David Schalko: "Das heutige Österreich ist im KZ entstanden"
INTERVIEW: STEFAN GRISSEMANN
profil: Auf dem Umschlag Ihres jüngsten Romans findet sich ein Zitat von Josef Hader: "David Schalko sieht unbestritten aus wie ein Genie. Es spricht aber auch einiges dafür, dass er eins ist." Werde ich unserem Gespräch überhaupt folgen können? Schalko: Der Josef hat das vermutlich nur gesagt, damit ich mir nie wieder meine Haare kämme.
profil: Der Genie-Begriff ist eine Frage der Frisur? Schalko: Ich glaube, man erkennt ein Genie ausschließlich an den Haaren. Insofern ist der Begriff doch sehr überschätzt. Ein Genie ist doch wohl jemand, der etwas ohne Üben beherrscht. Und ich habe viel geübt in meinem Leben, insofern stimmt der Satz naturgemäß nicht. Ich kenne jedenfalls kein Genie - außer vielleicht Josef Hader.
profil: Elegantes Understatement auf dem Buchrücken sieht jedenfalls anders aus. Schalko: Ich finde, dass vor allem Josef Hader mit dem Satz sein eigentliches Genie bewiesen hat.
profil: "Schwere Knochen", Ihr nächste Woche erscheinendes Buch, hat mit 570 Seiten das Volumen Ihrer drei vorhergehenden Romane zusammen. Haben Sie es diesmal auf epische Breite angelegt? Schalko: Nein. Mein Verlag hatte anfangs Wert darauf gelegt, mir einzuschärfen, dass der Roman keinesfalls mehr als 300 Seiten haben sollte, weil das angeblich so schlecht für den Verkauf ist. Also habe ich das hoch und heilig versprochen. Beim Schreiben bemerkte ich dann aber, dass diese Geschichte zu groß war. All diese Milieus und Zeitenwenden gaben am Ende viel mehr her als gedacht. Das ist eine reiche Welt, an der man sich kaum sattschreiben kann.
profil: Wir sitzen hier im Café Weidinger am Wiener Gürtel, exakt 80 Jahre nach dem sogenannten "Anschluss" Österreichs an Nazi-Deutschland. Seltsam. Schalko: Reiner Zufall. Ich hatte nur diese kurze drehfreie Phase. Aber es ist ein guter Zufall -jedenfalls besser als der 20. April. An diesem Tag wird übrigens der Drehschluss für meine Serie "M" sein.
profil: Der "Anschluss" verwandelt die kleinkriminellen Protagonisten Ihres Romans in Schwerverbrecher. Die Geschichten, die sie erleben, sind teils recherchiert, teils fantasiert. Schalko: Ich habe diesen Stoff zehn Jahre lang mit mir herumgetragen. Er war einmal eine Filmidee, dann eine Serienidee. Aber alles scheiterte immer wieder am Geld, weil es natürlich unfassbar teuer wäre, dies zu verfilmen. Über die Jahre habe ich immer mehr an Recherche zusammengetragen, habe Bücher gelesen und Legenden erforscht -und irgendwann war mir das Sprachliche dann mehr wert als ein Film. Außerdem wollte ich vor zwei Jahren, nachdem ich so viel gedreht hatte, einfach auch einmal wieder ein Buch schreiben.
Wenn ich nach Monaten von einem Drehmarathon heimkomme, bin ich derart ausgelaugt, dass ich nicht einmal mehr entscheiden kann, ob ich einen Espresso oder eine Melange trinken will.
profil: Hatten Sie zwei Jahre lang nichts anderes zu tun, als diesen Roman zu schreiben? Schalko: Wenig, denn die ersten beiden Folgen der Serie, die ich gerade drehe - ein sehr freies Remake des Fritz-Lang-Klassikers "M" -, hatte ich bereits geschrieben, und ich wartete anderthalb Jahre lang auf die Finanzierung. Ich hatte die Hoffnung fast schon aufgegeben.
profil: Schreiben ist Ihnen lieber als Drehen? Schalko: Ja, es ist viel weniger anstrengend. Am Set, wo man 16 Stunden täglich in der Kälte steht, belagern einen dauernd 40 Menschen und fordern Entscheidungen. Wenn ich nach Monaten von einem solchen Drehmarathon heimkomme, bin ich derart ausgelaugt, dass ich nicht einmal mehr entscheiden kann, ob ich einen Espresso oder eine Melange trinken will.
profil: Sie drehen ja auch viereinhalbstündige Serien, wo andere sich mit 90 Minuten zufrieden geben. Schalko: Das muss jetzt eh einmal aufhören. Vor allem drehe ich meine Viereinhalbstünder in weniger Zeit, als andere für ihre Kinofilme zur Verfügung haben. In diesem Seriengeschäft hat man einfach nicht genug Drehtage. Wenn man an sich selbst einen gewissen Anspruch stellt, sind zehn Tage für 45 Minuten ein Witz. Bei "Braunschlag" hatten wir pro Folge nicht einmal acht Drehtage. Und die Budgets werden immer geringer - wenn auch "M" das vergleichsweise teuerste Projekt ist, das ich je gemacht habe. Aber es ist derart aufwendig, hat so viele Szenen - und 130 Schauspieler -, dass trotzdem alles auf Kante ist.
profil: Sie wollten einst selbst Schauspieler werden. Schalko: Kurz, ja. Ich war als junger Mensch wahnsinnig beeindruckt von Oskar Werner. Am Reinhardt Seminar wurde ich abgelehnt - vermutlich, weil ich beim Vorsprechen versucht habe, wie Oskar Werner zu spielen. Eine Farce.
profil: Als Autor haben Sie einen ganz eigenen Sound: diese sarkastische, bisweilen auch zynische Erzählerstimme. Schalko: Ja, sie soll so klingen wie ein sehr sprachbegabter Angeheiterter, der einem beim Branntweiner 30 Jahre später eine Geschichte erzählt. Ich hab versucht, mir einen Berichterstatter vorzustellen, der selbst nicht genau weiß, was passiert ist. Manches ist eher weitergesponnene Legende, anderes ist Faktum. So funktioniert letztlich der ganze Roman: Manche Dinge darin sind erfunden, andere wahr oder bei aller Übertreibung wenigstens im Kern authentisch. Die Legendenform prägt das Buch. Aber so hat die Wiener Unterwelt jener Zeit eben über sich selbst gesprochen - ein bisschen größer als das Leben.
profil: Wie recherchiert man den verflossenen Klang dieses Milieus? Schalko: In meiner Jugend gab es noch Überbleibsel aus jener Zeit, die sich mit vielen fremden Federn schmückten, zum Beispiel damit prahlten, den "Notwehr-Krista" noch gekannt zu haben.
profil: Auf der Biografie dieses Wiener Unterweltlers basiert Ihre Hauptfigur, der "Notwehr-Krutzler"? Schalko: Ja, den Krista gab es wirklich, er wurde mehrmals wegen tödlicher Notwehr freigesprochen. Etliche weitere Figuren in meinem Buch sind an die Realität angelehnt, aber eben auch verfremdet, vermischt oder überhöht.
Die politischen Häftlinge im KZ haben ebendort begonnen, an der österreichischen Verfassung zu werken, Utopien zu entwickeln, wie dieses Land nach dem Krieg aussehen sollte.
profil: Sie haben Ihren Roman zum dritten Teil einer "Trilogie der Gier" erklärt, die mit Ihren TV-Serien "Braunschlag" und "Altes Geld" begonnen hat. Was haben diese Werke miteinander zu tun? Schalko: Es gibt leise Echos und Verweise aufeinander. Wenn "Schwere Knochen" eine Serie geworden wäre, hätte Nicholas Ofczarek wohl den Krutzler gespielt. Ich wollte die Trilogie mit etwas Historischem beenden, das trotzdem etwas über das gegenwärtige Österreich erzählt. "Altes Geld" sitzt in der Mitte, weist aus dem Heute in den Zweiten Weltkrieg zurück. Und die Dimension der Gier steigert sich. In "Braunschlag" ist sie noch überschaubar, danach wird sie uferlos. "Schwere Knochen" erklärt, auch wenn das Buch in einem Wien spielt, das es nicht mehr gibt, warum Österreich zu dem wurde, was es heute ist. Das kleine Land, das wir heute als selbstverständlich erachten, gab es damals nicht. Erst war es das k. u. k. Imperium, dann dieses seltsame Zwischenkriegsösterreich, von dem aber auch niemand wusste, was es eigentlich sein sollte. Das heutige Österreich ist im Wesentlichen im KZ entstanden.
profil: Im KZ? Schalko: Ja, weil dort der österreichische Patriotismus entstand. Die politischen Häftlinge haben ebendort begonnen, an der österreichischen Verfassung zu werken, Utopien zu entwickeln, wie dieses Land nach dem Krieg aussehen sollte. Auch deshalb wollte ich eine KZ-Geschichte aus Unterweltsicht erzählen, weder aus klassischer Häftlings-noch aus Nazi- Täterperspektive, wie es beispielsweise Jonathan Littell in "Die Wohlgesinnten" tut. Die Kapo-Perspektive ist in der deutschsprachigen Literatur noch unerzählt.
profil: Ende 2013 kündigten Sie in der Berliner "taz" Ihr nächstes Projekt an: einen historischen Roman, der den Arbeitstitel "Die Geschichte des Windes" tragen und "von der urkomischen österreichischen Kolonialzeit auf den Nikobaren" handeln werde. Schalko: Ja, auch das wäre eine Geschichte der Gier geworden. Vielleicht schreibe ich den Roman noch. Aber das war zu nahe an anderen Kolonialromanen, die gerade erschienen waren -etwa Christian Krachts "Imperium".
profil: Ihre Trilogie verhandelt also eine sehr österreichische Spielart der Gier? Schalko: Ja. Man könnte auch Korruption dazu sagen. Aber das hätte es nicht ganz getroffen.
profil: Weil Korruption zu wenig existenziell klingt? Schalko: Sie entspricht zu sehr Österreichs Normalität. Korruption ist Alltag, die Gier hat aber viele Formen. Und in Österreich ist sie speziell, weil sie sich anders formuliert. Bei uns ist ja auch die Korruption etwas Brachiales. In anderen Ländern wird sie als Kunstform verstanden.
Mich interessieren Figuren, die auf den ersten Blick unsympathisch wirken, bei genauerer Inspektion aber doch auch menschlich erscheinen.
profil: Bestechlichkeit mit feiner Klinge? Schalko: In Rom gibt es eine sehr korrupte Stelle, bei der man um Drehgenehmigungen ansuchen muss. Dort wird nicht offen Schmiergeld verlangt, der Beamte weist stattdessen auf ein Gemälde an der Wand, das er verkaufen möchte. Wie viel man denn dafür zahlen würde? Die Wände des Besprechungszimmers einer italienischen Filmproduktion sind voll mit diesen Bildern.
profil: Es ist natürlich grässliche Malerei. Schalko: Selbstverständlich, völlig überteuerter Kitsch.
profil: Sie beschreiben die Diebe, Zuhälter und Mörder Ihres Romans mit erstaunlicher Empathie. Wie ringt man diesen Menschen so viel Positives ab, dass man gerne zwei Jahre mit ihnen verbringt? Schalko: Ich fände es billig, sie bloß zynisch zu betrachten. Warum sollte ich dann überhaupt von ihnen erzählen? Mich interessieren Figuren, die auf den ersten Blick unsympathisch wirken, bei genauerer Inspektion aber doch auch menschlich erscheinen. Das gelingt mir manchmal besser, manchmal schlechter. Fallweise wird es eben, wie in "Altes Geld", sehr kühl. Aber ich bemühe mich um Empathie. Man kennt das aus Mafiaromanen oder -filmen. Das sind auch alles handfeste Arschlöcher, dennoch faszinieren sie einen. Je mehr ich recherchierte, desto klarer wurde mir, dass auch in Wien, wo man es nie vermuten würde, ein großes Mafia- Epos verborgen lag.
profil: Mitgefühl für den Halsstichkiller? Schalko: Ja, der Krutzler ist kein Guter, aber er ist auch ein verletzter Mensch, der nie das Glück hat, am richtigen Ort zu stehen. Und wenn er angerempelt wird, weigert er sich halt, Platz zu machen. Er ist auch jemand, der zu lieben weiß. Er kann es nur nicht zeigen.
profil: Ich habe Sie im Verdacht, dass Sie ein todernstes Buch gar nicht schreiben könnten. Schalko: Ich habe es wirklich probiert, früher einmal. Es geht nicht. Bei Michael Haneke ist es vermutlich genau umgekehrt: Wenn der eine Komödie schreiben will, wird es trotzdem immer tragisch. Jeder hat seine eigene Temperatur. Das Tragische ist nicht meine Façon. Abgesehen davon liegt die substanzielle Komödie nahe an der Tragödie. Ich mache da keinen großen Unterschied.
profil: Fanden Sie es nicht problematisch, sich sogar den Szenen in den Konzentrationslagern Dachau und Mauthausen mit diesem polemischen Unterton zu nähern? Schalko: Das ist natürlich das gefährlichste Kapitel, es war auch das arbeitsintensivste. Ich wollte, dass da kein Satz drin steht, der nicht stimmt.
profil: Was wäre denn die Wahrheit einer halbfiktiven Kriminellengeschichte, die auch durch ein Vernichtungslager führt? Schalko: Alles, was da passiert, ist tatsächlich geschehen: wie die Kapos arbeiteten, wie der Alltag im KZ aussah. Ich erzähle von Handlangern der Nazis, die sich zugleich auf Opfer- und Täterseite befinden.
Mehr Angst als Strache machen mir Leute wie Herbert Kickl oder Menschen aus der zweiten Reihe der Rechtspopulisten.
profil: Die Faktentreue ist eine Sache. Aber wie flapsig soll oder darf man vom Leben im KZ erzählen? Schalko: Es ist nicht flapsig, sondern sehr genau. Die Melodie mag salopp sein. Aber das ist ein Walzer auch. In jedem Konzentrationslager gab es Humor und Routine. Roberto Benignis Film "Das Leben ist schön" gehört für mich zu den allerbesten Versuchen über das Thema. Letztlich ist der Witz die beste Waffe gegen den Faschismus. Der Vorschlaghammer der Betroffenheit bewirkt nichts mehr, er hat uns alle abgestumpft. Nichts macht Hitler kleiner als ein Witz über Hitler.
profil: Provozieren wollten Sie nicht? Schalko: Allenfalls im Sinne der Belebung.
profil: Worauf griffen Sie in der Recherche zurück? Auf Kriminalarchive, Online-Datenbanken, historische Berater? Schalko: Auf all das. Und auf Bücher und vor allem auf Erzählungen Überlebender. Ich habe wirklich viel geforscht, wollte aber keine Dissertation, keinen "recherchierten Roman" schreiben, bei dem man ständig den Eindruck hätte, der Autor wolle nur mit seinem Wissen punkten. Man muss aber, um ein solches Buch zu schreiben, Bescheid wissen: was die Leute damals getrunken haben, wie sie es getrunken haben, was sie getragen haben und wo sie aufs Klo gegangen sind. Wenn man solche Dinge nicht weiß, bewegt man sich wie ein Blinder durch eine Welt, die man nicht kennt.
profil: Nicht alle Ihre Arbeiten stießen bei der Kritik auf Zustimmung. Wie gehen Sie mit Verrissen um? Schalko: Ich bin leicht beleidigt, fühle mich missverstanden, und eine Woche später denke ich oft: Stimmt eh alles. Man ist ja nur deshalb von einer Kritik gekränkt, weil man weiß, dass sie einen wahren Kern trifft. Ich glaube auch, dass jedes Scheitern Teil des Lernprozesses ist. Wobei eine gute Hymne schwerer zu schreiben ist als ein billiger Verriss.
profil: Fritz Langs "M" war eine Schreckensvision von der kommenden NS-Ära. Wird Ihre Version von einem neuen Präfaschismus erzählen? Schalko: Wir leben in Zeiten, die uns mit einer Politikergeneration konfrontieren, die Gewaltentrennung im Staat, einen der wichtigsten demokratischen Grundsätze, nicht respektiert. Der direkte Weg zu herrschen steht über allem; und dieser direkte Durchgriff ist etwas sehr Präfaschistoides. Denn das Wesen der Demokratie ist ja nicht, dass die Mehrheit herrscht und alle anderen das Maul halten müssen - es ist das Minderheitenrecht. Dieses Bewusstsein fehlt gegenwärtig vielen Regierungen im Westen. Wenn dazu auch noch Überwachungstechnologien und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich kommen, wird es gefährlich.
profil: Sie haben vor ein paar Jahren gesagt, vor Heinz-Christian Strache müsse man keine Angst haben? Gilt das noch? Schalko: Mehr Angst als Strache machen mir Leute wie Herbert Kickl oder Menschen aus der zweiten Reihe der Rechtspopulisten. Leute aus dem identitären Umfeld bereiten mir mehr Kopfzerbrechen, sie sind die großen ideologischen Umwälzer. Derzeit wird in Österreich eine Politik betrieben, die sich alles aus der Wirtschaft abgeschaut hat. Diese Republik wird wie ein Unternehmen geführt. Dazu aber fehlt den Strategen, die aktuell an der Macht sind, der ethische und intellektuelle Background.