Mode, Mühlen, Musik
„Zuallererst müssen wir Menschen anlocken und neugierig machen, bevor wir Spröderes zeigen“, sagt Felix Hoffmann, der mit großen Schritten durch den Ausstellungsbereich führt, in dem der Rundgang zum Baustellenbesuch wird. „Jetzt muss die Kuh nur noch fliegen. Wir schaffen das.“ Hoffmanns aktuelles Lockmittel: Die Eröffnungsausstellung im Arsenal ist Magnum, der 1947 gegründeten Fotoagentur, geradezu Inbild der goldenen Zeit der Analogfotografie, gewidmet. Eine Schau zum Schauen, ein Bilderbogen ikonischer Aufnahmen, 300 Fotografien aus sieben Jahrzehnten. Der Schauspieler James Dean stapft auf dem Bild des US-Fotojournalisten Dennis Stock durch den New Yorker Regen, während der Boxer Muhammad Ali, inszeniert vom Bildreporter Thomas Höpker, dem Betrachter die Faust entgegenstreckt. Daneben mengen sich Marc Ribouds berühmtes Foto vom Blumen-gegen-Gewehre-Widerstand einer jungen Frau während einer Anti-Vietnamkriegs-Demonstration und Leonard Freeds 1978 entstandene Dokumentation einer Verhaftung unter die Bilderflut. Als Folgeausstellung ist eine Werkschau des französischen Klassikers Henri Cartier-Bresson geplant. Das Leisetreten spart man sich hier für später auf.
Kurator Hoffmann, der beim schnellen Hinschauen ein wenig dem jungen Wim Wenders ähnelt, verbrachte für die Bildauswahl viel Zeit im Pariser Magnum-Archiv. „Da waren zahllose Metallschränke, vollgestopft mit Dia-Hängeregistern, häufig wahllos beschriftet: ,Mode‘, ,Mühlen‘, ,Musik‘. Die Österreich-Abteilung war mehr als übersichtlich, daneben standen drei Schränke mit Fotos von Weingütern. Wein hat sich offenbar weitaus besser verkauft.“
Das Interesse an der Fotografie war auch hierzulande lange mehr als überschaubar, ein eigener Standort für Fotografie in Wien längst überfällig. Erste Gespräche darüber fanden bereits vor zehn Jahren statt, die bald auf gut österreichische Art eskalierten und im Mai 2016 vorerst auf Eis gelegt wurden. Nach viel Streit und Diskussionen verkündete der damalige Kunstminister Thomas Drozda Mitte Juni 2017 in einem um vier Uhr in der Früh abgesetzten Tweet, sprachlich ebenfalls schlafwandelnd: „#Fotografie eine d popul. Kunstformen d 20/21 Jhds. Plädiere f d Schaffung e Fotomuseums in dem d Sammlungen d Republik gezeigt werden.“ Der Wiener Galerist Peter Coeln, einer der wichtigen Player der Stadt und früher Ideengeber eines Austro-Museums für Fotografie, in das er seine millionenschwere Sammlung einbringen wollte, stellte damals in einem Interview fest: „Österreich ist gewissermaßen unterbelichtet, was die Fotografie betrifft: Mit den Nationalsozialisten hat sich diese Kunst aus dem Land für Jahrzehnte verabschiedet.“ Coeln zog auch sein Angebot bald zurück: „Diese Diskussion um meine Sammlung hätte ich nicht einmal in einem schlechten Traum befürchtet.“
Arsenal-Leiter Hoffmann ist laut eigenen Angaben mit Coeln heute im besten Einvernehmen. „Es ist eminent wichtig, dass sowohl wir als auch alle anderen Institutionen, die sich in irgendeiner Weise der Fotografie verschrieben haben – die Albertina, das Kunstforum Wien, Peter Coelns Galerien Westlicht und Ostlicht –, das Thema ständig neu umkreisen. Nur so schärfen wir als Mediengesellschaft unseren Blick auf uns selbst.“
Was ist ein gutes Foto?
Die Fotografie, so ließe sich Hoffmanns heimliches Motto umschreiben, ist ein Phänomen, das sich jeder einfachen Beschreibung entzieht. Geplant sind im Arsenal Führungen, Gespräche mit Kunstschaffenden, Workshops. Ein Fotomuseum als offenes Haus, als eine Art Gegenwartsbildkompass, selbstredend mit untadeliger Dunkelkammer versehen. „Es geht hier natürlich ums Ausstellungsmachen“, sagt Hoffmann. „Ebenso wichtig ist uns aber der ständige Diskurs darüber, was Fotografie eigentlich ist, was sie können und leisten soll. Was ist Lüge und Wahrheit in der Fotografie? Welche Zirkulationsprozesse finden statt? Welche Macht haben Archive?“ Das Medium Fotografie fiel und fällt immer wieder ins Zentrum gesellschaftlicher und politischer Hallräume, ist ideologisches Werkzeug und Verkündigungsmedium. „In den Anfängen der Fotografie nahm man tatsächlich an, das noch junge Medium hätte eine unverbrüchliche Referenz in der Realität: Fotos bilden Wahrheit ab. Das Widerspiel von Fälschung und Authentizität war aber schon immer ein Thema.“ Nachsatz: „Die entscheidende Frage heute, mit der wir uns auseinandersetzen müssen, ist die der künstlichen Intelligenz.“ Die Geister, die wir riefen, werden wir nicht mehr los. Der Besen des Zauberlehrlings war dagegen nur ein aberwitziges Holzscheit.
Große Frage: Was ist ein gutes Foto? Ein Bild, so Hoffmann, müsse vor allem angeschaut werden, es müsse zirkulieren. „Ikonische Fotos sind nicht zwingend ‚gut‘, sie müssen jedoch im kulturellen Gedächtnis verankert sein. Es geht stets ums Sehen. Der leidende Christus hing und hängt in vielen Kirchen. Bestimmte Fotos bekommen erst durch ihre Verbreitung eine Bedeutung.“
Die Fototheorie behauptet übrigens, in dem Moment, in dem man den Auslöser einer Kamera drückt, würde ein imaginärer Zeitstrahl, der uns alle umgibt, durchtrennt. Klick – und ein Foto, wie vom Tod eingefroren. Felix Hoffmann hat diese Morbidität nie ganz verstanden. Er arbeitet an der Verlebendigung der Fotografie.