Reh zum Glück: Doris Knechts Roman "Wald"
Eines Morgens bemerkt Marian, dass jemand heimlich das Schimpfwort "Hur“ auf die Tür ihres Hauses geschrieben hat. Sonderlich beliebt im Dorf war die ehemalige Städterin, die - hoch verschuldet - nun versucht, sich auf dem Land durchzuschlagen, nie. Aber eigentlich ist man einander bisher eher aus dem Weg gegangen. Langsam aber spitzt sich die Sache zu: Sind nicht drei Hühner der Nachbarin bei ihr im Topf gelandet? Und: Wovon lebt die zurückgezogene, alleinstehende Frau eigentlich?
Trotzige Städterin
Die in Vorarlberg geborene Autorin und Journalistin Doris Knecht schickt in ihrem jüngsten Roman "Wald“ eine trotzige Städterin, die aus einem Bobo-Lebensstil-Mustermagazin entstiegen zu sein scheint (sie macht Yoga, kauft für 300 Euro Antifaltencremen, und ihren Latte macchiato trinkt sie natürlich mit Sojamilch), in die selbst gewählte Einöde. Mit ihrem Modelabel hat sie sich verkalkuliert, nun lebt sie in einem Haus am Waldesrand ohne Internet und Kontakt zur Außenwelt. Nur ein gewisser Franz bringt ihr regelmäßig Lebensmittel vorbei.
Was ist Abhängigkeit? Wie romantisch muss eine Beziehung überhaupt sein?
"Sex and the City“-Attitüde
Knechts Buch pendelt zwischen dem banalen Luxusleben einst und dem harten Alltag jetzt, in dem es täglich ums Überleben geht. Dieser Gegensatz ist freilich etwas simpel gestrickt. Gerade die Rückblenden auf Marians Karriere als erfolgreiche Modemacherin wirken flach wie aus einer Frauenzeitschrift. Das mag zwar Konzept sein, ist in seiner "Sex and the City“-Attitüde aber zu berechenbar. Weitaus vielschichtiger gelingen Knecht die Szenen im Dorf, die zum Glück nur sehr entfernt an Marlen Haushofers berühmten Roman "Die Wand“ (1963) erinnern. Vor allem gegen Ende gewinnt das Buch enorm an Komplexität, wenn es um die Frage geht, wie die Beziehung zwischen Marian und Franz, der sie dabei erwischt hatte, wie sie ein Reh wilderte, denn eigentlich funktioniert. Was ist Abhängigkeit? Wie romantisch muss eine Beziehung überhaupt sein? Diesen eigenwilligen Blick hätte man auch gern auf den urbanen Kontext angewandt gesehen. Abgründe gibt es schließlich nicht nur im Dorf.
Doris Knecht: Wald. Rowohlt Berlin. 272 S., EUR 20,60