Ernst Molden: "Jede Zeit braucht ihre Schmetterlinge"
Als eine Art Poesie-Ethnologe durchforstet Ernst Molden, 52, unermüdlich seine Heimatstadt Wien nach Geschichten, die es wert sind, aufgeschrieben zu werden. Gerade ist sein neues Album "Hurra" erschienen, auf dem Molden ursprünglich an den Ufern des Mississippi entstandene Folk- und Country-Klassiker ins Wienerische übertragen hat. Die Schauspielerin Ursula Strauss absolviert darauf einen Gastauftritt als Provinzrebellin mit "krätziger Wachauer Heurigentochter-Stimme", schwärmt Molden. Daneben hat Molden, der aus der gleichnamigen Wiener Verlagsdynastie entstammt, einen "Asterix"-Comic übersetzt ("Kööch uman Asterix"). Im Deuticke Verlag erscheinen seine für das "Universum Magazin" verfassten Tierkolumnen; der Band "Das Nischenviech" wird am 9. März im Wiener Rabenhof präsentiert. Molden trägt an diesem Nachmittag im Wiener Café Heumarkt wie immer Hut und Sonnenbrille, dazu bunte Ketten von seinen Reisen.
INTERVIEW: KARIN CERNY
profil: Schätzen Sie die Patina dieses Cafés? Molden: Mir geht es nicht so sehr um den Vintage-Look, eher um die Qualität der Stille. Hier passiert wenig. Das einzige Geräusch ist der Rhythmus der Getränkevitrine, die sich regelmäßig ein- und ausschaltet.
profil: Sterben die Traditionskaffeehäuser langsam aus, weil Wien zur Weltstadt wird? Molden: Das ist wie beim Dialekt, der stirbt auch seit 200 Jahren. Auf der anderen Seite erneuert er sich. Lokale dieser Art wachsen ebenfalls nach - abgesehen von jenen in der Wiener Innenstadt, die für mich spirituell längst gestorben ist. Im 12. Bezirk entdeckte ich kürzlich das Café Comeback, Design der 1980er-Jahre. Wunderbar! Was sich verändert, ist die Durchhaltementalität der Wirte. Früher machten zu viele Gäste sie unrund. Mittlerweile zählt nur mehr der Gewinn.
profil: Das Wienerlied feiert mit Akteuren wie Voodoo Jürgens oder Der Nino aus Wien dagegen gerade ein Comeback. Molden: Wienerisch ist die perfekte Songsprache. Die Worte lassen sich im Dialekt viel besser biegen, wie beim Louisiana-Alabama-Englisch. Mir taugt, dass ich mich als verkommener Döblinger-Schnösel, der ich ja bin, im Villenviertel von Sievering problemlos mit einer Hofratswitwe verständigen kann, die wiederum nicht bemerkt, dass ich in den derbsten Bezirken Wiens gewohnt habe. Das ist mir wichtig. Als meine Kinder ins Gymnasium kamen, redeten sie ein TV-Serien-Synchrondeutsch. In der Oberstufe kam der Wiener Sound durch, dieses "bitte ned". Das ist wie mit den Haaren, die im Alter aus der Nase wachsen.
Ich sehe mich in der Tradition eines Georg Danzer oder Wolfgang Ambros. Auch der amerikanische Folk und der Blues haben mich geprägt.
profil: Das klassische Wienerlied gibt sich gern grantig und alkoholgeschwängert. Molden: Seit 25 Jahren bin ich damit beschäftigt, mich von solchen Klischees zu distanzieren, weil ich nichts mit festgefahrenem Schrebergartendenken zu tun haben will: Es gibt einen Ort, da ist es schön, da darf man besoffen und glücklich sein. In der zweiten Strophe heißt es dann oft, dass es früher noch viel schöner gewesen sei. In der dritten geht es schließlich um den Wunsch, an diesem Ort begraben zu werden. Das ist unerträglich resignativ. Ich sehe mich in der Tradition eines Georg Danzer oder Wolfgang Ambros. Auch der amerikanische Folk und der Blues haben mich geprägt.
profil: In einem Ihrer Songs heißt es: "I schmier mir dei Herz aufs Brot." Molden: Die Flüche in dem Lied "Bad Language" stammen aus dem Alltagsrepertoire meiner Dornbacher Oma, die mich von dem Schnitzler'schen Fluch, der über mir hing, befreite. Väterlicherseits regiert bei mir die edle Döblinger Seite, mütterlicherseits die Vorstadt. Bei meiner Oma war Fluchen ein Groove-Element - wie beim Rap.
profil: Ihre Tierkolumnen erscheinen nun als Buch. Schwäne und Möwen schätzen Sie offenbar nicht, dafür Silberfischchen. Molden: Eigentlich geniere ich mich, wenn ich ein Viech nicht mag. Mich regen aber Möwen auf, wenn sie am Naschmarkt herumsitzen und ein negatives Gesicht ziehen. Das erinnert mich an den gehassten Wiener Winter. Nur in Grado finde ich Möwen toll. Der Höckerschwan ist und bleibt ein Unsympathler. Die Silberfischchen rühren mich dagegen wie alle kleinen Lebewesen. Unter dem Mikroskop wirken sie wie von Stanislaw Lem ausgedachte Kreaturen.
profil: Viele Ihrer Texte beziehen sich auf reale Orte in Wien. Ist das eine Form von Heimatliebe? Molden: Wenn ich nicht in Wien leben würde, müsste ich dennoch im nächstgelegenen Beserlpark nach einem Schatz graben. Wien kommt mir auch insofern sehr entgegen, als ich bei aller manischen Tätigkeit ein zutiefst ruhebedürftiger Mensch bin.
profil: Beim Schlagersänger Andreas Gabalier kippt Heimatliebe leicht in Heimattümelei. Molden: Gabalier bedient eine Heimatindustrie, die sich durchaus mit dem Dschihadismus vergleichen lässt: eine extrem ausklammernde Haltung, das Beharren einer Gruppe, die eigene Einstellung als das einzig Wahre zu sehen, dazu die radikale Ablehnung von Andersdenkenden, gekoppelt mit grotesker Esoterik, wie sie von vielen FPÖ-Wählern gepflegt wird. Zugleich bin ich dagegen, dass dieses Stadt-Land-Gefälle ständig hochgejazzt wird. Es gibt auch auf dem Land offene und neugierige Menschen - ebenso wie die abstruse Angst, dass die Stadt verdorben und gefährlich sei, ein Hort von Vergewaltigern, die in der U-Bahn auf ihre Opfer lauerten. Wien ist seit mindestens 1500 Jahren ein internationales Pflaster, das gut funktioniert. Die Politik redet das gerade schlecht.
profil: Was meinen Sie mit "Heimatindustrie"? Molden: Die Simulation von Heimat, die mit dem Ländlichen an sich nichts zu tun hat. Die Wiener Wiesn, diesen Münchener Klon, braucht doch kein Schwein! Da pilgern Menschen hin, die glauben, dass der Zeitgeist es verlangt, sich wie die Bauernschädeln vor 100 Jahren anziehen zu müssen. Diese Kunst-Trachten passen übrigens perfekt zum neuen rechten Mainstream.
Die Parteien lügen die Menschen an, und dann verunglimpfen sie all jene, die keinen Job finden.
profil: Sie verkörperten einst jenes Schreckensbild, das Bundeskanzler Sebastian Kurz jüngst an die Wand malte: Sie zogen als Dandy nächtelang durch Lokale und waren mittags noch im Bett. Molden: Kurz' Auslassungen über das Aufstehen sind genauso altmodisch wie die gesamte ÖVP. Je türkiser, jünger und hipper sich diese Partei gibt, desto steinerner, älter, verkappter kommt sie rüber. Die Welt ist längst eine ganz andere. Menschen arbeiten auf viele verschiedene Arten. Ganz abgesehen davon ist der Kanzler-Sager auch deshalb absurd, weil wir uns langsam darauf einstellen müssen, dass es in Zukunft vielleicht schlichtweg nicht mehr genug Arbeit für alle geben wird. Die Parteien lügen die Menschen an, und dann verunglimpfen sie all jene, die keinen Job finden. Meine Hoffnung besteht darin, dass sich Wien verstärkt gegen die Bundeskoalition stellt. Mit der Weigerung, die Mindestsicherungswünsche der Regierung zu exekutieren, setzte die Stadt ein unübersehbares Zeichen: Wir wollen eine solidarische Gesellschaft sein, in der man sich um alle kümmert.
profil: Werden Sie im Ausland auf die türkis-blaue Regierung angesprochen? Molden: Die "Süddeutsche Zeitung" hat mich dazu interviewt, aber Bayern ist ja noch nicht richtiges Ausland. Das Problem ist, dass Österreich nicht mehr auffällt. Jedes Land in Europa kämpft mit ähnlichen Problemen - Rechtsruck überall. Ich bin jedoch von kindlichem Optimismus und glaube, dass das Zusammenwachsen von Europa irreversibel sein wird.
profil: Politische Songs schreiben Sie nicht. Molden: Das mag naiv klingen, aber jeder Song, der das Herz öffnet, ist politisch. Selbst bei Bob Dylan sind die persönlichen Songs letztlich politisch. Eigentlich mag ich Themensongs nicht, obwohl es Ausnahmen gibt: Ich habe mit zwölf meine erste Aufnahme der Band Schmetterlinge geschenkt bekommen. Damals verstand ich ihre politischen Botschaften zwar nicht, war aber beeindruckt von der Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit der Combo. Jede Zeit braucht ihre Schmetterlinge. Hauptsächlich soll Musik den Menschen aber lässiger machen.
profil: Wie haben Sie Disziplin gelernt? Molden: Meine Kinder waren das Beste, was mir passieren konnte. Davor hatte ich keine Themen, lebte in den Tag hinein. Durch die Verantwortung meinen Kindern gegenüber wurde mein Leben existentiell. Man schaut als Vater anders auf die Welt. Früher war es mir gleichgültig, wenn ich eine arme Frau mit ihrem Lidl-Sackerl im Park sitzen sah. Durch meine Kinder lernte ich Empathie.