Pop

Die Swift-Formel: Wie Taylor Swift ihre Hits schreibt

Sie mischt Betäubungsmittel in ihre Lieder, deswegen würden sie so oft gehört, singt Taylor Swift ironisch in „Who’s Afraid of Little Old Me“. Was macht ihre Songs wirklich aus? Insights aus dem Swift-Universum.

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1. Am Anfang steht die Voice-Note

Taylor Swift hat viele Ideen. Manche kommen ihr in der Nacht, manche am Wochenende – und immer manifestiert sie ihre Einfälle sofort. Und zwar so: Sie summt die Melodien in ihr Handy, oder begleitet sich selbst auf der Gitarre zu ersten Textfragmenten. Die Aufnahmen schickt Swift als Sprachnachrichten an ihre Freund:innen oder Produzent:innen – aus ihnen werden später millionenfach gestreamte Hits.

2. Das Story-Telling

Floskeln, autofiktionale Teenage-Larmoyanz und die immergleichen, einfachen Reime: Man geht von der bar ins car oder umgekehrt (und das in der Swift-Diskografie schon ganze sieben mal). Taylor Swift zu kritisieren ist genau so einfach, wie sie zu vergöttern. Dabei lohnt sich ein Blick hinter die – zugegeben einfach gestrickten – Evergreens wie Shake it Off. Da hören wir: Behutsam gesponnene, fast schon märchenhafte Erzähllinien, die bei weitem nicht nur romantisch sind, siehe Who’s Afraid of Little Old Me; mit teilweise anspruchsvollem Vokabular und ausgeklügelten Metaphern. Besonders beeindruckend: Das fiktionale Erzählstück aus drei verschiedenen Perspektiven, das sich zwischen den Songs betty, cardigan und august spannt. Oder the last great american dynasty, in dem Swift gekonnt die Biografie der US-Amerikanischen Socialite Rebekah Harkness vertont. Aber Taylor Swift ist doch bei weitem keine Patti Smith, sagen Kritiker:innen jetzt vielleicht, und keine Sorge, das weiß Swift schon: „You’re not Dylan Thomas, I’m not Patti Smith“, singt sie selbstironisch in The Tortured Poets Department.

3. Die richtige Feder

Taylor Swift teilt ihre Lyrics selbst in drei Kategorien ein, und konsequenterweise nimmt sie diese Segmentierung mittels Millennial-Metapher vor und beschreibt, mit welchen sinnbildlichen Stiften sie verschiedene Arten von Songs verfasst: Quill Lyrics, Fountain Pen Lyrics, und Glitter Gel Pen Lyrics. Die Federkiel-Lieder klingen altmodisch und nostalgisch, so wie große Teile der Alben evermore und folklore und Swifts ältere Country-Lieder. Füllfeder-Lieder hingegen sind modern, poetisch und persönlich: Also etwa wie Maroon oder All Too Well. Zu Glitzer-Gel-Stift-Liedern sollte man tanzen und „Glitzer durch den Raum werfen“, sagt Swift. Am besten geht das zu You Need To Calm Down oder Karma.

4. Jack Antonoff

Jack Antonoff (40) produziert fast alle Pop-Größen der 2020er: Lana Del Rey, Sabrina Carpenter, Lorde, Kendrick Lamar und Florence and the Machine. Mit Taylor Swift arbeitet er seit dem Album 1989 (2014) zusammen, und hatte als ihr Produzent maßgeblichen Einfluss auf ihre musikalische Entwicklung. Antonoff ist melodisch laut, seine Songs sind leicht, aber von klanglicher Dichte mit amplifizierten Vocals. Durchzieht einen Swift-Song eine pulsierende Bass-Line, dazu Synth im Hintergrund und Swifts Stimme stellenweise vervielfacht und im Echo, dann heißt der Produzent wahrscheinlich Jack Antonoff. In einer Zweitausgabe des Songs Anti Hero singen Swift und Antonoff, der Teil der Band Bleachers ist, sogar zusammen. Manchen Swifties ist Antonoffs Stil übrigens zu poppig und exaltiert – sie wünschen sich mehr Songs vom Produzenten Aaron Dessner, mit dem Swift auf The Tortured Poets Department verstärkt zusammenarbeitete.

5. Der T-Drop

Es ist sowas wie Swifts musikalische Signatur: Der sogenannte „T-Drop“ (Taylor-Drop) ist ein Motiv aus drei Noten, das Swift immer und immer wieder einsetzt. Sie geht dabei von der vierten Stufe der Tonart, in der sie sich gerade befindet, zur dritten derselben Tonart und dann zur sechsten Stufe der darunter liegenden Oktave, eine Sext vom Ausgangston entfernt. Also, laienhaft ausgedrückt: Einmal einen Ton tiefer, und dann nochmal fünf Töne tiefer. Dieser T-Drop zieht sich durch alle Eras von You Belong With Me (T-Drop bei see-e-e und baby-y-y im Refrain) zu So Long London (T-Drop bei had in me).

6. Die Taylor-Swift-Chord-Progression

Die Four-Chord-Formel ist die Zauberformel der Popmusik, und man kann sie nicht überhören: Zum Beispiel in Africa von Toto, in Take On Me von Aha, in Let it Be von den Beatles – oder eben auf jedem Taylor-Swift-Album, sei es in Love Story oder campagne problems. Musiktheoretisch verschriftlicht lautet diese Formel „I – V – vi – IV“ und beinhält die drei Hauptdreiklänge (also jeweils die erste, vierte und fünfte Stufe) einer Durtonleiter und deren Tonikaparallele in Moll. Für C-Dur wäre die Folge also C-Dur, G-Dur, a-moll und F-Dur. Auch für Laienohren klingt so eine harmonische Folge einfach rund. Taylor Swift setzt diese Progression inflationär ein – so wie viele andere Popstars. Kann man ihnen wirklich vorwerfen, sich einer einfachen Zauberformel zu bedienen, die immer funktioniert?

7. Die Bridge!

Der entscheidende Moment in einem Taylor-Swift-Song, das ist die Bridge – also der Teil im Lied, der nach zwei, drei Strophen und den entsprechenden Refrains hin zum letzten Chorus des Songs führt (oder auch zwei Mal hintereinander eingesetzt wird, so wie beim Eras-Tour-Opener Cruel Summer). Hier gipfeln die Emotionen, hier passiert die Swiftie-Katharsis, hier wird geschrien. Swift weiß um die Bedeutung, die ihre Fans den Bridges zuschreiben, und liefert im neuen Album im Song The Smallest Man Who Ever Lived die nächste steile Schreivorlage. 

8. Interaktion  

Bei Taylor Swift singt man nicht nur mit, man ist Teil des Songs – und das bedenkt Swift schon bei der Konzeption ihrer Lieder. Da gibt es Quasi-Duette, die sie mit sich selbst singt, deren B-Teile bei Konzerten von Fans gesungen werden, bereits in den Lyrics festgehaltene Zwischenrufe und Inside-Jokes. Und manchmal bricht Swift auch die vierte Wand zum Publikum, zum Beispiel wenn sie in But Daddy I Love Him singt: „I'm having his baby / No, I'm not, but you should see your faces“. Zuerst insinuiert sie, sie sei schwanger – nur um dann zu sagen: „Nein, haha, aber ihr solltet euer Gesicht sehen.“ Entsprechende TikTok-Videos, in denen Fans den Song zum ersten Mal hören und recht überrascht auf das vermeintliche Baby reagieren, hat Swift geliked.  

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

ist seit 2020 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. Schreibt über Popkultur und Politik.