Kommentar

Der Fall Teichtmeister überschattet den Österreichischen Filmpreis

Gala im Krisenmodus: Der Österreichische Filmpreis laboriert am posttraumatischen Teichtmeister-Syndrom.

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Die vielfachen Krisen, in denen das Kino als verflossenes Leitmedium weltweit steckt, nagen hierzulande noch ein paar Nuancen intensiver an der Substanz als anderswo. Denn wenn nun, am Donnerstagabend, im Globe Wien die Gala zum Österreichischen Filmpreis 2023, inszeniert von der Regisseurin Catalina Molina, über die Bühne gehen wird, gilt es nicht nur, ideologische Grabenkämpfe zu konterkarieren und dem noch immer problematischen Post-Covid-Publikumsschwund entgegenzuwirken, sondern auch auf die vielgestaltigen Politquerelen zu reagieren, die in Österreich allgegenwärtig sind.

Dieser Filmpreis ist eine relativ junge Veranstaltung: Erst seit 12 Jahren vergibt Österreichs 2009 gegründete Filmakademie ihre Auszeichnungen – und bislang pendelte man zwischen den Gala-Schauplätzen Wien und Grafenegg. Aus der Entrüstung der Kulturszene über das Regierungsabkommen der niederösterreichischen ÖVP mit der FPÖ wuchs Ende März jedoch auch die Überzeugung der Filmakademie, vorläufig nicht mehr in jenem Bundesland feiern zu können. 2024 werde man die Gala jedenfalls nicht wie eigentlich geplant in Grafenegg abhalten.

Die Präsidentschaft der Filmakademie haben derzeit die Schauspielerin Verena Altenberger sowie der Produzent und Filmemacher Arash T. Riahi inne. Auch das Thema Machtmissbrauch in der Filmbranche hält sie in Atem. Denn in gleich zwei nominierten Filmen tritt ein Künstler auf, mit dem man nun nichts mehr zu tun haben will. In Marie Kreutzers Historienspektakel „Corsage“, das die Liste mit acht Nominierungen anführt, und in Ruth Maders Nonnenpsychothriller „Serviam – Ich will dienen“ (nur im Bereich Maskenbild nominiert), schreibt der Akademie-Vorstand, wirke ein Schauspieler mit, „der wegen des Besitzes von sexuellen Missbrauchsdarstellungen Minderjähriger zum Leid zahlreicher Kinder beigetragen hat. Florian Teichtmeister ist zwar ein prominenter, aber leider bei weitem kein einzelner Fall.“

Die aktuellen Debatte habe letzthin Dinge ans Licht gebracht, denen man sich als Kulturbranche, als Gesellschaft stellen müsse. Man sei „zu der Entscheidung gekommen, diese Filme nicht unkommentiert im Rahmen des Filmpreises 2023 zu präsentieren und ihre Öffentlichkeit dazu zu nutzen, das Thema Gewalt (nicht nur) an Kindern noch stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen sowie mit Expert:innen und Opferschutzorganisationen an Schutz- und Präventionsmaßnahmen, Richtlinien, Handlungsanleitungen und Sicherheitskonzepten zu arbeiten, um Missbrauchsvorfälle verhindern zu können.“

Die Frage wird nun natürlich sein: Werden die knapp 600 Akademie-Mitglieder – vornehmlich VertreterInnen der Filmberufsgruppen – es wagen, den favorisierten (und künstlerisch untadeligen) Film „Corsage“ auszuzeichnen, obwohl darin ein Täter in prominenter Darstellerposition zu sehen sind? Oder wird man Marie Kreutzers achtfach nominierte Arbeit dafür abstrafen, dass sie mit den falschen Leuten gearbeitet hat? (Auch um einen zweiten Schauspieler ihres Ensembles ranken sich verstörende Gerüchte, aber ja, es gilt selbstredend die Unschuldsvermutung.) 

Für Konkurrenz ist immerhin gesorgt: Das queere Bundesheerdrama  „Eismayer“ kommt auf sieben Nominierungen, die Weltkriegserzählung „Der Fuchs“ wie der Science-fiction-Film „Rubikon“ auf fünf, das Liebesmärchen „Sterne unter der Stadt“ und die römische Charakterstudie „Vera“ gehen mit jeweils vier Nennungen ins Rennen. Es wird spannend. Und möglicherweise auch lehrreich.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.