandering star, singt er in "Blackstar“. Welche Identität muss man Bowie am Ende zuschreiben? Vielleicht ist er wirklich nur eines: der schwarz funkelnde Stern einer abstürzenden Unterhaltungsindustrie.
Thin White Duke: Adel und Auszehrung haben in der Selbstinszenierung Bowies viel miteinander zu tun: Die blasse Figur des Thin White Duke beendete um 1975/76 mit ihren dunklen Maßanzügen und streng zurückgekämmtem Haar die farbenfrohen Jahre des Glam. Der dünne Fürst der Drogen und der Pop-Subversion widersprach damit vehement der ➝ Mode der Hippie-Ära und erwies sich einmal mehr als Fashion-Prophet.
Ruhm und Staub, sie sind im Werk des David Bowie eins.
Video: Das Unternehmen Bowie basierte von Anfang an auf "Sound and Vision“: Von den frühen 1970er-Jahren an, lange vor der Etablierung MTVs, stilisierte sich David Bowie als video artist, als Bilderstürmer, der seine Songs kongenial visualisierte. Noch heute lanciert er seine Comebacks per Video: In dem zehnminütigen "Blackstar“-Clip tritt Bowie mit Gesichtsbandagen, als Versehrter auf - mit zwei Brandlöchern anstelle seiner Augen.
Warhol: Einen Song namens "Andy Warhol“ veröffentlichte Bowie bereits 1971, auf "Hunky Dory“, seinem vierten Album. 25 Jahre später stellte er seinen Mentor, den enigmatischen Meister der Pop Art auch im Kino dar, in Julian Schnabels "Basquiat“ (1996). Das Rätselhafte der Oberflächen ist die Grundlage der Kunst, so viel hat Bowie von Warhol gelernt: Über seine Arbeit mit dem Briten (an "Merry Christmas, Mr. Lawrence“, 1983) hat der japanische Regisseur Nagisa Oshima einst berichtet, Bowie sei kein Schauspieler, der Erklärungen einfordere. Er sei "in dieser Hinsicht eher orientalisch“.
Ziggy: Unter all den Kunstfiguren, die David Bowie im vergangenen halben Jahrhundert erdachte und verkörperte, kommt Ziggy Stardust, dem fiktiven linkshändigen Gitarristen - bleich, selbstdestruktiv und glamourös "wie eine japanische Katze“ -, eine privilegierte Position zu. Mit der Überblendung von zynischem Gitarrenrock und Kubrick’schem Modernismus erregte Bowie als egomanischer Ziggy 1972 Aufsehen. "Ziggy played guitar“, aber seine Band, die Spiders from Mars, zerbricht daran: Ruhm und Staub, sie sind im Werk des David Bowie eins.
Die Rezension zu Bowies neuem Album "Blackstar" finden Sie hier.