Kino

Die Lebenden und die Toten: Ukraine im Winter

Ein Werk der Trauer: In apokalyptischen Bildern führt der in Wien lebende Kinodokumentarist Juri Rechinsky an die Nebenschauplätze des Ukraine-Kriegs.

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Kann man das, im Kino vom Krieg erzählen, ohne diesen selbst je zu zeigen? Ohne Frontbilder und Soldateneinsatz, ohne Kugelhagel und Bombenteppich? Der in Kyiv (Kiew) aufgewachsene, seit 2013 in Wien lebende Regisseur Juri Rechinsky, 38, führt vor, wie das geht. Rechinsky ist ein Pendler zwischen Spiel- („Ugly“) und Dokumentarfilm („Sickfuckpeople“); sein 2022 veröffentlichtes Kriegsfotografenporträt hieß „Signs of War“ – und ebenso könnte auch sein neuer Film heißen: Denn darin richtet er seinen Blick auf die Konsequenzen des Krieges, zeigt in aller Drastik, was der prolongierte Angriffskrieg, den Russland gegen die Ukraine führt, mit den Betroffenen macht. Das Werk trägt den Titel „Dear Beautiful Beloved“, obwohl die Liebe und die Schönheit in den tristen Wohnungen, den zerstörten winterlichen Landschaften und den neonbeleuchteten Schutzräumen auf den ersten Blick fern zu sein scheinen: Erzählungen von Schmerz und Alltag der Entwurzelten, der Transportierten und Zwischengeparkten, all der betagten und verwirrten Frauen und Männer, die nur noch sterben wollen.

Und doch: Es sind humanitäre Projekte, die Rechinsky als still beobachtender, nie intervenierender Regisseur festhält – die empathisch verrichtete Arbeit zahlloser Freiwilliger. Zwei gegenläufige Bewegungen zeichnet er auf: die Evakuierung alter und kranker Menschen aus den Gefahrenzonen des Krieges durch eine britische Hilfsorganisation – und die Heimholung der Gefallenen von den Feldern dieses sinnlosen Schlachtens.

Die Verabschiedung von den aus dem Leben Gerissenen lindert den Schmerz nicht, hilft ihn aber zu ertragen, anzunehmen. Wenn der Leichenwagen durch den Ort fährt, senken die Menschen an den Straßenrändern ihren Blick und gehen ausnahmslos in die Knie.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.