Kino

Zwang zum Irrsinn: Der zwiespältige neue Film des Yorgos Lanthimos

Der griechische Filmkünstler Yorgos Lanthimos zählt, nicht erst seit „Poor Things“, zu Europas bedeutendsten Regiekräften. Nun legt er mit „Kinds of Kindness“ nach – und verzettelt sich in Zynismus und Provokationslust.

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Misanthropie ist in der Kunst kein guter Ratgeber. Was will man Menschen, auf die man herabblickt, noch erzählen? Dies ist das Grundproblem des neuen Films, den der weltweit akklamierte griechische Regisseur und Autor Yorgos Lanthimos nun, nur wenige Monate nach der Weltpremiere seiner mit allen wesentlichen Preisen überschütteten Frankenstein-Hommage „Poor Things“, veröffentlicht (Österreich-Kinostart: 4. Juli): „Kinds of Kindness“ ist ein Film, der sich nicht auf die Augenhöhe derer herablässt, an die er sich richtet. Aber Lanthimos will sein Publikum auch nicht belehren; er will es irritieren, im Ungewissen lassen, mit finsteren Rätseln behelligen.

Im Subgenre der schwarzen Komödie fühlt der gebürtige Athener sich wohl. Mit seinen beiden letzten Kinowerken, der britischen Royals-Orgie „The Favourite“ (2018) und eben „Poor Things“ (2023), feierte er weltweite Erfolge. Lanthimos fantasierte in barocker Filmsprache und historischen Zerrbildern von durchsetzungsfähigen Frauenfiguren und abgründigem Begehren. Nun hat er sich aus dem 18. und 19. Jahrhundert verabschiedet, um in einer Gegenwart zu landen, die so aussieht, als läge sie in einem Paralleluniversum, irgendwo weit hinter dem Regenbogen. Und der Regisseur zieht sich zurück in die Kälte einer Menschenverachtung, die auch der Drehbuchautor Efthimis Filippou eingebracht haben mag, der alle großen Lanthimos-Werke bis inklusive „The Killing of a Sacred Deer“ (2017) mitentworfen hat.

Vertrauen ist sinnlos

„Sweet dreams are made of this“, tönt es gleich am Anfang in den Kinosaal. Der Eurythmics-Popklassiker aus den frühen 1980er-Jahren gibt die Richtung vor: „Some of them want to abuse you / Some of them want to be abused.“ Und: „Everybody’s looking for something.“ Die Unschärfe dieser Weisheit ist das ideologische Programm in „Kinds of Kindness“ – und der Missbrauch das zentrale Manöver des Films.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.