Der Formforscher: Lois Renner (1961–2021)
von Angela Stief
Am Samstag vorvergangener Woche besuchte ich Lois Renner in seiner Heimatstadt Salzburg, um über eine mögliche Zusammenarbeit zu sprechen. Er zeigte mir sein aktuelles Projekt, das nun sein letztes bleiben wird: Ein gigantisches Modell türmte sich im bewaldeten Garten seines Salzburger Elternhauses auf; er hatte einen noch nicht fertiggestellten Faun inmitten einer Kulisse aus Felsen sowie künstlichen und natürlichen Gewächsen platziert. Technische Gerätschaften wie Lampen und Kameras, aber auch Handwerksutensilien waren um das Set herum verstreut. Klein neben der oben thronenden Figur, die er nach einem muskelbepackten Modell geschaffen hatte, stellte sich der Künstler selbst mit Malerkittel in einem 3D-Print dar.
Das Modell im Modell war eine Art Signatur, die er häufig in seine Werke integrierte. Renner sprach stolz von einer „Water Sculpture“. Er liebte die Natur und die Elemente, vor allem das Wasser, aber auch dramatische, fast künstlich wirkende Stimmungen des Himmels, die er vom Glashaus seiner Dachwohnung in Wien beobachtete, hatten es ihm angetan. Über die breitbeinig dasitzende Figur hatte Renner tags zuvor einen Kübel mit Wasser geschüttet, während seine Mutter auf einer Leiter stehend den Auslöser der Kamera betätigte. In hoher Auflösung hielt er die Szene, den kaum wahrnehmbaren Moment, in dem noch die kleinsten Spritzer und Tropfen plastisch wurden, akribisch fest. Es ging dem Perfektionisten, der sich selbst und der Kunst alles abverlangte, um eine übersteigerte, brüchig gewordene Realität. Eine doppelbödige Wirklichkeit, die zu einer täuschend ähnlichen Simulation ihrer selbst geworden war.
Stets dominierte der ästhetische Schein das Sein. Barocke Opulenz vermischte sich in Renners Bildern mit einem modernen Willen zur Konstruktion. Für seine Versuchsanordnungen, die er auch „Formforschung“ nannte, stellte Renner, der sich als Maler verstand, häufig sein Atelier – man könnte auch sagen: seine Künstlerexistenz – modellhaft nach, fotografierte, übermalte, fotografierte wieder.
Der Sohn eines wohlhabenden Malermeisters, der in den 1980er-Jahren bei Gerhard Richter an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert hatte, zielte auf die Umkehrung dessen, was damals angesagt war: Er malte nicht fotografische Vorlagen ab, sondern fotografierte die eigenen Bilder, die zuvor freilich zahlreiche mediale Verwandlungen durchlaufen hatten.
Über die Wahrheit in der Kunst meinte Renner einmal, dass die Malerei das Gefühl zeige und die Fotografie die Wahrheit. Lois Renner war ein Meister der Inszenierung, der die Grenzen zwischen fact und fiction zu verwischen verstand. Ein höchst eloquenter Künstler, ein Intellektueller, der Realität so lange modulierte, reproduzierte und verzerrte, bis sie zur Kenntlichkeit entstellt war.
Am vergangenen Samstag ist Lois Renner in seinem 60. Lebensjahr bei einer Wanderung auf den Untersberger Dopplersteig unerwartet und ganz plötzlich gestorben. Es war ein kurzer, schmerzloser Tod in einer wunderschönen Landschaft, die irreal, beinahe wie eine seiner Kulissen wirkte. Mein Besuch in kuratorischer Mission nahm am 21. August also eine schicksalhafte Wendung. Ich war wohl die Letzte, mit der er über die barocken modelli, die den Kern seiner Arbeit bildeten, gesprochen hat. Lois Renner wurde aus dem Leben gerissen – dramatisch und viel zu früh. Vielleicht hätten ihm die Umstände seines Todes sogar gefallen. Seine Arbeit jedenfalls wird weiterleben, ganz nach dem Motto, das er für sich selbst geprägt hat: „Lieber Maler-Fürst als Foto-Graf.“