Die Geister sind unter uns: Mati Diops preisgekrönter Film „Dahomey“
Was war das? Eine entscheidende politische Geste oder bloß ein Tropfen auf den heißen Stein? 2021 verlautbarte die französische Regierung, dass sie 26 westafrikanische, im späten 19. Jahrhundert geraubte Artefakte – Königsstatuen, Masken, Palasttore und Thronsessel – aus dem Pariser Musée du Quai Branly nach Benin überführen werde, um jene Kultgegenstände dorthin zurückzuerstatten, wo sie einst angefertigt worden waren. 26 von über 7000 aus der alten Königsstadt Abomey gestohlenen Objekten, die nach wie vor in Frankreich lagern – das war nicht viel. Oder eben doch: ein Beginn.
„Dahomey“ heißt der Film, der die Reise dieser 26 Werke dokumentiert, benannt nach jenem um 1600 gegründeten westafrikanischen Königreich, aus dem die heutige Republik Benin entstand. Mit 68 Minuten Laufzeit umfasst das – ab sofort in Österreichs Kinos zu besichtigende – Werk einen bescheidenen Zeitrahmen, obwohl es sich, sehr eigensinnig inszeniert, ein gewichtiges Thema vorknöpft: die moralischen und politischen Komplikationen der Repatriierung kultureller Objekte. Seit seiner Premiere im vergangenen Februar ist die Produktion zu erstaunlicher Prominenz avanciert: Als erster senegalesischer Film wurde „Dahomey“ für die kommende Oscar-Verleihung eingereicht. Für den Überraschungsgewinner der diesjährigen Filmfestspiele in Berlin ist die Chance auf eine Oscar-Nominierung wohl intakt.
Aus einer kunstsinnigen senegalesischen Familie stammt Mati Diop, Regisseurin und Autorin des Films, väterlicherseits – ihre Mutter ist Französin. Wasis Diop, 74, ihr Vater, ist ein renommierter Folk-Jazz-Musiker, ihr Onkel war der legendäre, 1998 früh verstorbene Filmemacher Djibril Diop Mambéty („Touki Bouki“). Geboren 1982 in Paris, macht Mati Diop seit fast 20 Jahren Filme – kurze oder mittellange Arbeiten meist, „Dahomey“ ist erst ihr zweites abendfüllendes Werk. Als Schauspielerin hat sie auch gearbeitet, zweimal etwa für Frankreichs Kinomeisterin Claire Denis. 2019 war Diop mit ihrem Spielfilmdebüt „Atlantique“ die erste schwarze Regisseurin im Wettbewerb der Filmfestspiele in Cannes.
„Das kam wie ein Schock“
Ursprünglich hatte Mati Diop einen Spielfilm im Sinn, wie sie im profil-Interview erzählt. Sie plante, ein Drehbuch zu schreiben über die epische Reise eines Artefakts, vom Augenblick seines Raubs bis zur Rückerstattung. „Ich ging aber, ganz ehrlich, fest davon aus, dass die Rückführung einer nennenswerten Anzahl an Werken in den kommenden 30 oder 40 Jahren illusorisch sei.“ Als sie 2021 herausfand, dass eine solche Restitution sehr bald stattfinde solle, war ihr sofort klar, dass sie diese Reise filmisch dokumentieren musste. „Dass ich plötzlich zur Zeugin eines solchen Akts werden konnte, kam wie ein Schock. Denn in Frankreich hatte sich die Wand des Schweigens, der Leugnung und der Verdrängung, was Raubkunst aus Afrika betrifft, unzerstörbar angefühlt.“
Die Fiktion, die Diop im Kopf hatte, beeinflusste den Dokumentarfilm, den sie schließlich machte. Tatsächlich mischt sich in „Dahomey“ von Anfang an etwas Fiktionales, Fantasiertes in die dokumentarische Basis. Die 26 Kunstgegenstände erscheinen als Geister, die aus dem Off ihre Geschichten erzählen; sie spuken als Untote durch die Bilder, als wollte Mati Diop den Titel eines berühmten, ihrer Arbeit eng verwandten Essayfilms über die Eigenheiten afrikanischer Kunst umdrehen: „Auch Statuen sterben“ („Les statues meurent aussi“), proklamierten die Filmemacher Chris Marker, Alain Resnais und Ghislain Cloquet 1953. Bei Mati Diop sind sie zu ewigem Leben prädestiniert.