Der freiheitliche Kulturbegriff: Viel Blasmusik und Hauptsache nicht nackt
Vorneweg: Wirklich versöhnlich wirkt das Kulturkapitel im 92-seitigen FPÖ-Wahlprogramm nicht. Zum einen ist es nicht sonderlich lang, nur neun Mal kommt das Wort „Kunst“ vor. Zum anderen geht es, wenn dann einmal von „Kultur“ die Rede ist, primär um den Erhalt einer „christlich-abendländischen“ Identität, um Österreichs Brauchtum und seine Traditionen. Das wichtigste Instrument dabei: „Unsere Muttersprache“. Konkreter wird es nicht.
Das FPÖ-Parteiprogramm, beschlossen unter Ex-Obmann Heinz-Christian Strache im Jahr 2011, ist da schon etwas ausführlicher. Dort definieren die Freiheitlichen Kultur als „Gesamtheit aller menschlichen Ausdrucksformen“, sie finde „ihre höchste schöpferische Ausdrucksform in der Kunst“. Die Hauptaufgabe der Kulturpolitik sei demnach die „Förderung der Weiterentwicklung des kulturellen Reichtums“, die Politik könne dabei aber lediglich „Rahmenbedingungen zur Gewährleistung der Freiheit und Vielfalt der Kunst“ leisten. Kunst dürfe nicht staatlich instrumentalisiert werden, sie sei „Selbstzweck“.
Bei den einzelnen Forderungen im Wahlprogramm für die Nationalratswahl 2024 haben die Freiheitlichen das alles wohl nicht mehr so eng gesehen. Statt „Gewährleistung der künstlerischen Freiheit und Vielfalt“ liest man dort: „Künstler, die etwas können, sollen gefördert werden, nicht jedoch sogenannte Staatskünstler, die wenig mehr aufzuweisen haben als ‚die richtige Gesinnung‘“. Man wolle bestehende Förderungen und Subventionen evaluieren, besonders in Bezug auf jene Künstler, „die sich während der Corona-Krise maßnahmenkritisch gezeigt haben“ und nun „von der Kulturschickeria wie Aussätzige behandelt werden, während ‚woke Events‘ wie der sogenannte ‚Song Contest‘ oder die ‚Wiener Festwochen‘ mit Zwangsabgaben finanziert werden“. Stattdessen gelte es die „Volkskultur“ zu unterstützen, also „heimische Musikverbände, Chöre und Musikkapellen“.
Stichwort „Volkskultur“. In der freiheitlichen Kommunikation ist sie der beständige Gegenspieler zum zeitgenössischen Kunst- und Kulturleben einer „linken Kulturschickeria“. Man muss sich quasi entscheiden: Schuhplattler oder Eurovision Song Contest, Blasmusik oder Volkstheater. In einer Presseaussendung formulierte der freiheitliche Kultursprecher und Nationalratsabgeordnete Thomas Spalt schon im Jänner 2024: „Für die Volkskultur, die Heimat- und Brauchtumspflege haben ÖVP und Grüne überhaupt nichts übrig. Es ist daher so notwendig, dass es auch im Kunst- und Kulturbereich zu einer politischen Wende mit einer FPÖ-geführten Bundesregierung und einem Volkskanzler Herbert Kickl kommt!“
Vor dieser potenziellen politischen Wende warnen Kulturschaffende seit dem Beginn der blau-schwarzen Koalitionsverhandlungen. 150 von ihnen, darunter Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, die Schriftstellerinnen Monika Helfer und Eva Menasse, der Musiker Reinhold Bilgeri, die Schauspielerin Erika Pluhar und Cornelius Obonya, unterzeichneten im Jänner einen offenen Brief an die ÖVP und forderten das sofortige Ende der Koalitionsverhandlungen. Im Wortlaut: „Die FPÖ ist in keinerlei Regierungskonstellation tragbar. Sie zerstört das größte Kapital, über das die Republik Österreich verfügt, ihr überall in der Welt größtes Ansehen als Kunst- und Kulturland. Der FPÖ die Möglichkeit zu regieren zu geben ist unverantwortlich, sie kann und will und wird weder irgendwen oder irgendetwas respektieren, sie wird es höchstens dulden, bis sie sich nicht mehr daran halten muss.“
Künstlerinnen und Künstler befürchten, dass die kulturelle Infrastruktur zerschlagen und auf gefällige Programme reduziert werden könnte. Kunst- und Kulturangebote, die sich kritisch mit gesellschaftlichen Entwicklungen befassen und nicht ins Konzept rechter Ideologie passen, könnte man einfach aushungern lassen. Es geht um viel Geld: Im Jahr 2024 schüttete alleine der Bund 668,8 Millionen Euro an Subventionen aus.
In anderen Ländern ist das schon passiert. Die slowakische Kulturministerin Martina Šimkovičová tauschte Direktorinnen und Direktoren wichtiger Institutionen gegen Parteifreunde aus, hetzt immer wieder gegen eine westliche, liberale Kultur. In Ungarn fahren regierungsnahe Medien regelmäßig Kampagnen gegen Kunstschaffende. Kriszta Székely, Regisseurin am Katona József Theater in Budapest, sagt gegenüber dem Falter: „Wir werden als Kinder des Westens bezeichnet und unsere Stücke als politische Propaganda diffamiert.“
Auch die FPÖ hat in der Vergangenheit immer wieder einzelne Akteure der Kulturbranche angegriffen. So sagte FPÖ-Bundesparteiobmann Herbert Kickl bei einem Wahlkampfauftritt in Bezug auf die Salzburger Festspiele, er wolle „bei diesen Heuchlern, dieser Inzuchtpartie“ gar nicht dabei sein. Den Direktor des Wiener Volkstheaters Kay Voges, der immer wieder vor dem Erstarken des Rechtspopulismus warnt, bezeichnete die FPÖ in einer Presseaussendung als „ultralinken Staatskünstler“, dessen Theater „ohne Subventionen nicht überlebensfähig wäre“. Schon 2023 legte ihm die FPÖ Wien nahe, das Theatermachen jenen zu überlassen, die ein „ehrliches Interesse daran haben, Kultur zu vermitteln und nicht Nestbeschmutzung zu betreiben“. Die Choreografie von Doris Uhlich bei der Eröffnungsfeier des Kulturhauptstadtjahres in Bad Ischl fand die FPÖ zu obszön; die Tänzerinnen und Tänzer waren nackt und entsprachen nicht den klassischen Schönheitsidealen. Als Uhlich für ihren sogenannten „Pudertanz“ dann den Österreichischer Kunstpreis erhält, erklärt die FPÖ die Causa via Aussendung zum „Skandal der Sonderklasse“ und „kulturellen Tiefpunkt“. Die Spielzeitkampagne „Nein zu Faschismus, Nein zur Neuen Rechten“ des Wiener Burgtheaters findet man, wenig überraschend, auch nicht gut. In einer parlamentarischen Anfrage der FPÖ an Kulturminister Werner Kogler (Grüne) unterstellt man dem ehemaligen Burgtheater-Intendanten Martin Kušej, er habe sich „offenbar gänzlich“ vom „demokratischen Grundsatz“ verabschiedet. Ein Projekt der Geruchsforscherin und Künstlerin Sissel Tolaas im Landhaus in St. Pölten nennt der niederösterreichische Landtagsabgeordnete Martin Antauer „linke, kranke Kunst“, die „nichts als Steuergeldvernichtung“ sei. Lesen in Wien Drag-Queens aus Kinderbüchern, fordert die FPÖ ein Verbot eben jener Veranstaltung.
Wenn es nun nach den Freiheitlichen geht, dann dürften Kunst und Kultur zusammen mit den Medienagenden zukünftig ins Kanzleramt wandern. Der ÖVP passt das allerdings nicht, die Koalitionsverhandlungen befinden sich laut ihr in einer „schwierigen Phase“, profil berichtete. Klarheit, ob die Verhandlungen weitergeführt oder abgebrochen werden, sollte es spätestens am Donnerstag geben. Ähnlich wie das FPÖ-Kulturkapitel klingt auch das wenig versöhnlich.