Kulturtipp

Endgültig Funk aus im Wiener Funkhaus

Hier wurden politische und gesellschaftliche Impulse gesetzt: Wolfgang Paterno trauert dem Radiomonument in der Wiener Argentinierstraße nach.

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Manchmal darf man ein bisschen ins Gestern verliebt sein, in die guten alten Radiotage, die mit Gewissheit folgendermaßen begannen und endeten, vom ersten Weckruf bis zum nächtlichen Lebewohl: Ö1, einer der besten Kultursender des Kontinents, strahlte sein Programm via Funkhaus in die Welt. In der Wiener Argentinierstraße wurde Radio handgemacht, das aus den Empfangsgeräten in Küche, Wohn- oder Schlafzimmer drang, mittels unsichtbarer Wellen ins Privatgemach: Jenseits des technisch Erklärbaren, war das immer, wie Ö1 auch, ein wenig wundersam und wunderbar. Die Magie des Radiomachens lässt sich gut mit einer Folge der TV-Serie „Malcolm mittendrin“ bebildern: Vater Hal findet beim Ausmisten einen alten Transmitter – und nimmt seine von Beruf und Familie unglücklich unterbrochene Karriere als studentischer Piratenradiomacher unter dem Pseudonym Kid Charlemagne wieder auf. Hals Glück in der Garage auf der Freudenfrequenzwelle. 

Ein kleiner Ausflug in die neuere und neueste österreichische Radio-Geschichte: Im Herbst 2022 bezog Ö1 im 55. Jahr seines Bestehens einen neuen Standort, den ORF Medien-Campus am Wiener Küniglberg. Den 2. Juli 2022 widmete das Ö1-Team einen Sendetag lang dem Funkhaus, das als radiophoner Leuchtturm über die journalistischen Standards in diesem Land wachte. Seit vergangenem Mittwoch, 12 Uhr, ist an der Fassade des Funkhauses ein schwerer Fall von Buchstaben- und somit Identitätsraub auszumachen: Jahrzehntelang bildeten die meterhohe Plastik eines menschlichen Ohrs, die vom Gugginger Künstler Johann Garber in knallbunter Farbenpracht gestaltet wurde und seit 1998 als Ö1-Wahrzeichen in der Argentinierstraße thront, und der Schriftzug „ORF Funkhaus“ an der Fassade das festgefügte Ensemble der Radiokunst. Aus ist’s nun mit dem Doppelklang von Ohr und Lettern: „ORF“ ist weg, „Funkhaus“ darf (noch) bleiben. Ab Juli regiert die Vorarlberger Baugruppe Rhomberg. Am Küniglberg regiert wiederum das Schema Effizienzsteigerung plus Rationalisierung gleich Superökonomisierung, was selbstredend auch Ö1 zu spüren bekommt. Manchmal entsteht der Eindruck, dass die eine oder andere Managementidee so oder so ähnlich auf Zetteln in Glückskeksen stehen könnte. Gefühlt funkt Ö1 inzwischen aus dem großen Nirgendwo ins Wohnzimmer. Um es mit good old Goethe zu sagen: Dieses kleine Funkhaus! Größere kann man bauen, mehr kommt nicht heraus. Besuchen Sie das Radiomonument in der Argentinierstraße, solange es noch steht.

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.