Ein Streifzug durch die Diagonale 2021
Als der Regen einsetzt, am Ende des ersten Festivaltags, nach den letzten Bildern der Uraufführung von „Sargnagel“, werden die Ordnungskräfte nervös. Das vor den Toren der architektonisch unromantischen Grazer List-Halle plaudernde, rauchende und trinkende Premierenpublikum steht, um nicht nass zu werden, deutlich zu eng unter den schmalen Mauervorsprüngen. Die FFP2-Masken hat man im Inneren lange genug getragen, im Freien werden sie augenblicklich von den Gesichtern gerissen. Das nachdrücklich formulierte Mantra, man möge vorschriftsmäßig voneinander Abstand halten, zeigt zunächst wenig Wirkung, bis die ersten Herumstehenden bemerken, dass sich nur ein paar Schritte weiter ein trockener Platz befindet, an dem sich die Versammlungslaune mit etwas mehr Distanzwahrung verbinden lässt.
So fanden die am Grazer Stadtrand Gestrandeten am Mittwoch vergangener Woche gegen 22 Uhr unter den Bögen eines Supermarkts ein Refugium, das eine improvisierte Party möglich machte. Der Schauplatz, umgeben von Baustellen, entwickelte seinen eigenen industriellen Glamour, und die in Schwarz gekleidete Heldin des Abends, die Autorin, Cartoonistin, Performerin und Instagram-Aktivistin Stefanie Sargnagel, trank in der Menge Dosenbier mit ihrer Entourage.
Eine Stunde davor war Sargnagel auf die Bühne geschlurft und hatte ein paar lakonische Betrachtungen zu ihrer künstlerischen Arbeit vom Stapel gelassen. „Als Underdog aus dem Callcenter schießt man eben andere Sachen raus als die Kulturelite.“ Beim Bücherschreiben sei man, wenn man scheitere, immer selber schuld. Beim Film dagegen werde man herumkommandiert, sei für nichts mehr verantwortlich. Nach den Dreharbeiten habe sie erst wieder lernen müssen, wie das geht: waschen, essen, frisieren, Zähne putzen. Wenn jemand also Interesse habe an ihr als Schauspielerin, sei sie für alles offen, „rein vom Arbeitsprozess her“ habe sie es sehr genossen.
„Sargnagel“ ist ein fingierter Dokumentarfilm, der von den scheiternden Bemühungen handelt, ein doku-fiktionales Sargnagel-Porträt zu drehen. Die zwischen Überdrehtheit und Loser-Chic changierende Satire auf den Kulturbetrieb (Regie und Buch: Sabine Hiebler, Gerhard Ertl), sympathisch besetzt mit Profi-Comedians wie Michael Ostrowski, David Scheid und Hilde Dalik – die für ihre Doppelrolle als karrieristisches Starlet und versoffene Sargnagel-Freundin mit dem Schauspielpreis ausgezeichnet wurde –, wurde vom Diagonale-Publikum dankbar angenommen.
Wie man überhaupt die stille Freude spürte, die sich in der Festivalklientel breitgemacht hatte, sämtlichen Covid-Vorschriften und Sperrstunden zum Trotz: eine Prise des einstigen Kulturlebens, nach langer Durststrecke. Tizza Covi und Rainer Frimmel etwa, die ihre „Geschichten aus der Unterwelt“, eine Oral History zum Wiener Kleinkriminellenmilieu der 1960er- und 1970er-Jahre, präsentierten, gaben im Schubertkino entspannt Auskunft darüber, wie sie jene untergehende Kultur der charismatischen Gauner und Wienerliedersänger bewahren konnten.
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