Auf rund 900 Quadratmetern will man die wilde Historie der international strahlkräftigsten Kunstrichtung der österreichischen Nachkriegsgeschichte vermitteln: „Was ist Wiener Aktionismus?“, so wird die Eröffnungsausstellung heißen. Eine bloße Einführungsveranstaltung werde es jedoch nicht, sagt die Direktorin des neuen Museums, die Kunsthistorikerin Julia Moebus-Puck, 38, im Gespräch mit profil: „Wir richten uns an Kennerinnen und Nichtkenner, wollen im Erdgeschoß zeigen, wie jeder der vier Künstler sich von der Malerei hin zu den Aktionen entwickelt hat. Im Keller geht es dann buchstäblich in die Tiefe des Aktionismus, mit Filmarbeiten, Fotos, Dokumenten.“
Auf die Jahre 1957 bis 1973 wolle man sich konzentrieren, denn ab etwa 1970, so Moebus-Puck, hätten die vier zentralen Künstler nicht mehr als Gruppe agiert. Nitsch erwarb 1971 Schloss Prinzendorf, um sein „Orgien-Mysterien-Theater“ zu entwerfen, Muehl gründete seine Kommune, Schwarzkogler war im Sommer 1969 nach einem Fenstersturz gestorben, und Brus beendete mit der „Zerreißprobe“ 1970 seine aktionistische Tätigkeit.
Im August 2022 fädelte der Wiener Galerist Philipp Konzett, um das Aktionismus-Museum zu gründen, den Ankauf der millionenschweren Sammlung Friedrichshof ein. Er erwarb diese gemeinsam mit den Kunstsammlern und Unternehmern Reza Akhavan, Jürgen Boden, Daniel Jelitzka, Dirk Ströer und Christian Winkler. Konzett fungiert als Geschäftsführer – und mit einem Anteil von 25 Prozent auch als Gesellschafter – der Wiener Aktionismus Sammlung GmbH. Das Wiener Museum moderner Kunst (Mumok) hatte sich bereits vor 20 Jahren Filetstücke der Sammlung Friedrichshof gesichert. Das Konsortium um Konzett kaufte nun den Rest, rund 800 Ölgemälde und, grob geschätzt, 13.000 grafische Arbeiten. Der Wiener-Aktionismus-Bestand des WAM aus den Jahren 1957 bis 1973 sei, so Konzett, „absolut unverkäuflich“. Einzig Muehls grafisches Werk stehe zur Veräußerung bereit, Teile daraus werden von der GmbH verkauft. Ursprünglich waren die gesamten Friedrichshof-Bestände Muehls Gemeinschaftseigentum. Alle seine Bilder blieben nach der Kommunenauflösung in der Genossenschaft am Hof. Diese Kollektion ist nun in der Sammlung GmbH verankert, die auch als Muehls Nachlassverwaltung auftritt.
Schon die Probehängung in den Räumen des werdenden Aktionismus-Museums sieht beeindruckend aus. Man besitze viele Inkunabeln, sagt Konzett stolz, der gleich eine Privatführung durch die Hallen des WAM anbietet: Viele Früh- und Schlüsselwerke befinden sich in der Sammlung – das erste Schüttbild etwa, das erste Manifest und auch das obszöne letzte Werk der Bewegung, „Die 12-Aktionen-Mappe“ Otto Muehls von 1971/72, eine Reihe von Siebdrucken mit geköpften Menschen und durchtrennten Genitalien. Konzett sammelt Muehls Werke seit Jahrzehnten; er betrachtet den Künstler als Missverstandenen, dessen Schaffen man jenseits moralischer Verwerfungen zu beurteilen habe.
Wenn er höre, dass Wiens Freud-Museum im vergangenen Jahr 130.000 Menschen angelockt habe, dann sei dies auch sein Fernziel bis 2029: unabkömmlich zu werden im Kulturangebot der Stadt. Und irgendwann könne dann der Staat übernehmen. Bis dahin solle das WAM vollständig privat finanziert und bespielt werden, meint Konzett: „Wir müssen frei sein, um uns nicht beschränken zu müssen.“
Operativ wird er in seinem Museum nicht beteiligt sein, die Geschäftsführung genügt ihm. Julia Moebus-Puck wird mit einem kleinen kuratorischen Team arbeiten, für die bis Ende Jänner 2025 laufende Eröffnungsschau etwa gemeinsam mit der langjährigen Aktionismus-Spezialistin des Mumok, Eva Badura-Triska. Zwei Ausstellungen pro Jahr fasse man ins Auge, zudem vielleicht eine Wechselausstellung im Nebentrakt. Und man wolle dem Wiener Aktionismus auch Zeitgenössisches gegenüberstellen. „Wissenschaftlich gibt es vieles, das man noch ausleuchten und vertiefen muss, die inszenierte Fotografie etwa und die Filmarbeiten. Mir ist als Direktorin wichtig, den Aktionismus zeitgenössisch zu diskursivieren. Und die Frage des Körpers in postpandemischen Zeiten, im Posthumanismus neu zu stellen.“
Von 16 bis 20 Museumsgründern, die als Co-Financiers auftreten, soll das WAM etabliert und getragen werden. „Wir als Gründer haben keine Erfahrung mit Museen, niemand von uns hat je eines initiiert oder aufgebaut“, so Konzett. „Aber wir haben sachkundige Berater und Unterstützerinnen. Als Gründer hat man auch ein Interesse an der kunsthistorischen Wertsteigerung der Werke. Das wird sich entwickeln, wie bei Schiele, der einst als Pornograf galt. Heute ist er das Kunst-Aushängeschild schlechthin.“
Konzett beschwört die Sinnlichkeit des Aktionismus, ein Erlebnis aus den 1980er-Jahren: „Während einer Nitsch-Aktion stampfte ich bloßfüßig erst in Weintrauben, dann in weichen, noch warmen Ochsengedärmen. Diesen ‚Blutrausch‘ habe ich nie mehr vergessen. Ich kam erst Monate später drauf, dass dies eines der wertvollsten Erlebnisse meines Lebens war.“ Und dann sagt Konzett einen irritierenden Satz: „Ein Leben ganz ohne Traumata ist möglicherweise schon ein verlorenes.“
Was ihn direkt zu dem einstigen Wehrmachtssoldaten Otto Muehl führt, geboren 1925, verurteilt wegen Kindesmissbrauchs und Vergewaltigung 1991, gestorben im portugiesischen Exil 2013. Der Konflikt zwischen Kunst und Verbrechen wurde im Fall Muehl lange verdrängt. Noch in dem Standardwerk zum Aktionismus, den das Mumok 2012 herausgegeben hat, findet sich in der detaillierten Künstlerbiografie kein Wort zu Muehls Übergriffen. Konzett leugnet diese nicht, bestreitet aber den Vorwurf anhaltender Gewalt am Friedrichshof und bricht eine Lanze für die Autonomie transgressiver Kunst: „Sie darf prinzipiell alles.“ Diese Freiheit drohe jedoch verloren zu gehen. „Viele Museen trauen sich nicht mehr, bestimmte Werke zu zeigen, weil die Kuratoren Angst haben. Die Welt spielt verrückt, insofern kommt dieses Museum zur rechten Zeit.“ Einer wie Trump könne sich alles leisten. „Aber Künstler, die sich vor Jahren einmal diskriminierend geäußert haben sollen, werden geächtet. Wir müssen nicht gesellschaftskritisch arbeiten oder Rücksicht nehmen. Wir suchen die Auseinandersetzung.“
Paul-Julien Robert, der 1979 in die Muehl-Kommune hineingeboren wurde und seine Jugenderfahrungen am Friedrichshof bereits 2012 in dem beklemmenden Dokumentarfilm „Meine keine Familie“ bearbeitet hat, gehört zur Gruppe „Mathilda“. Sie versteht sich als „Verein zur Förderung des sensibilisierenden Umgangs mit Kunst aus Gewalt-Kontexten“ und umfasst neben ehemaligen Kommunardenkindern auch assoziierte Kulturschaffende wie die Philosophin Elisabeth Schäfer.
„Die Kunst war Mittel zum Zweck am Friedrichshof“, erinnert sich Robert, „es ging stets nur darum, Muehl als größten Künstler aller Zeiten anzuerkennen – und ihn damit attraktiv zu machen für die Frauen und Mädchen. Das war seine Methode. Er hat seine Kunst fast immer im Rahmen von Happenings produziert, sie entstand ja nicht in seinem Atelier. Insofern muss man alle Werke, die dort entstanden sind, kontextualisieren. Das sind nicht einfach nur ‚schöne Bilder‘. Muehl hat stets auf andere Körper zugegriffen, kaum je auf seinen eigenen.“
Manche Opfervertreter wie Andy Simanowitz, der auch mit „Mathilda“ arbeitet, treten inzwischen kategorisch gegen Ausstellung und Verkauf der Arbeiten Muehls auf; er sieht dessen Malerei als Kontroll- und Gewaltmittel, als Reliquien einer Despotie. Robert stellt eine simple Frage: „Warum sollte man den Kontext, in dem Muehls Kommunenbilder entstanden sind, nicht aufdecken? Wir haben dazu konkrete Vorschläge.“ WAM-Direktorin Moebus-Puck kalmiert: Sie würde jene Arbeiten, die man laut Konzett „vorerst nicht“ zeigen werde, „natürlich nicht einfach in den Raum stellen, sondern deren Geschichte aufarbeiten“. Als Deutsche sei sie mit dem Aktionismus nicht aufgewachsen, habe diesen erst im Studium kennengelernt. „Und ich hatte nicht ein einziges Mal den Gedanken, man könne bestimmte Arbeiten nicht mehr zeigen! Mich faszinierte vielmehr die Spannung darin, diese verrückte Ideologie. Ich hatte auch nie den Verdacht, Frauen seien dabei zu Schaden gekommen. Von all dem können wir lernen. Ich fände es fatal, diese Werke zu verstecken.“
Auch „Mathilda“, sagt Paul Robert, sei keine Zensurstelle, man wolle keine Bilder verschwinden lassen oder gar zerstören. Nur eben: kontextualisieren. Infotafeln und Plakate hielte Moebus-Puck jedoch für „viel zu kurz gegriffen“. Es gehe um diskursive Zwischenräume, die man insbesondere durch die Kunst herstellen könne. „Das lässt sich kuratorisch lösen, indem man bestimmte Werke einander gegenüberstellt.“
Rainer Fuchs, Chefkurator am Mumok, hat „Mathilda“ unlängst eingeladen, eine ausgestellte Muehl-Arbeit mit einer installativen Intervention zu konterkarieren; er verteidigte Muehl bei einer Podiumsdiskussion als internationale Größe. Den Widerspruch zwischen dem bedeutenden Künstler und dem Straftäter müsse man leider aushalten. Muehl sei nicht einfach so herauszulösen aus der Kunstgeschichte. Denn der Kunstbetrieb sei „keine Kuschelecke, sondern ein Minenfeld“, auf dem „scharf geschossen“ werde. Das kriegerische Sprachbild hallte nach. Künstlerische Kampfansagen schlagen, wo Körper ins Spiel treten, eben bisweilen auch in Gewalt um.
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