Eine Kultur der Nachhaltigkeit: Plastik, Feuer und Eis
Der Alptraum eines sich durch unser aller Zutun gefährlich erwärmenden, klimatisch radikalisierenden Planeten ist immer noch nicht in unseren Köpfen angekommen. Zu ungreifbar erscheint er in den Konsequenzen, die er fordert, auch zu groß, nicht denk- und handhabbar. In der Kunst, die weniger zur Verdrängung neigt als die träge Wohlstandsgesellschaft, spielt die Klimakrise – auch dieser Begriff ist inzwischen, wie das Wort „Klimawandel“, fast schon ein Euphemismus – längst eine Hauptrolle. In den Museen und Kunsthallen, auf den Kinoleinwänden und den Theaterbühnen blühen mahnende Bilder, Klänge und Ideen, die zwischen stiller Bewusstseinsschaffung und offensiver Schockwirkung schillern.
Der aus Peking stammende Konzeptkünstler Ai Weiwei beispielsweise hat in einer Arbeit namens „Roots“ 2019 die gigantischen Wurzeln des gefährdeten brasilianischen Pequi-Vinagreiro-Baums aus Eisen nachgebildet, um die Zerstörung des Amazonas-Regenwalds zu geißeln. Für ihre Arbeit „Plastic Ocean“ sammelte Tan Zi Xi, Künstlerin aus Singapur, Müll aus dem Meer, über 26.000 angeschwemmte Kunststoffteile, und baute daraus eine immersive Installation: Man treibt durch einen blau erleuchteten Raum, einen synthetischen Dom, wie durch die Tiefen eines am Plastikabfall erstickenden Meeres.
Raus aus den Schutzzonen!
Nicht ohne Grund tendiert die ökologisch-kritische Kultur dazu, die hermetischen Kunsträume zugunsten des öffentlichen Raums hinter sich zu lassen. Aktivismus im Museumstempel? Schwierig. Wer etwas in den Herzen einer verunsicherten Gesellschaft bewegen will, kann sich nicht in den safe spaces des subventionierten Kunstzaubers verschanzen. Auch deshalb realisierte der dänisch-isländische Kunststar Ólafur Elíasson, der vorzugsweise mit Naturereignissen wie Licht, Luft und Wasser arbeitet, seine „Ice Watch“-Serie (2014–2018) an öffentlichen Plätzen in London, Kopenhagen und Paris. Er verfrachtete tonnenschwere Eisblöcke aus Grönland in die europäischen Metropolen, stellte die Schmelzprozesse, das Verschwinden massiver Naturobjekte ganz konkret aus. Das Wiener Künstlerpaar Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl integrierte 2020 künstliche Eisberge in eine seiner Ausstellungen im Kunsthaus Bregenz: die bedrohte Natur als Teil der utopischen „Begehrensräume“ der Gegenwartskunst. Einiges an bitterer Ironie liegt allerdings in dem Umstand, dass gerade der Kunstbetrieb, der sich bisweilen so umweltkämpferisch gibt, nachweislich verschwenderisch, in seiner Transport- und Präsentationslogistik alles andere als nachhaltig agiert.
Unbequeme Wahrheiten
Der einstige US-Vizepräsident Al Gore warnte bereits 2006 in einer global angelegten Kampagne unter dem Titel „An Inconvenient Truth“ (Eine unbequeme Wahrheit) in Film- und Buchform vor den katastrophalen Resultaten der Erderwärmung, vor schmelzenden Gletschern, Tsunamis und flächendeckenden Waldbränden. Tatsächlich aber geht die künstlerische Auseinandersetzung mit der ungeschützten Natur zurück in die 1960er- und 1970er-Jahre, zur Land Art Robert Smithsons etwa oder zum grünen Aktivismus des Universalkünstlers Joseph Beuys.
Die Frage aber, ob Kunst für direkten sozialen Wandel sorgen kann, ist weiterhin offen. Die slowenische Fotokünstlerin Vanja Bučan, deren Arbeit derzeit den Wiener Ringturm schmückt, meint dazu: „Kunst kann Informationen und Hinweise liefern, Auskunft geben über den jeweils aktuellen Zustand der Gesellschaft. Sie kann beeinflussen, aber auch Ängste triggern.“ Man müsse politische Kunst dringend öffentlich halten. In der Soziologie gebe es den „Not in my neighborhood“-Effekt: „Was weit entfernt erscheint, geht uns nichts an. Aber die Katastrophe kommt immer näher.“
Unruhe, Zerstörung
Seit 2013 lebt Bučan, die Jeff Walls konzeptuelle Fotodokumente, aber auch die Arbeiten des Briten Stephen Gill und die niederländische Künstlerin Viviane Sassen zu ihren zentralen Einflüssen zählt, in Berlin. Seit Jahren rückt sie ihren Naturaufnahmen mit strategischen Schnitten zu Leibe. „Diese Idee eröffnete mir ganz neue künstlerische Perspektiven. Davor hatten sich meine Interventionen auf die Schauplätze beschränkt. Die Bilder selbst begann ich erst damals zu bearbeiten. Seither ist Papier mein Medium.“
Ihre klimakritische Fotoarbeit „Wandernde Eisberge“ wurde dazu erkoren, ab sofort drei Monate lang den Wiener Ringturm zu umhüllen. In dieser Woche wird Bučan in Wien weilen, um ihr gigantisches Werk, das bereits zu besichtigen ist, zu präsentieren. Auf Ihrer Instagram-Seite bezeichnet sich Bučan als „mostly photographer“, weil sie sich unter anderem auch als Umweltaktivistin begreift. Ihr „Eisberg“-Werk nennt sie „ein Mahnmal für die Ära der Klimaunruhen und Klimazerstörung“.
Architektonisches Krisenmanagement
In der öffentlichen Klima-Diskussion stehen Autos, Kühe, Flugzeuge und der überbordende Fleischkonsum in den westlichen Staaten an vorderster Front der Kritik. Bauen und Wohnen aber „produzieren“ knapp 40 Prozent des CO2-Ausstoßes, dies fehlt in der Debatte um eine lebenswerte Zukunft immer noch. Genau hier liegt also eines der größten Veränderungs- und Reduktionspotenziale – nicht allein im Begrünen der Fassaden oder durch einen Wechsel zum Baustoff Holz. Tatsächlich beginnt ernstzunehmende Nachhaltigkeit bei den Rohstoffen, bei deren Wiederverwertung und -verwertbarkeit – und sie endet bei Energie-Plus-Gebäuden.
Ein gutes Beispiel für das Zusammenwirken aller Faktoren für nachhaltiges Bauen ist das Pixel Building im australischen Melbourne. Realisiert vom ortsansässigen Architekturbüro studio505 gehört es zu den bisher wenigen „6 Star Green Star-Buildings“ (der in Australien für Nachhaltigkeit maximal erreichbare Wert): Es weist bewegliche Applikationen an der Fassade auf, kombiniert mit Lüftungsklappen, die nicht nur durch Solarenergie betrieben werden, sondern sich auch nach der Sonne ausrichten; die Fenster ermöglichen nachts automatisiert Kühlung durch Lufteinlass; für die erforderliche Energie sorgen Windturbinen, Solarzellen und eine Kraft-Wärme-Kopplungsanlage, die gasbetrieben wird; das Grauwasser wird rückgewonnen und für Toiletten und Kühlzwecke erneut brauchbar gemacht.
Architektur ist aber auch eine Kunstdomäne – bestes Beispiel dafür: Frank Gehrys neuer Kunsttempel, das Kulturzentrum Luma im französischen Arles. Mit der durch solche Gebäude erreichten öffentlichen Aufmerksamkeit lassen sich Gegenwartsthemen bestens transportieren. Luma gehört inzwischen zu den beliebtesten Fotomotiven Frankreichs. Und dennoch: Gehry hat sich damit ein Denkmal gesetzt, ohne die geringste Rücksicht auf Fragen des Klimaschutzes zu nehmen. Vielleicht betont der stellvertretende Luma-Chef, Mustapha Bouhayati, gerade deshalb: „Die einzige Möglichkeit in dieser Welt, noch etwas zu bewirken, liegt in der Kooperation aller Disziplinen.“
Mitarbeit: Gerhard Leeb