Randphänomene und „Revolver“
Für die neue Doppelspitze (die beiden folgen auf Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber) waren zwei Punkte als Herangehensweise entscheidend – respektive zwei „Bewegungen“, wie sie Kamalzadeh nennt: „Zum einen wollen wir die Diagonale internationaler machen. Nicht unbedingt im Wettbewerb, aber an den Rändern und in den Sonderprogrammen, wo wir Themen, Regiepositionen und Tendenzen, die auch für Österreich von Interesse sein können, noch einmal stärker platzieren wollen. Wo wir das Gefühl haben, dass ein bestimmter Dialog spannend wäre.“ Das manifestiert sich etwa in der Programmschiene „Position“, die nicht nur der heimischen Avantgarde-Filmemacherin Lisl Ponger, sondern auch dem Berliner-Schule-Regisseur Christoph Hochhäusler („Bis ans Ende der Nacht“) und seinem politisch akzentuierten Genrekino gewidmet ist: Er nehme „auch durch sein publizistisches Wirken“ – Hochhäusler ist Mitherausgeber der Filmzeitschrift „Revolver“ – einen spannenden Platz ein.
Dem Aspekt der Internationalisierung trägt auch das filmhistorische Programm „Die erste Schicht“ Rechnung, das anhand von Filmen aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien der 1960er- und 1970er-Jahre Gastarbeiter-Erzählungen aus österreichspezifischer Sicht beleuchtet. Im Zuge der kuratorischen Tätigkeit habe man sich dann auch die Frage gestellt, was ein nationales Filmerbe überhaupt leisten könne, so Slanar: „Eigentlich ist es ja ein transnationales Erbe, in das schon immer Migrationsspuren oder einfach Blickwinkel aus verschiedenen Ländern hineingewirkt haben.“ An dieser Stelle möge sich durchaus eine anregende gegenseitige Befruchtung mit dem Hier und Jetzt des Eröffnungsfilms „Favoriten“ von Ruth Beckermann ergeben, einer dokumentarischen Langzeitbeobachtung einer migrantisch geprägten Volksschulklasse im 10. Wiener Gemeindebezirk. In der zweiten, sozusagen asynchronen „Bewegung“ wolle man künftig aber auch den Aspekt der Regionalität stärken, kündigt Kamalzadeh an: „Wir wollen auch in die Regionen gehen und versuchen, die Diagonale als Label zu verstehen, um auch unterjährig bestimmte Aktivitäten zu setzen und uns in der Steiermark zu fragen: Wo könnte man noch hingehen, wo Kino als kulturelles Angebot nicht so wirklich vorhanden ist?“
Von dieser noch vergleichsweise fernen Zukunft zurück in die unmittelbare Gegenwart der 27. Ausgabe des Festivals, die auch in terminlicher Hinsicht Neuland betritt: Der Starttag wurde von Dienstag auf Donnerstag verlegt, womit man die Diagonale-Dramaturgie verdichten wolle, wie Slanar erklärt: „Wir wollten das ‚Film Meeting‘ für die Branche und das Programm für das reguläre Publikum stärker aneinander binden. Ich glaube, das ist eine gute Gelegenheit, auch den Austausch zu fördern.“ Jenes „Diagonale Film Meeting“ wird als Branchentreff des Festivals heuer Themen wie Diversität, Antirassismus und künstliche Intelligenz mit Diskussionen Rechnung tragen, ebenso wie das prononcierte Diskursangebot „Forum“ in der neuen Festivalspielstätte im Volkskundemuseum abgehalten wird. Im Zeichen des Austauschs steht auch die Schiene „Nachspann“, die im Anschluss an die Vorführungen ausgiebig Zeit für Gespräche mit den Filmschaffenden einräumt – hervorzuheben ist hier der Erinnerungsabend für Michael Glawogger, bei dem dessen nie ausgestrahlter Pilot zur Sitcom „LKH“ gezeigt wird.
Markerschütternd, bittersüß
Im Mittelpunkt steht aber natürlich auch unter der neuen Intendanz der Wettbewerb, in dem heuer 123 Jahrgangsbeiträge in den Sparten Spiel-, Dokumentar-, Kurz- und Innovativer Film gegeneinander antreten werden. Neben bereits etablierten Publikums- und Kritikerlieblingen wie dem markerschütternden Psychogramm „Des Teufels Bad“ von Veronika Franz und Severin Fiala oder Adrian Goigingers bittersüßer Verliererstudie „Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“ stellen sich dabei auch Filme wie Anja Salomonowitz’ Künstlerinnenporträt „Mit einem Tiger schlafen“ oder die Superreichensatire „Veni Vidi Vici“ von Julia Niemann und Daniel Hoesl der Konkurrenz. Beide Arbeiten werden also kurz nach ihren Weltpremieren bei der Berlinale (wo Salomonowitz’ Maria-Lassnig-Experiment lief) und beim Sundance Film Festival ihre Erstaufführung in Österreich feiern. In jener Stadt, in die zumindest in filmischer Hinsicht kommende Woche tatsächlich alle Wege führen.