Elisabeth Scharangs „Jack“: Offen für alles
Mit großer Intensität, fast reptilienhaft überantwortet sich der Schauspieler Johannes Krisch in diesem Film der Aufgabe, einen gefeierten Mörder, einen weithin überschätzten Undurchschaubaren zu verkörpern. Tatsächlich gelingt es ihm in Elisabeth Scharangs „Jack“, ein charismatisches Zentrum herzustellen, wo es eigentlich keines gibt, denn der reale Jack Unterweger blieb und bleibt ungreifbar. Das Drehbuch erstattet davon Bericht: Die Regisseurin träumt sich versuchsweise in die kaum zu fassende Biografie Unterwegers, gibt zudem an, eine Art Fiktion aus den tatsächlichen Ereignissen gemacht zu haben, aber die Buchstäblichkeit ihres Entwurfs steht der Entfaltung der Faszination, die dieser Mann ausgestrahlt haben soll, dann doch deutlich im Weg. Zur bis heute offenen Schuldfrage Unterwegers in elf Mordfällen entwickelt Scharang keine Haltung, weicht ihr einfach aus, um noch einmal „im Zweifel für den Angeklagten“ zu sprechen, ihn also durchaus empathisch als tragischen Antihelden zu porträtieren, dabei aber seinen aktenkundigen Sadismus, seine Bosheit nicht zu unterschlagen.
Unstillbares Begehren
Natürlich ist die Geschichte des scheinbar resozialisierten Mörders Jack Unterweger eine gute, aber sie ist eben auch immens schwierig, weil sie, wenn man nah an den Fakten bleiben will, nicht abzuschließen ist. So bleibt der Autorin nur die Möglichkeit der Psychologisierung: Sie stellt Unterweger, vermutlich zu simpel, als mutter- und milieugeschädigten Verbrecher dar, der von den Wiener Kultur- und Hedonistenzirkeln schließlich überfordert und verbraucht wird. Sein Verglühen ist in diesem Fall nur teilweise selbst verschuldet. Andere Figuren dagegen gewinnen kaum Kontur: Eine reiche Geliebte des Haftentlassenen, gespielt von Corinna Harfouch, bleibt unerklärt, ein bloßer Schatten des unstillbaren Begehrens in der Unterweger’schen Umlaufbahn.
Der Soundtrack der Kärntner Band Naked Lunch verleiht dem Episodendrama von Fall, Aufstieg und Untergang des Protagonisten eine stark melancholische Textur, kann über die Uneinheitlichkeit der Inszenierung jedoch auch nicht hinwegtäuschen: So muten etwa die Szenen, in denen Unterweger wie ein Star in der dekadenten Wiener Kulturschickeria auftaucht und in Nachtclubs gefeiert wird, sehr künstlich, überaus forciert an, während anderes ganz realistisch-theaterhaft ausbuchstabiert wird. Der hohe Ton des Wiener Burgtheaters, der nicht nur mit Johannes Krisch, sondern auch mit Birgit Minichmayr und Sarah Viktoria Frick hier Einzug hält, steht außerdem in einem gewissen Widerspruch mit dem eher amateurhaft-authentischen Spiel vieler Nebenfiguren. Und Johannes Krisch gibt dem im wirklichen Leben etwas unscheinbaren Autor eine fast dämonische Präsenz; da ist ein Bigger-than-life am Werk, das sich mit dem dokumentierten Leben des Gefängnisdichters und Romanciers Jack Unterweger nicht recht verträgt.
Albträumerischen Stimmungen
Die Regisseurin, die als Journalistin Unterweger selbst vier Mal persönlich begegnete, gibt an, sie habe sich von den Fakten lösen, ihre eigene Interpretation entwickeln müssen; denn Unterweger sei „eine Projektionsfläche“ gewesen, in der sich alles gespiegelt habe, „was man in ihm sehen wollte“. So bleibt sie in ihrem Zugriff offen für alles. Aber das ist zu viel für einen Film, der die Konzentration des Unwirklichen, die Stilisierung eines inzwischen fast mythisch verklärten Dramas sucht. Die Kamera des Terrence-Malick-Mitarbeiters Jörg Widmer ist allerdings sehr dabei behilflich, die albträumerischen Stimmungen zu erschaffen, auf die es Scharang anlegt.
In einem der letzten Bilder erst, einer seltsam märchenhaften Todesfantasie, verwandelt sich Krisch ebenso ungeahnt wie gespenstisch doch noch in jenen Unterweger, der in den frühen 1990er-Jahren durch die Medien geisterte: Mit weißgekalktem Gesicht taumelt er weinend, wie ein Untoter, durch den nächtlichen Wald, für immer gebunden an jenen sadistischen Mord, den er im Dezember 1974 begangen hatte.