Löschbares Feuer im Privilegiertenmilieu: So beginnt "Pfau".
Kino
Kino-Satire „Pfau“: Echt jetzt?
Bernhard Wengers exzentrische Sozial-Farce „Pfau“ bringt die Einsamkeit, die Europas Gesellschaften im Innersten zusammenhält, sarkastisch auf den Punkt.
Ein Golfwagen steht in Flammen am kurz rasierten grünen Rasen, keiner weiß, was da passiert ist, aber einer weiß, was nun zu tun ist. Darauf ist er stolz. Der junge Mann, er heißt Matthias, kennt seine Außenwirkung: bestes Auftreten, hohe Smalltalkkompetenz, exzellentes Aussehen. Er betreibt eine Agentur namens „My Companion“ und lässt sich als Begleiter buchen, er spielt Söhne, Lebensgefährten und beste Freunde, als Helfer für jeden Gesellschaftsanlass. Nebenbei steht er, stets freundlich, alert und zugewandt, seiner Klientel als Coach in Beziehungskrisen zur Verfügung. Hinter der Gewandtheit allerdings klafft gähnende Leere. Matthias ist ein Mann, der die Welt nicht mit Eigenschaften behelligen will, lieber zustimmt und sich anpasst, als eine Art Apparat der Unverbindlichkeit fungiert.
Dabei ist er nicht nur mit Menschen konfrontiert, die an Vereinsamung und Beziehungsarmut leiden, er ist auch selbst ein gutes Beispiel für die grassierende existenzielle Verlorenheit: Der Film „Pfau – Bin ich echt?“ (Kinostart: 20. Februar) kreist um einen bösen Verdacht, den der Protagonist gegen sich selbst hegt. Wie „authentisch“ kann einer sein, der sich jedem Umfeld wie ein Chamäleon anzugleichen versteht? Und was tut man gegen den drohenden Identitätsvollverlust? Wie aber wäre man genau man selbst? Wie ruht man denn am besten in sich?
Mit erstaunlicher Präzision hat der Regisseur und Autor Bernhard Wenger, 32, gebürtiger Salzburger, sein erstes abendfüllendes Werk inszeniert; die Pointen sind zielsicher und extratrocken gesetzt, die Bilder und Szenen bedacht komponiert. „Pfau“ behandelt Gewichtiges (Selbstoptimierung, Esoterik, Lebensangst und Kontrollzwang) denkbar schwerelos. Absurd ist die Welt, in der wir leben, aus seiner Sicht länger schon: „Unsere Gesellschaft hat das ständige Bedürfnis nach Anerkennung und Selbstpräsentation“, sagt Wenger im profil-Gespräch. Sogenannte „Rent-a-Friend“-Agenturen seien „eigentlich nur die Erweiterung von Social Media aufs echte Leben. Man mietet jemanden, um sich besser darzustellen.“
Wenger weiß, wovon er spricht; seinen Film plante er über Jahre, recherchierte akribisch. Bereits im Sommer 2018 reiste er nach Japan, um Leute zu treffen, die in „Rent a Friend“-Agenturen arbeiteten. 2014 war er auf das Thema gestoßen. In Japan habe er viel erfahren: „Ein Mitarbeiter erzählte mir dort, dass er durch die ständig neuen Rollen, die er einnehmen müsse, das Problem habe, nicht mehr wirklich zu wissen, wer er selbst sei, ob er überhaupt echt sei.“
Macht und Lügen
Diese Grundproblematik hat Wenger für die Hauptfigur übernommen, die skurrile Erzählung eines sich selbst abhanden Gekommenen dazu gebaut. Isolation und Einsamkeit seien die Grundlagen, aus denen jene Agenturen in Japan entstanden sind: „Menschen, die niemanden haben, können jemanden mieten, um auf einen Kaffee zu gehen, sich zu unterhalten oder um Unterstützung beim Einkaufen zu haben. Diese an sich gute Grundidee verwandelte sich schnell in ein Instrument der Selbstpräsentation, der Machtdemonstration und der Lügenvertuschung. Deshalb, glaube ich, funktioniert diese Idee in unserer Gesellschaft auch.“
Bernhard Wenger, der an der Wiener Filmakademie bei Michael Haneke und Wolfgang Murnberger Regie studiert hat, ist ein Spezialist des lakonischen Lustspiels, ein Stilist der heiteren Fremdscham. Einer seiner Kurzfilme trug den absichtsvoll umständlichen Titel „Entschuldigung, ich suche den Tischtennisraum und meine Freundin“. Wenger deutet den Schmerz, die Depression, die in „Pfau“ schwelen, nur an. Das Motiv der Selbstpräsentation sei ihm wichtiger gewesen als das Thema Einsamkeit. „Ich liebe die Arbeit mit subtilem, skurrilem, auch visuellem Witz. Es ist für mich interessanter, auch schwere Themen – anders als im österreichischen Film üblich – satirisch zu bearbeiten.“ Wengers Sinn für Timing ist dabei entscheidend. Seine Art von Komik entsteht oft erst im Zusammenspiel von Kamera, Bühnenbild, Kostüm und Schnitt.
Entfremdungsroutinen: "Pfau"-Hauptdarsteller Albrecht Schuch in der Mitte, mit Krawatte
Die mitteleuropäisch-bürgerliche Gegenwart setzt Wenger als Rundum-Satire in Szene – mit unersprießlicher Kunst, Beziehungsleerläufen, mit Nackt-Qigong und Schlammbad; alles soll sich in Therapie und Selbstfindung auflösen. Für destruktiv hält Wenger die Onlinewelt „definitiv auch“. Fortschritt bringe in der Regel eben Vor- und Nachteile zugleich. „Themen der Digitalisierung beschleunigen die soziale Vereinsamung und treiben die Selbstdarstellung ins Unermessliche. Alles, was zu intensiv betrieben wird, verwandelt sich irgendwann in ein Problem.“
Im schönsten Federkleid
Dem Pfau wird die Eitelkeit als vorrangige Charaktereigenschaft zugeschrieben. „Sich im schönsten Federkleid zu präsentieren, das beherrscht auch Matthias perfekt“, analysiert Bernhard Wenger seinen Antihelden. „Aber der Pfau kann wenig sonst, fliegt weder gerne noch gut, und selbst sein Schrei klingt grässlich.“ Sogar das hat er recherchiert. Der deutsche Schauspieler Albrecht Schuch („Im Westen nichts Neues“) brilliert in diesem Part als Apotheose der Arglosigkeit, und dabei gelingt ihm auch noch eine Reflexion übers Schauspielen. „Für eine passive, eigenartige Figur ist Albrecht die Idealbesetzung“, meint sein Regisseur, „denn man sieht ihm unter allen Umständen gerne zu, auch über die Länge eines Kinofilms.“ Schwache, von sich selbst peinlich berührte junge Männer sind Wengers Spezialität, ein solcher tritt auch in seinem „Tischtennisraum“-Film auf. „Ich breche gern mit alten Gender-Stereotypen, und ich finde, dass emotionale Männer mehr Stärke zeigen als konventionell ‚stark‘ auftretende Männer. Passive Frauengestalten halte ich im Kino für ebenso spannend. Mein Interesse liegt eher in der Eigenartigkeit einer Figur.“
Kaum eine Kritik zu Wengers neuem Film kommt ohne den Namen Ruben Östlund aus. Die Schlussszene ist fast zitathaft nah an „The Square“, einem berühmten Film jenes schwedischen Filmemachers. „Es gibt viele tolle Regisseur:innen, deren Arbeit ich sehr bewundere. Die Satire ist ihnen allen gemeinsam“, meint Wenger dazu. „Ich versuche, satirisch, aber positiv zu arbeiten. Im skandinavischen Kino ist mir die Bitterkeit oft zu präsent.“ Dem Zynismus will er weiterhin großräumig ausweichen. „Dazu bin ich ein zu positiver Mensch.“ Aber vielleicht, fügt er lächelnd noch hinzu, komme der Zynismus ja noch mit dem Alter.
Newsletter
Drucken
(profil.at)
|
Stand:
Stefan Grissemann
leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.