Perlenkettenreaktion: Ein erster Blick ins Weltmuseum
Schwer zu sagen, welche Objekte in den neuen Sälen des Weltmuseums Wien die stärkste Faszination ausüben. Ist es der präkolumbianische Codex mit seinen bezaubernden abstrahierten Figuren? Der prachtvolle Penacho, der aus dem frühen 16. Jahrhundert stammt und mit mehr als 1000 Goldplättchen bestückt ist? Sind es die ägyptischen Hinterglasbilder? Oder vielleicht doch die javanischen Puppentheaterfiguren, die sich auf einer Pyramide zu einer Armee stapeln?
Wenn das Weltmuseum (vormalig: Museum für Völkerkunde) am 25. Oktober eröffnet wird, hat das Gezerre um das Haus endlich ein Ende gefunden. Seit 2004 waren die ethnologischen Sammlungen (sie stehen im Besitz der Republik) nicht mehr zugänglich und daher fast schon aus dem Gedächtnis der Bevölkerung verschwunden. Lange Zeit lieferte die Kulturpolitik nicht viel mehr als Lippenbekenntnisse; das Haus ging, als Teil des Kunsthistorischen Museums (KHM), in der öffentlichen und politischen Wahrnehmung nahezu unter. Immer wieder wurde der Termin seiner Wiedereröffnung verschoben.
Als die Pläne dafür auf Schiene waren, musste Direktor Steven Engelsman erfahren, dass ein wesentlicher Teil der ursprünglich geplanten Ausstellungsfläche dem neuen Haus der Geschichte zugeschlagen und das Budget von 27 auf 22 Millionen Euro heruntergefahren werde. So können nun absurderweise nicht einmal halb so viele Objekte gezeigt werden wie in der Präsentation zuvor, nämlich exakt 3127 Exponate - vor 2004 waren es fast 7000. Was nach einem schlechten Scherz klingt, ist nichts anderes als österreichische Kulturpolitik. Im nächsten Jahr soll immerhin ein weiterer Raum geöffnet werden, der "Korridor des Staunens“, ein Schaudepot.
Wir wollen eine Plattform sein, auf der viele Stimmen zu Wort kommen
Eine Woche vor der Eröffnung der permanenten Sammlung gewährte Engelsman profil erste Einblicke in die bereits so gut wie fertiggestellten 14 Säle, eine "Perlenkette von Geschichten“, wie er sie gerne nennt. "Uns war bei der Neuaufstellung die Multiperspektivität wichtig“, sagt der Niederländer, auf das Geländer in der Säulenhalle gestützt. "Wir wollen eine Plattform sein, auf der viele Stimmen zu Wort kommen.“ Wer die Sammlung betritt, tut dies durch eine von drei "Nischen“, künstlerisch gestaltete Räume, die sich um jeweils ein großes Thema der Ethnologie drehen: So lud Engelsman etwa die Künstlerin Lisl Ponger, bekannt für ihre kluge Kolonialismus-Kritik, ein. Als Eingang zu ihrer Installation hat sie eine Wand gebaut, die sich quer zur historistischen Architektur des Gebäudes stellt. "Damit sagt die Künstlerin: Ihr könnt mich mal mit eurer imperialen Kultur“, kommentiert Engelsman belustigt.
Hat man die permanente Sammlung betreten, so wechseln einander dunkel gehaltene Räume mit hellen ab: Säle, in denen Objekte ihre ganze Pracht entfalten können, und solche, in denen man auf Diskurs setzt - Aura und Analyse, Höhle und Labor. Die Architekten Ralph Appelbaum und Thomas Bernatzky erdachten dafür eine lebhafte Ausstellungsarchitektur. Vitrinen reichen bis zur Decke, stapeln sich übereinander oder gehen in Mini-Kinos über. Auf Touchscreens kann das Publikum Gedanken zu Themen wie Kolonialismus und Migration austauschen oder weiterführende Informationen aufrufen. Die technischen Gadgets, die dem museologischen State of the Art entsprechen, ergänzen den Reiz der Objekte, die in ihren dunklen Räumlichkeiten effektvoll ausgeleuchtet werden.
Das ist unser Leitmotiv: Wir erzählen in jedem Saal, wie die Gegenstände nach Österreich gekommen sind
Wie man diese klug präsentiert, zeigt sich exemplarisch an einem Saal mit dem Titel "Der Orient vor der Haustüre“: Dort kann man nicht nur die Gegenstände betrachten, sondern auch deren oft nicht weniger spannende Provenienzen studieren. "Das ist unser Leitmotiv: Wir erzählen in jedem Saal, wie die Gegenstände nach Österreich gekommen sind“, so Engelsman. Die bescheidenen Artefakte, die hier von der Decke hängen - eine Bürste, ein Abakus, ein kleiner Beutel -, nahmen österreichische Kriegsgefangene mit, die nach dem Ersten Weltkrieg in Turkmenistan als Zwangsarbeiter schuften mussten. Ein Service stammt aus dem Hospiz in Jerusalem, einem Ort, an dem im 19. Jahrhundert österreichische Gäste residierten.
Für die Neuaufstellung arbeiten die Kuratoren des Museums, wie international üblich, oft mit Menschen aus den Herkunftsländern zusammen, auch mit Nachfahren jener, deren Objekte man hier zeigt. Für den Nordamerika-Saal, in dem ein Federkopfschmuck einer Reihe von Baseballcaps gegenübersteht, verfasste ein Amerikaner mit indianischen Wurzeln einen Saaltext. Im Raum, in dem die berühmte Benin-Sammlung - Exponate aus dem Gebiet des heutigen Äthiopien - präsentiert wird, erzählen dort lebende Beamte, Adelige und Künstler auf Videoscreens darüber. "So etwas ist aufwendig. Es kostet sehr viel, ist aber wichtig“, sagt Engelsman später bei einem Gespräch in seinem Büro.
Besonders stolz ist der Direktor aber auf seine lichten "Diskursräume“. Hier wird, mit einem gewissen Maß an Selbstkritik und -ironie, erklärt, wie die Disziplin der Ethnologie arbeitet, woher sie kommt. Das zeigt sich in einem Saal, in dem ein ganzes Konvolut aus Malaysien, Patagonien und Feuerland präsentiert wird, besonders schön. Tatsächlich geht diese Sammlung auf eine wenig ruhmreiche Episode der Disziplin zurück: Ein Priester und Ethnologe, Pater Wilhelm Schmidt, wollte im frühen 20. Jahrhundert beweisen, dass der Glaube an einen Gott das einzig Wahre sei; da sogenannte "Urvölker“ der Schöpfung - und somit der Wahrheit - am nächsten stünden, sollten seine Schüler deren Leben dokumentieren und mithilfe dieser Gegenstände ihre Gegner von der Existenz eines Gottes überzeugen. So brachten sie eifrig Spieße, Messer und Armbrüste nach Hause. Der krude Plan ging freilich nicht auf. "Es konnte zwar niemand überzeugt werden“, grinst Engelsman: "Aber uns wurde eine schöne Sammlung geschenkt.“ Eine Tatsache, die in der früheren Präsentation verborgen blieb.
Es geht darum, die Menschen für andere Kulturen zu interessieren und zu zeigen, dass es Migration immer gab
Was konkret kann oder soll ein solches Museum in einer Gesellschaft leisten, die von Migration ebenso wie von Xenophobie geprägt ist? Steven Engelsman: "Es geht darum, die Menschen für andere Kulturen zu interessieren und zu zeigen, dass es Migration immer gab, sie die Menschheit prägte. Sie gehört zum Menschen wie Sonne und Regen zum Wetter. Ich sehe es zudem als wichtige Aufgabe, die Spuren der Kolonialzeit zu zeigen, die bis heute spürbar sind.“
Doch wie geht man mit dem Grundproblem um, dass jene, die das Fremde ablehnen, den Weg ins Museum gar nicht finden? "Es gibt diese Angst vor dem Fremden. Die Politik hat dazu beigetragen, sie zu schüren - man kann aber ihre Existenz nicht verleugnen. Wir befassen uns damit in einem unserer Säle und gehen das Thema dort breit an. Es wird besonders für Schulklassen gut aufbereitet. Wir setzen bei den Jungen an.“
Aufgaben wie diese wird ab 2018 Christian Schicklgruber, langjähriger Kurator des Hauses, übernehmen. Ende des Jahres verlässt Engelsman, nach Ablauf seines fünfjährigen Vertrags, das Haus. Sein Posten wurde allerdings nicht öffentlich ausgeschrieben. Die Geschäftsführung des KHM, zu dem das Weltmuseum eben gehört, wollte es so - ein Vorgehen, mit dem auch Kulturminister Thomas Drozda alles andere als zufrieden war. Schicklgruber erhält nun vorerst einen dreijährigen Vertrag. Man wollte, hieß es, Eike Schmidt nicht vorgreifen. Der Deutsche wird ab 2019 das KHM leiten, in dem dieser Tage eine umfassende Rubens-Ausstellung eröffnet wurde (siehe Kasten), und damit der direkte Vorgesetzte des Weltmuseum-Chefs sein. Obwohl Engelsman an den Fähigkeiten seines Mitarbeiters Schicklgruber nicht zweifelt, lässt er durchblicken, dass er eine internationale Ausschreibung bevorzugt hätte. Schließlich ist es ziemlich unüblich, solche Posten per Handstreich zu besetzen.
Einmal mehr zeigt sich, dass das Weltmuseum innerhalb des KHM-Komplexes eine eher untergeordnete Rolle spielt. An der Sogkraft seiner fantastischen Bestände ändert diese Situation nichts.