"Grüss-Göttin"-Schild in Hohenems

"Die weibliche Seite Gottes"

Ist Gott womöglich eine Frau? Das Jüdische Museum Hohenems rüttelt an religiösen Tabus.

Drucken

Schriftgröße

Die Frau stürmte das Foyer. "Es ist ein Skandal, was die Juden sich wieder herausnehmen", zürnte die Besucherin, denn für sie stand fest: "Gott ist ein Mann!" Ist er das? "Die weibliche Seite Gottes", die neue Ausstellung des Jüdischen Museums im vorarlbergischen Hohenems, begibt sich auf die Spuren weiblich-göttlicher Elemente in den monotheistischen Religionen, mit Fokus auf dem Judentum, beginnend mit der Antike.

Eine auffallende Installation im Garten wirbt für die Schau. "Grüß Göttin" steht in pinkfarben umrahmten Lettern auf dem Schild der Künstlerin Ursula Beiler. Zuvor stand die Tafel jahrelang an der Inntalautobahn bei Kufstein und wurde wiederholt von Unbekannten beschädigt und übersprüht; FPÖ und ÖVP forderten die Demontage, die Tiroler Schützen witterten Blasphemie. Die emotionale Sprengkraft der unmännlichen Seiten des Schöpfers scheint ungebrochen.

Hanno Loewy, 56, leitet seit 2004 das Jüdische Museum in Hohenems. Mit der in Vorarlberg üblichen Begrüßung "Grüß Gott" hatte der Frankfurter Kulturwissenschafter nie ein Problem; das "Heil", das man sich hier ebenfalls zuruft, irritierte Loewy schon eher. "Die Vorstellung, es gebe nur einen Gott, entsteht nicht von einem Tag auf den anderen", erläutert Loewy: "Der biblische Mythos indes erzählt die Entstehung des Monotheismus als eine Geschichte plötzlicher Eingebung und jäher Erkenntnis: Abraham, dessen Vater Händler von religiösen Devotionalien war, zerschlägt die Götzenbilder. Damit beginnt, so die Mythologie, die jüdische Geschichte. Doch der Weg zur Anbetung eines einzigen und wahren Gottes nahm Jahrhunderte in Anspruch, wobei das Volk auch nach Abraham seine alten Göttinnen und Götter verehrte."

"It takes two to tango"

Die Frage nach dem Bild des Höchsten ist das Prisma, durch das Katholiken, Juden und Muslime auf die Welt blicken - die eindeutig männlich dominiert ist. Wie treten wir mit Gott in Kontakt? Wer darf das überhaupt? Die realen gesellschaftlichen Hierarchien setzen sich in den religiösen Sphären fort, die göttlichen Vorstellungen werden gemäß der männlichen Dominanz in der Gesellschaft hervorgerufen und legitimiert. "Bei aller patriarchalischen Macht bleibt aber die Unvereinbarkeit", sagt Loewy: "It takes two to tango. Es braucht Männliches und Weibliches."

In vielen Schöpfungsmythen ist von Götterpaaren die Rede, die in mehr oder minder explizit sexueller Weise das Neue gebären. Es geht um männliche und weibliche Prinzipien, die in erotischer Interaktion die Welt erschaffen, diese im jährlichen Zyklus erhalten. In Judentum, Christentum und Islam gibt es zahllose Ideen von göttlicher Hochzeit: Gott und die christliche Religion, dargestellt als Frau; das männliche Judentum und das weibliche Gesetz - die Tora. "Jeder Versuch, der Vorstellung von Gott Leben einzuhauchen, führt letztlich zu Bildern von Geschlechtlichkeit."

"Die weibliche Seite Gottes", durch Spiegel und Farbgebung gewieft inszeniert, von den Kuratorinnen Felicitas Heimann-Jelinek und Michaela Feurstein-Prasser so kenntnisreich wie mit feiner Ironie zusammengetragen, will normative Vorstellungen von Autorität und Eindeutigkeit kritisch ausleuchten, keine vollständige Geschichte religiöser Geschlechtertrennung nacherzählen. Das Fragmentarische ist hier Programm.

Bis zu 3000 Jahre alte kultische Gegenstände sind neben textilen Amuletten von 1900 und vergoldeten Holz-Madonnen zu sehen; die Kippa in US-Army-Design liegt unweit des "Gebete"-Bands von Bertha Pappenheim, die unter dem Pseudonym "Anna O." eine von Sigmund Freuds frühen Patientinnen war; eine Tora-Schreiberin berichtet von der "Gnade und Ehre", die Worte der hebräischen Bibel mit der Hand niederschreiben zu dürfen, eine Tätigkeit, die traditionellerweise Männern vorbehalten ist; aus einem weiteren Kopfhörer dringt die Arie der Königin der Nacht - die Mozart-Figur wurde als Symbol für die katholische Kirche und als liebevolle Mutter aufgefasst.

Widerspruch des Monotheismus

Bereits die Bibel erzählt zwei Schöpfungsgeschichten, die einander widersprechen: "Gott sprach: Lass uns den Menschen machen." Wer aber ist "uns"? Dahinter steckt die alte Vorstellung, dass Gott und Göttin durchaus intim miteinander verkehren und so den Menschen erschaffen. Erst danach formt ein männlicher Gott den Menschen im Buch Genesis nach eigenem Modell: "Nach seinem Bilde schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie." Dieses Wort des Weltenlenkers gibt nicht nur Loewy Rätsel auf: "Der einzige Gott schafft den Menschen zuerst nach seinem Bild, dann als Mann und Frau - und darauf verschwindet diese erste Frau aus dem Text und wird durch Eva ersetzt. Der gesamte Widerspruch des Monotheismus ist in dieser Urszene zu finden."

Eva verzehrt verbotenerweise den Apfel. So beginnt die Geschichte von Scham, sexueller Lust, Moral und dem freien Willen - alles in einem einzigen Akt. Von diesem Augenblick an ist der Mensch für sein Handeln verantwortlich: Er ist wie Gott - keineswegs allmächtig, aber fähig, zwischen Böse und Gut zu unterscheiden; er erlangt die Befähigung, Verantwortung zu übernehmen. "Der Mensch kann sich nun nicht mehr hinter dem Dilemma verschanzen, er folge allein dem göttlichen Willen. Die Paradiesszene birgt die Widersprüchlichkeit des Mann-Frau-Geschlechterverhältnisses in sich, weil Adam die Erinnerung mitschleppt, dass es vor Eva bereits eine Frau gab, die als dämonische Lilith wiederkehrt."

Was hat "Die weibliche Seite Gottes" (im kommenden Jahr übrigens in Washington und 2019 in Frankfurt zu sehen) mit unserer Welt zu tun? "Derzeit sind bekanntlich viele damit beschäftigt, nach Grenzziehungen und Klarheiten zu suchen, und sie terrorisieren damit die Welt zu Tode, selbst dann, wenn sie behaupten, dies im ,Kampf gegen den Terrorismus' zu tun", sagt Loewy: "Doch jede dieser Eindeutigkeiten fordert erneut Menschenleben. Wir zeigen das Göttliche lieber als Welt der Zweideutigkeit." Jede Antwort auf die Frage nach dem einen Gott hat Konsequenzen über die Religion hinaus.

Wolfgang Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.