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Der Wahrheit näher: Cate Blanchett brilliert in der neuen Serie „Disclaimer“

Folgt auf all die Oscars nun ein Emmy? Alfonso Cuaróns raffiniert konstruierte Serie „Disclaimer“ bewirbt sich jedenfalls eindringlich dafür.

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Den Schlüssel zur Rezeption der Apple-TV-Miniserie „Disclaimer“ überreicht gleich zu Beginn keine Geringere als Reporterlegende Christiane Amanpour. In einer Laudatio auf ihre fiktive Kollegin Catherine Ravenscroft (in einer Art „Tár“-Komplementärrolle: Cate Blanchett) mahnt sie das Publikum: „Achten Sie auf Erzählung und Form. Ihre Kraft kann uns der Wahrheit näher bringen, aber sie können auch eine Waffe mit großer Manipulationskraft sein.“ Die Art, wie Geschichten erzählt werden – welche Details betont oder ausgelassen werden, welche Emotionen geweckt werden –, beeinflusst unsere Sicht der Dinge eben grundlegender, als wir es oft wahrhaben wollen. 

Fragen der Perspektive durchziehen die auf einem Bestseller von Renée Knight basierende Story. Catherine wird von einem lange geheim gehaltenen Ereignis in ihrem Leben eingeholt, das in einem rufmörderischeren Enthüllungsroman dargestellt wird, mit dem ein Witwer späte Rache dafür zu nehmen hofft, dass ein Fehlverhalten Catherines vor zwei Jahrzehnten sein Leben für immer aus der Bahn geworfen hat. Grausam, aber irgendwie nachzuvollziehen – oder? Doch steht in dem Buch, das für die Star-Journalistin bald eine medienwirksame Abwärtsspirale auslösen wird, auch, was wirklich passiert ist? Und interessiert das überhaupt noch jemanden?

Zu voreiligen Schlüssen könnte auch manch ästhetische Fragwürdigkeit verleiten, die sich das in diesen Fragen sonst so sattelfeste Team um den mehrfach Oscar-gekrönten Regisseur Alfonso Cuarón („Roma“) und die Kamera-Asse Emmanuel Lubezki und Bruno Delbonnel in den ersten Episoden erlaubt – allen ansonsten erlesenen visuellen Texturen und suggestiven Tracking-Shots ungeachtet. Im kraftvollen Finale erfahren diese vermeintlichen Fehltritte eine stringente inhaltliche Klärung: Denn eben auch die Form führt auf falsche Fährten in dieser scharfsinnigen Erkundung dessen, was wir als „Wahrheit“ begreifen wollen. In einer Kultur der unhinterfragten Instant-Beschämung weiß dieser unbequeme psychologische Thriller um die Unmöglichkeit moralischer Reinheit ebenso wie um die Vergeblichkeit von Rache – und erzählt davon mit eindringlicher Schärfe, während er uns auffordert, nie aufzuhören zuzuhören.