Eurovision 2023

Who The Hell Is Käärijä?

Seit 1956 gibt es den Eurovision Song Contest bereits, für einen oft totgesagten Zombie sieht er aber nach wie vor verdammt sexy aus. Eine Würdigung.

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Sich über den Eurovision Song Contest (ESC) lustig zu machen, ist ungefähr so originell, wie über das Wetter zu jammern. Man beweist damit eigentlich nur, dass man ein Spießer ist. Der ESC ist nicht nur unvermeidlich wie Gewitter im April – seit 1956 findet er jedes Jahr statt, allein aufgrund von Covid-19 musste er 2020 pausieren –, er feiert auch ein Medium, das es gerade schwer hat: Jährlich 180 Millionen Zuschauer weltweit versammeln sich dafür vor ihren Fernsehgeräten. Fast wie früher, als TV noch ein Leitmedium war, das Jung und Alt gleichermaßen vereinte. Als man mit Eltern und Großeltern gemeinsam mitfieberte und bis nach Mitternacht wachbleiben durfte, weil die Auszählung der Stimmen („Deuze Points!“) einfach ewig dauerte.

Obwohl der Song Contest also ein Relikt aus alten Zeiten ist, gelang es ihm doch, sich zu modernisieren, straffer und effizienter zu werden. Wenigen TV-Formaten ist dieser Spagat vergönnt, das „Dschungelcamp“ etwa bräuchte dringend ein Update, seit Insekten auch in Nobelrestaurants längst serviert werden. Brücken schlägt der ESC nach wie vor, er ist ein Camp-Event, bei dem die LGBTQ+-Community sich selbst zelebriert – jeder und jede sind dabei willkommen. Viele Acts sind bigger than life, exzentrische Kostüme gehören zur Serienausstattung. Aber spielt die Musik tatsächlich nur eine Nebenrolle? Die italienische Rockband Måneskin hat 2021 sicher auch wegen ihrer sexy Outfits und ihres charismatischen Sängers abgeräumt.

Gleichzeitig ist die schlimmste Phase des ESC vorbei, als Länder augenzwinkernd Comedians wie Stefan Raab zum Event geschickt haben („Wadde hadde dudde da“, 2000). Oder sich in belanglosen Pseudo-Ethno-Melodien als ein Stück Tourismus-Werbung präsentierten. Trash traf da auf Folk-Kitsch, der Song Contest wurde zum ironischen Kostümball. Es hat sich in den letzten Jahren herumgesprochen, dass auch richtige Musik eine Chance hat. Teya & Salena, die für Österreich heuer ins Rennen gehen, legen mit „Who The Hell Is Edgar?“ einen Uptempo-Song vor, der auch außerhalb des künstlichen ESC-Biotops funktioniert. Und deshalb völlig zu Recht in den Rankings weit vorn liegt.

Zu den Favoriten gehört auch der finnische Rapper Käärijä, sein Song „Cha Cha Cha“ klingt wie die brachial-klugen Elektropunk-Hits der Hamburger Band Deichkind, als Inspiration nennt er allerdings den theatralischen Tanz-Metal von Rammstein. Käärijä sorgt für eine wilde Party, der Song ist eine originelle Mischung aus Heavy Rock, Rap, Cha-Cha-Cha und Pop. Gemeinsam mit dem schwedischen Beitrag wird er als möglicher Gewinner gehandelt. Wobei es sich Schweden ein wenig leicht macht, indem es ESC-Gewinnerin Loreen noch einmal antreten lässt, allerdings mit einem schwächeren Song als ihre einstige Hymne „Euphoria“ (2012).

Was könnten Aliens über unsere Zivilisation erfahren, wenn sie Aufzeichnungen vom Song Contest fänden? Viele Beiträge wirken wie Raubkopien dessen, was gerade angesagt ist. Ist Noa Kirel aus Israel ein Klon aus dem britisch-albanischen Popstar Dua Lipa und der katalanischen Sängerin Rosalía? Sogar das „Motomami“-Outfit hat sie von Rosalía geklaut. Schlecht ist ihr Auftritt trotzdem nicht.

Ist es wichtig, wer die Veranstaltung moderiert? Jein. Eingeschworene Fans diskutieren ohnehin live in den sozialen Medien in eigens eingerichteten Gruppen. Die Ankündigung, dass der deutsche TV-Satiriker Jan Böhmermann und der Singer-Songwriter Olli Schulz die Veranstaltung am 13. Mai in Liverpool für den ORF-Sender FM4 moderieren werden, sorgte schon für Diskussionen. Streitpunkt war, ob sich die beiden hemmungslos lustig machen würden über die Veranstaltung. Meine Prognose: Beide sind ausgemachte Musikfans und werden ernst nehmen, was ernst zu nehmen ist. Aber auch gehörig alle Klischees, die bestimmte Länder freiwillig bedienen, auf einer Metaebene abstrafen. Österreich schneidet da sicher besser ab als Deutschland. Deren Teilnehmer, genannt Lord of the Lost, wirken wie eine durch und durch harmlose Metal-Band, die man bestenfalls für einen Kindergeburtstag buchen würde. Nur wegen solcher Acts findet man den ESC peinlich.

Karin   Cerny

Karin Cerny