Dirigent Welser-Möst: "Man kann immer scheitern"
profil: Mögen Sie "Die Liebe der Danae“ eigentlich noch? Franz Welser-Möst: Ja, sogar umso mehr, je länger ich mich damit auseinandersetze. Wir haben für Salzburg eine großartige Besetzung für dieses an Mörderpartien nicht eben arme Werk gefunden. Es war nicht einfach, Künstler zu engagieren, die das singen können.
profil: Sie waren also in den Besetzungsprozess involviert? Welser-Möst: Das war ich in den vergangenen Jahren stets - weil ich nicht mehr mit Leuten zusammenarbeiten möchte, mit denen man sich auf keiner gemeinsamen Ebene findet. Von den 14 Solisten der "Danae“ kannte ich nur einen nicht. Alle anderen Besetzungen beruhten auf meinen Vorschlägen.
profil: Ist das Stück überhaupt spielbar? Welser-Möst: Im Grunde nur im Rahmen von Festspielen. Es beinhaltet mit dem Midas die schwerste Tenorpartie von Strauss - und mit dem Jupiter die anspruchsvollste Baritonrolle. Die wird in Salzburg fast ohne Streichungen zu hören sein, mit wenigen Transpositionen nach unten. So wie es da steht, kann das kein Mensch singen.
profil: Strauss war Pragmatiker. Wie erklären Sie sich diese schwierigen Rollen. Welser-Möst: Vielleicht glaubte er selbst nicht mehr an eine Uraufführung. 1944, nach Goebbels’ Ausrufung des "totalen Krieges“, fand von dem Stück eine Art Generalprobe statt. Bei der Salzburger Uraufführung 1952 war Strauss bereits tot. Strauss, der immer Abstand zu seinen Opernfiguren hielt, identifizierte sich allerdings auffallend mit Jupiter und dessen Liebesverzicht. Der Komponist blickt wie Gott auf sein Leben zurück.
Die "Daphne“ sollte ursprünglich ein "Otello“ sein.
profil: Wie steht es mit der Orchesterbehandlung? Welser-Möst: Ich bin nun wirklich mit allen Strauss-Wassern gewaschen - in diesem Fall musste selbst ich staunen. Nach der "Daphne“ dachte ich, das sei Strauss’ schwierigstes Stück, aber die "Danae“ übertrifft die Oper von 1938 weitaus an Komplexität - was die Beschäftigung mit dem Spätwerk des Komponisten nicht erleichtert, mich jedoch reizte. In "Die Liebe der Danae“ spürte ich viel Humor auf, so wie es laut Strauss einer "heiteren Mythologie“ anstehe, dazu eine Art olympische Weltabschiedsmusik.
profil: Wird man das auch auf der Bühne zu sehen bekommen? Welser-Möst: Nein. Regisseur Alvis Hermanis wollte jeden biografischen und politischen Bezug vermeiden. Er will dem Stück als orientalisches Märchen eine Chance geben.
profil: Vor zwei Jahren dirigierten Sie in Salzburg den "Rosenkavalier“, 2015 folgte "Daphne“ mit dem Cleveland Orchestra. Ist "Die Liebe der Danae“ nun der logische nächste Schritt? Welser-Möst: Unbedingt - obwohl dieser von mir nie so geplant war und sich zufällig ergeben hat. Im "Rosenkavalier“ sprang ich für Zubin Mehta ein. Die "Daphne“ wiederum sollte ursprünglich ein "Otello“ sein. Diesmal fügte sich alles von Beginn an. "Die Liebe der Danae“ in Salzburg - übrigens ursprünglich ein Vorschlag von Ex-Philharmoniker-Vorstand Clemens Hellsberg - hat sich für mich nach einer intensiven Strauss-Beschäftigung ergeben. Wann erhält man dazu schon die Gelegenheit?
profil: Wie schätzen Sie Ihre Position in Salzburg ein? Welser-Möst: Meine Arbeit im Opernbereich ist von einer schönen Regelmäßigkeit geprägt, über mittlerweile vier Intendanzen hinweg. Ich habe mir im Lauf der Jahre den Luxus erarbeitet, nur mehr das zu machen, was ich auch wirklich will. Unter Jürgen Flimm dirigierte ich 2008 "Rusalka“; 2014 folgte unter Alexander Pereira "Der Rosenkavalier“; 2015 übertrugen mir Sven-Eric Bechtolf und Helga Rabl-Stadler die Verantwortung für den "Fidelio“. Kommenden Sommer werde ich Aribert Reimanns "Lear“ leiten, auf den ich mich freue - ein großartiges Stück! Nach einer Pause sind dann für 2019 neue Projekte vereinbart.
Ich musste in den vergangenen Jahren in keinem halbleeren Saal spielen.
profil: Werden für Sie künftig auch andere Häuser eine Rolle spielen? Welser-Möst: Ich bin mit der Mailänder Scala, der Bayerischen und der Berliner Staatsoper im Gespräch. Wir planen, man wird sehen. Stolpersteine liegen immer im Weg. Alexander Pereira musste ich bereits einige Absagen erteilen, obwohl wir es in Zürich auf 43 gemeinsame Produktionen gebracht hatten. Ich lasse mich auf keine Kompromisse mehr ein. "Die Liebe der Danae“ wird meine 74. Opernpremiere werden! Ich bin offen für Neues. Mich interessieren Stücke, Besetzungen, Regisseure. Wo die gespielt werden, ist mir letztlich gleichgültig. Oper muss immer Wagnis sein.
profil: Ihr Vertrag in Cleveland läuft bis 2022. Streben Sie keinen zweiten Posten an? Welser-Möst: Nein. Ich kann die Dinge auf mich zukommen lassen - wobei ich Cleveland unglaublich genieße: Das ist wie ein Biotop, weit weg von unserem normalen Geschäft. Ich habe eine tolle Halle, einen wunderbaren Klangkörper, ein motiviertes Management, loyale Geldgeber und ein offenes Publikum, das sich einiges zumuten lässt. Für eine Stadt mit 400.000 Einwohnern ist das eine großartige Leistung.
profil: Mit Ihren konzertanten Aufführungen haben Sie sich in der Stadt sogar ein temporäres Opernhaus aufgebaut. Welser-Möst: Das ist eine schöne Bereicherung für Cleveland. Das Orchester liebt es, einmal pro Jahr semikonzertant Oper zu spielen. Es hat sich durch diese Herausforderung auch verändert, ist flexibler geworden.
profil: Wie sieht es mit der Auslastung aus? Die schwächelt selbst in den klassikverrückten USA. Welser-Möst: Wir sind zufrieden. Ich musste in den vergangenen Jahren in keinem halbleeren Saal spielen. Bartóks "Blaubarts Burg“ und "Der wunderbare Mandarin“ mit dem Joffrey Ballet aus Chicago fanden en suite vier Mal vor vollen Publikumsrängen statt.
Harnoncourt prägte mein musikalisches Verstehen, Boulez bestimmte über 40 Jahre lang die Geschicke in Cleveland.
profil: Anlässlich der Premiere von Juval Sharons "Tri Sestri“-Inszenierung waren Sie Anfang des Jahres seit Ihrem Abgang von der Staatsoper erstmals wieder in Wien. Welser-Möst: Man soll nicht zurückschauen. Ich hege keine sentimentalen, bitteren Gefühle. Deshalb brachte ich Juval Sharon auch nach Wien und wollte sehen, wie er sich hier schlägt. Dennoch war es zugleich befremdlich, fast ein bisschen wie Spießrutenlaufen. Ich kaufte mir meine Karte selbst, um mich herum wurde getuschelt, als man mich sah. Ich war froh, als das Licht ausging und die Vorstellung begann.
profil: Vermissen Sie die Wiener Philharmoniker? Welser-Möst: Wir haben viele gemeinsame Pläne, mit Schwerpunkt Salzburg und Oper im Mittelpunkt. Was will man mehr? Man kann schließlich nicht alles haben. Die Entscheidung, Wien den Rücken zu kehren, kam ja nicht über Nacht.
profil: Im März starb Nikolaus Harnoncourt. War sein Tod für Sie auch ein persönlicher Einschnitt? Welser-Möst: Ja, weil ich mit seinem jüngsten Sohn seit 22 Jahren befreundet bin. Dadurch kenne ich die Familie, war öfter in St. Georgen.
profil: Mit Pierre Boulez starb Anfang des Jahres ein weiterer Musikgigant. Welser-Möst: Die beiden bedeutendsten Figuren der klassischen Musikwelt der vergangenen 50 Jahre traten nacheinander ab! Harnoncourt prägte mein musikalisches Verstehen, Boulez bestimmte über 40 Jahre lang die Geschicke in Cleveland. Er machte die schwierigsten Stücke des 20. Jahrhunderts zu Selbstverständlichkeiten. Ich bin auf die weiteren Entwicklungen gespannt. Jede dieser Überfiguren hatte Trittbrettfahrer und Nachahmer. Wo die jetzt wohl bleiben, ohne Vorbilder?
Ohne die Lektüre von Schiller und Goethe sollte es gar nicht erlaubt sein, mit Beethoven ans Pult zu treten.
profil: Zählen Sie sich zur Speerspitze der österreichischen Musiktradition? Welser-Möst: Das ist Außenwahrnehmung, so denke ich nicht. Natürlich verbindet man mich mit Mozart, Strauss, Schubert. Aber das greift zu kurz. Ich wurde in diese Tradition hineingeboren, wuchs auf diesem Humus quasi heran, lasse mich aber nicht in eine bestimmte Schublade quetschen. Ich bin seit 14 Jahren beruflicher Halbamerikaner und möchte diese Erfahrungen auf keinen Fall missen. Ich müsste lügen, wenn ich nicht zugäbe, dass mir Franz Schubert und Alban Berg sehr nahe sind. Ich dirigiere aber genauso gern Debussy, Prokofjew, Olga Neuwirth. Auf Bach lege ich allergrößten Wert.
profil: Sie haben sowohl mit der staatlich subventionierten Finanzierung in Europa als auch mit dem privatwirtschaftlich geprägten US-System Erfahrungen gesammelt. Lehrt einen das den Umgang mit Geld? Welser-Möst: Durchaus. In Amerika fragt man sich stets: Können, müssen, sollen wir uns dies und das leisten? Wir lassen uns trotzdem nur davon leiten, höchstmögliche Qualität zu produzieren. Deshalb möchte ich nur mehr Projekte durchführen, die wirklich durchdacht sind.
profil: Sie kommen allmählich in das Mentoren-Alter. Sind Sie ein guter Lehrer? Welser-Möst: Damit tue ich mich schwer, ich werde schnell ungeduldig. Um meine Assistenten kümmere ich mich aber gern. Auch um Solisten und Sänger.
profil: Der Privatmann Welser-Möst wandert gern. Inzwischen weiß man auch, dass Sie eine große Bibliothek am Attersee besitzen. Kommen Sie überhaupt zum Lesen? Welser-Möst: Ich war schon als Kind eine Leseratte, und ich genieße es bis heute unendlich, in die Welt der Literatur abzutauchen, von den antiken Griechen bis Elfriede Jelinek. Bücher können sehr gute Freunde sein - der Dirigentenberuf ist nämlich ein einsamer. Auch Nikolaus Harnoncourt war ein durch Bücher universell gebildeter Mensch. Man hört es der Musik an, wenn Dirigenten nicht gebildet sind. Ohne die Lektüre von Schiller und Goethe sollte es gar nicht erlaubt sein, mit Beethoven ans Pult zu treten. Man kann immer noch scheitern, man sollte es sich aber nicht zu leicht machen.
Zur Person
Franz Welser-Möst, 55, zählt seit vielen Jahren zu den international renommiertesten österreichischen Dirigenten. Welser-Möst bekleidete Chefposten beim London Philharmonic Orchestra (1990-1996) und an der Oper Zürich (1995-2008); seit 2002 ist er Chefdirigent des Cleveland Orchestra. Seine Tätigkeit als Musikdirektor der Wiener Staatsoper beendete er 2014 nach nur drei Spielzeiten. In Salzburg dirigiert er diesen Sommer zum fünfen Mal Oper.