Empfehlungen: Bücher statt und zu Corona
Der Kopf summt, die Stimmung ist am Tiefpunkt nach drei Büchern oder 1000 Seiten Pandemie. Dazu gesellt sich die schaurige Frage, wie es wohl nach der doppelten Seitenzahl an Seuchenschilderung um Wohlergehen und Denkvermögen bestellt wäre. Dabei handelte es sich bei den drei Beispielen um durchgehend erfreuliche Exemplare der neuerdings hochaktuellen Pandemie-Gattung. "1918 - Die Welt im Fieber" der britischen Journalistin Laura Spinney erschien vor Ausbruch des Coronavirus - und eroberte im Vorjahr die Bestsellerlisten. Spinney, 49, schreibt glänzende Wissenschaftsprosa, die das Pandemie-Phänomen am Beispiel der bis vor Kurzem aus dem kollektiven Gedächtnis entschwundenen Spanischen Grippe auf den Punkt bringt, worüber noch zu sprechen sein wird. Spinneys Landsmann Mark Honigsbaum, Jahrgang 1960, schlägt in "Das Jahrhundert der Pandemien" souverän den großen, mit ausuferndem Fachvokabular und überbordender Detailfülle gestützten Epidemie-Bogen - von AIDS bis Zika, von der Pest bis zur Papageienkrankheit zu Beginn der 1930er-Jahre. "Für Witwen und gelangweilte Hausfrauen waren Käfigvögel das Radio ihrer Zeit", schreibt Honigsbaum; das ominöse globale Vogelsterben und der damit kausal zusammenhängende Tod vieler Menschen führten zu Panik und Hysterie. Von gespenstischer Lautlosigkeit berichtet dagegen das Buch "Stille Stadt" des Historikers Peter Payer mit Fotos von Christopher Mavrić: Wiens Corona-Disruption als ausführliche Krisenchronik und außergewöhnlicher Bilderreigen.
So erschöpfend und detailgenau diese Bände sein mögen, sie bleiben bloße Bruchstücke eines veritablen Bücherbergs, der sich seit einem Jahr in den Buchhandlungen und Lagerhallen der Online-Versandhändler auftürmt. Der Suchbegriff "Corona" in der "Bücher"-Kategorie der Gemischtwarenplattform Amazon führt zu unfassbaren 30.000 Treffern - vom umstrittenen, allein in Österreich 25.000 Mal verkauften Bestseller "Corona Fehlalarm?" über Kindergerechtes ("Conni macht Mut in Zeiten von Corona"), erste Romane zum Thema (wie Reinhold Bilgeris "Die Liebe im leisen Land") und Fachliteratur (siehe "Das Virus in uns" von Autor Kurt Langbein und Wissenschaftsjournalistin Elisabeth Tschachler) bis zu Brachialratgebern à la "Stop Corona", in dem Vitamin D als probates Mittel gegen Covid-Infektionen empfohlen wird. Das Verzeichnis lieferbarer Bücher listet knapp 250 deutschsprachige Titel zum Thema, die Barsortimentssuche liefert inklusive Hörbüchern und E-Books über 3000 Ergebnisse.
Rotraut Schöberl und Petra Hartlieb, Helmut Zechner und Johannes Kößler sind die Expertinnen und Experten, die man jetzt braucht, um die Frage nach möglichen Schneisen durch die Pandemiebücherberge zu beantworten, um Relevantes von Irrelevantem, das Wichtige vom Trash zu trennen. Schöberl ist die mundflinke Gründerin der Wiener Innenstadt-Buchhandlung "Leporello"; eine gute halbe Stunde Straßenbahnfahrt entfernt liegt "Hartliebs Bücher", das Geschäft der Buchhändlerin und Autorin Hartlieb, von der kürzlich der hoffnungsfroh überschriebene Roman "Wenn es Frühling wird in Wien" erschienen ist. Kößler wiederum, der auf Fotos gern lustige Gesichter zieht, ist Mitgründer der Buchhandlung "Seeseiten" im Wiener Außenbezirk Donaustadt. Zechner schließlich führt die Klagenfurter Traditionsbuchhandlung "Heyn", in der die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter liebevoll "Heynis" genannt werden, und ist Vorsitzender des Österreichischen Buchhändlerverbands.
Am Lesen führt kein Weg vorbei
Das Virus, lacht Rotraut Schöberl in Wien, drohe uns auch "buchproduktionsmäßig zu überrollen", was ihm aber nicht gelingen werde. "Viele suchen nach fundierter Information, andere nach philosophischen, soziologischen, authentischen Texten." Am Lesen selbst, sagt Schöberl, führe kein Weg vorbei: "Alles, was wir verstehen und nachvollziehen können, ist leichter bewältigbar." Johannes Kößler in der Seestadt sagt: "Das Feld der Spitzentitel und Schnellschüsse wird von unterschiedlichen Ausformungen der 'Aufdecker-Literatur' beherrscht, sei es im medizinischen oder wirtschaftlich-politischen Feld, bei der das vermeintlich Unglaubliche demaskiert werden soll - vor allem aus Marketinggründen." Dabei, so Kößler weiter, komme es auf die "angebliche Größe des aufgedeckten Skandals" an: "Dieses Maß korreliert mit PR-Floskeln wie 'Das Geheimwissen' oder 'Endlich enthüllt: Was die Medien, Politik, die Reichen wirklich vorhaben und geheim halten wollen!'"
Die schwindlige Art des Marketings greife selbstverständlich, sagt Kößler: "Vor allem bei jenen, die sich aufgrund tragischer, schwieriger oder problematischer Umstände noch nicht damit abfinden konnten, dass hinter unser aller Situation kein anderes Geheimnis steckt als pandemische Abläufe, die damit einhergehenden Schrecknisse und Probleme." Autor Honigsbaum entwirft in "Das Jahrhundert der Pandemien" dafür das Bild von den mikrobiellen Prädatoren, von der Seuche als "Menschenfresser". Honigsbaum ist zu sehr Wissenschafter, als dass er zur Panikmache neigen würde - eher zu zartem Pessimismus: "Meine Herren, die Mikroben werden immer das letzte Wort haben!", zitiert er den Immunologie-Gründer Louis Pasteur. In ihrem Geschäft in der Wiener Währinger Straße gebe es keine "Corona-Ecke", sagt Petra Hartlieb: "Ich möchte nicht aufgerieben werden zwischen Corona-Leugnern und Impfgegnern." Ab Mai 2020 sei die erste Welle an "sogenannten Sachbüchern" auf den Markt geflutet: "Was für mich bereits Grund für gehörige Skepsis war: Wie lässt sich seriöse Sachliteratur über eine damals noch gänzlich unbekannte Krankheit in so kurzer Zeit schreiben?" Hartliebs Empfehlung: "Lesen Sie Bücher, die Sie von der derzeitigen Situation wegbringen: Reisen im Kopf, Partys im Kopf, normales Leben im Kopf. Das ist es, was zählt."
Die Aufarbeitung der psychischen Verheerungen der Krise, sagt schließlich Helmut Zechner in Klagenfurt, werde sich bald verstärkt auf dem Buchmarkt bemerkbar machen: "Lebensfäden wurden abgetrennt, die seelischen Probleme sind immens." Noch immer wundert er sich über einen Roman, der vor mehr als 70 Jahren erstmals erschienen ist und im Vorjahr hierzulande 15.000 Mal verkauft wurde. "Camus' 'Die Pest' traf einen Nerv. Inzwischen lasse ich die Finger von der Corona-Belletristik. Corona ist jeden Tag, da kann ich auf die Romanlektüre getrost verzichten." Laura Spinneys bereits 2018 erschienenes Buch über die Spanische Grippe, die Ende 1918 wütete und der bis zu 100 Millionen Menschen zum Opfer fielen, avancierte mit Pandemiebeginn über Nacht ebenfalls zum Bestseller. Spinney verliert darin naturgemäß kein Wort über Covid-19. Sie erinnert aber daran, dass auf das Ende von Weltkrieg und Pandemie die Goldenen Zwanziger folgten. Wir haben es selbst in der Hand.
PROFIL-REDAKTEUR WOLFGANG PATERNO hat als Ergebnis seiner Marathonlesung einerseits die Erkenntnis gewonnen, dass die Menschheit bis zum Abklingen noch jeder Pandemie Eselsgeduld aufbringen musste, andererseits den Entschluss gefasst, so bald kein Buch mit Corona-Schlagseite mehr zu lesen.