Die Salzburger Festspiele und ihre DNA: Ein Resümee des Musikprogramms
Am Ende gab es noch doppelten Glamour im Opernprogramm der Salzburger Festspiele: Anna Netrebko bewies auch in Michael Sturmingers recht wirrer "Tosca"-Inszenierung, die man hier nach der Premiere bei den Osterfestspielen 2019 neu aufgewärmt anbot, dass ihre Titelheldin Primadonna pur ist. Und Mezzostar Elīna Garanča kehrte konzertant noch einmal zum innerlich glühenden Gretchen in "La damnation de Faust" von Hector Berlioz zurück. Vorher aber näherte sich Riccardo Muti, die 80 Jahre alte italienische Dirigentengröße, erstmals Beethovens "Missa Solemnis" an. Bedächtig, ruhevoll und grandios. Ingo Metzmacher, ein Experte der Neuen Musik, wiederum tauchte für "Intolleranza 1960" tief ein in die Welt des ihm bestens vertrauten Luigi Nono - nachhaltig, insistent, strukturklar bohrend. Innerhalb von zwölf Stunden ist ein solches Programm nur bei den Salzburger Festspielen möglich, noch dazu mit jenen beiden Kollektiven, die zu den Klangsäulen dieses Festivals gehören: den Wiener Philharmonikern und der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor.
In Salzburg wird Historie immer mitgedacht. Neben den Hausgöttern Mozart und Richard Strauss scheint seit den 1990er-Jahren auch der Venezianer Luigi Nono hier verwurzelt - auch dank des Programmierungsgeschicks des künstlerischen Leiters Markus Hinterhäuser, der inzwischen in Salzburg annähernd das Gesamtwerk des Venezianers vorgestellt hat. Ob "Intolleranza 1960" in der Neufassung "ein programmierter Skandal" werde, wollte eines der Lokalmedien vorab von Regisseur Jan Lauwers wissen. Der Belgier erklärte weitschweifig, wie zornig er auf die Welt sei - und bejahte implizit. Doch der Eklat blieb aus. Dieses trotz seiner schneidenden Dissonanzen betörend tönende 90-Minuten-Stück scheint längst zum Artefakt geronnen. In der Felsenreitschule wurde es vor allem zum Wimmelbild mit rund 200 Mitwirkenden.
Es gab heuer aber auch Pianisten wie Maurizio Pollini, der 1973 erstmals mit Claudio Abbado in Salzburg aufgetreten war und einst ganze Konzertreihen gestemmt hat. Jetzt feierte er mit aufflackernder Poesie Schumann und Chopin. Auch der bald 50-jährige Evgeny Kissin, der vor 33 Jahren von Herbert von Karajan mit großer Geste eingeführt worden war, trat auf. Er saß im Großen Festspielhaus vor seinem Steinway-Flügel und spielte, ohne Pause, erst ziseliert gemeißelt Alban Bergs Sonate, dann erstaunlich avancierte, sachliche Musik des Stalinisten Tichon Chrennikow. Nach einem kurzen Moment des Innehaltens folgten, durchaus mit Blues, Gershwins "Three Preludes". Am nächsten Tag ließ sich der Buchautor und Lyriker Kissin bei einer Verlagsveranstaltung als eher epigonaler Komponist feiern. Immerhin ist er bereits bei Opus 4 angekommen und will es bei Kammermusik belassen. Auch das ist Salzburg. So wie der entweder zum Gottseibeiuns verteufelte oder zum jede Note segnenden Heilsbringer verklärte Teodor Currentzis, der hier immer neue Konzertprogramme zelebriert. Und zwar sehr eitel. Aber das gehört zur DNA des Festivals.