Drei nur lose miteinander verbundene Geschichten werden in „Kinds of Kindness“ abgespult, und süße Träume sind es nicht. Sie bilden eine Trilogie der Übergriffe und des ruinierten Lebens, einen surrealen Horrorfilm in Starbesetzung: Neben Emma Stone, mit der Lanthimos nun bereits drei Spielfilme en suite gedreht hat (der vierte ist in Arbeit), treten Willem Dafoe, Jesse Plemons, Hong Chau und Margaret Qualley als wechselnde Charaktere in allen Episoden auf. Im ersten Teil gibt Dafoe einen Unternehmenschef, der nach eisernem Grundsatz regiert: Vertrauen ist sinnlos, Kontrolle der einzige Weg. Mit psychopathologischem Micromanagement herrscht er über das private Leben seines ihm emotional ausgelieferten Untergebenen (Plemons), bis in die Details des Alltagsvollzugs – und bis zum Befehl eines völlig sinnlosen Mordes. Sadisten und Masochisten tun einander in „Kinds of Kindness“ Schauerliches an. Spielarten der Liebenswürdigkeit kriegt man hier nicht geliefert.
In der zweiten Episode kehrt eine langvermisste Frau heim, doch sie verhält sich befremdlich. Ist sie es wirklich? Leidet ihr Mann, der sie nicht wiedererkennen kann, bloß an Paranoia? Teil drei schließlich dreht sich um eine Sex-Sekte, die eine Führungspersönlichkeit sucht, die Tote zum Leben erwecken kann: satirisch überspitzte Geschichten aus einer twilight zone, in der Druckausübung und Freiheitsentzug, Misstrauen und Selbstverletzung, Vergewaltigung und Todeswunsch allgegenwärtig sind.
Eine Allegorie? Sicher. Nur: Worauf zielt sie? Auf unsere existenzielle Desorientierung? Auf ein von Coaches und Scharlatanen eigensüchtig verwaltetes Leben? Lanthimos lässt solche Fragen an sich abperlen. Sein Film beleuchte „die Komplexität menschlicher Beziehungen“, sagt er, und stelle „die Frage, ob wir überhaupt wissen, was wir wollen, wenn wir in Freiheit leben“; denn „vielleicht sehnen wir uns ja eher nach Strukturen und Regeln.“ Der Witz seines „zugegeben dunklen Films“ vermittle so etwas wie Hoffnung, meint Lanthimos noch. „Als Menschen sind wir in der Lage, auch nach grauenhaften Erfahrungen noch die humoristischen Aspekte daran zu erkennen.“ Ein roter Faden läuft in Gestalt einer unbekannten Figur namens R.M.F. durch „Kinds of Kindness“. Wofür steht das Kürzel? Führt es erneut in die Konzernwelt? Schlägt Lanthimos hier das Thema des Risikomanagement-Framework an? Wer weiß.
Das Gespenst der Freiheit
Die Freiheit als Gefängnis: Sie ist das Grundmotiv hier, aber man ist auch in dem rigiden Stil dieses Films wie eingeschlossen. „Kinds of Kindness“ ist in gedeckten Farben und einer vorsätzlich trockenen Inszenierung gehalten. An tristen Schauplätzen in New Orleans tragen die Ereignisse sich zu: Emma Stone tanzt auf einem unansehnlichen Parkplatz zu „Brand New Bitch“ der schwedischen Goth-Electro-Diva Cobrah, man frequentiert Spitäler und Leichenschauhäuser, lebt in finsteren Wohnungen. Amüsant wirkt Lanthimos’ Nihilismus, sein Theater der Grausamkeit, nicht. Man folgt dem Überdruck der Ideen mit Interesse, aber aus zunehmender Distanz. Den Spielwitz von „Poor Things“ ersetzt Lanthimos durch Zwangsoriginalität, seinen Erfindungsgeist durch Zynismus.
Dystopische Weltentwürfe liegen Lanthimos nahe: Schon „Dogtooth“ und „The Lobster“ wiesen diese Schlagseite auf. Fast drei Stunden lang nimmt das Trio dieser Erzählungen in Anspruch, die einander nur beschränkt erhellen. Lanthimos’ Team ist bewährt: An der Kamera stand erneut der Ire Robbie Ryan, als Schnittmeister fungierte sein ständiger Mitarbeiter Yorgos Mavropsaridis. Die Musik stammt, wie schon in „Poor Things“, von dem jungen Briten Jerskin Fendrix.
Der Begriff des Exzentrischen ist für Lanthimos zentral. Er bewegt sich bewusst und konsequent „außerhalb des Kreises“, der den Mainstream markiert; aber er lässt sein Spiel mit der Exzentrizität in diesem überspannten Werk zum Selbstzweck gerinnen. Lanthimos will schockieren – aber weniger mit den Dingen, die er zeigt, als mit der Eiseskälte seines Menschenbildes und mit dem unbedingten Vorsatz, alles Erdenkliche, auch das Unerklärliche und die Dissonanz feiern zu können. Die Kehrseite des Unberechenbaren ist allerdings die Beliebigkeit. Fast wünscht man Lanthimos, dass er nach diesem Exzess des anything goes neu ansetzen könnte mit dem Kino, zurückkehren wollte zu den Low-Budget-Experimenten seiner frühen Jahre.
Im vergangenen September wurde Lanthimos 50, und sollte er in diesem Tempo weiterarbeiten, wird ein reichhaltiges Spätwerk zu erwarten sein. Bereits für nächstes Jahr kündigt Lanthimos einen Film namens „Bugonia“ an, das Remake einer koreanischen Kino-Tragikomödie, in der zwei junge Verschwörungstheoretiker die Welt von außerirdischen Eindringlingen unterwandert wähnen. Sie kidnappen eine Konzernchefin, die sie für ein Alien halten, um sie zu verhören und deren Pläne zu vereiteln. Ein Verhör, zur Abwechslung wieder auf Augenhöhe? Hoffentlich.