Farin Urlaub von Die Ärzte
Interview

Farin Urlaub: „Ja, ich bin Teil des Problems. Ich hab’s verstanden.“

Was tun gegen die Klimakatastrophe? Was macht die Bundestagswahl mit dem Punkrock? Ein Gespräch mit Farin Urlaub, Sänger und Gitarrist der Band Die Ärzte.

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profil: Herr Urlaub, erst vor einem Jahr haben Sie mit Ihrer Band Die Ärzte das Comeback-Album „Hell“ veröffentlicht. Jetzt erscheinen 19 neue Songs. Leiden Sie an Torschlusspanik?
Urlaub: Nein, solche Gedanken haben wir nicht. Bela, Rod und ich haben den Spaß, gemeinsam Musik zu machen, wiederentdeckt. Zudem fehlte uns während der Pandemie jegliche Ablenkung. Wie oft hast du deine Freunde getroffen? Gar nicht! Wie oft warst du essen? Gar nicht! Wie viel bist du verreist? Gar nicht! Unsere Antwort: Dann machen wir halt Musik.

profil: Wie hat sich die Pandemie auf das neue Album ausgewirkt?
Urlaub: Textlich haben wir das Virus nicht genauer thematisiert. In die Intensität der Aufnahmen ist diese Zeit aber mit Sicherheit eingeflossen.

profil: Und auf Sie persönlich?
Urlaub: Für mich war diese Zeit extrem entspannend. Ich konnte zwar nicht reisen, das ist aber ein wirkliches Luxusproblem. Bei jungen Menschen, die gerade ihre wichtigste Zeit erleben, die in der Pubertät sind, in die Schule gehen oder gerade volljährig werden, war die Pandemie extrem einschneidend. Da kommen noch große Probleme auf uns zu.

profil: Haben Sie sich an die Vorgaben von Expertinnen, Experten und der Regierung gehalten, oder mussten Sie auch rebellieren?
Urlaub: Es ergibt wenig Sinn, gegen ein Virus zu rebellieren. Ich bin nicht besonders klug, aber ich kann zwischen Wissenschaft und Fiktion unterscheiden, und wenn mir Virologen erklären, es sei gut, zu Hause zu bleiben, mache ich das auch. Außerdem geht es nicht um mich, ich bin halbwegs fit, treibe Sport. Es geht um die Menschen, die nicht so gesund oder älter sind und deren Leben ich vielleicht rette, indem ich mich reduziere. Das ist zwar nicht besonders rebellisch, aber vielleicht bin ich in dieser Zeit ein wenig sozialer geworden. Ist doch schön.


profil: Die Gesellschaft wirkt indes eher gespalten.
Urlaub: Im ersten Lockdown war ich gerade mit dem griechischen Geschichtsschreiber Herodot beschäftigt, hatte sehr viel Zeit zum Lesen. Eine schöne Szene hat mich an den Umgang mit dem Virus erinnert: König Xerxes will über den Hellespont setzen, diese Meerenge zwischen der Türkei und Griechenland, und er verliert einige Schiffe im Sturm. Er lässt daraufhin das Meer auspeitschen, will es zur Strafe brandmarken. Das ist dasselbe Verständnis von Natur, das einige Menschen mit dem Coronavirus an den Tag legen. Es ist überraschend, wie wenig sich manche Menschen in den letzten 2500 Jahren weiterentwickelt haben.


profil: Ein weiteres großes Thema Ihres Albums ist toxische Männlichkeit. Wie kam es dazu?
Urlaub: Es beschäftigt uns, was Männer so anstellen. Im Song „Einschlag“, den Bela geschrieben hat, geht es um Femizid. Ein Thema, das in einem Rocksong sehr schwer zu behandeln ist. Heute bekomme ich richtig Gänsehaut, wenn ich den Song höre. Es geht aber auch humorvoller. In „Anastasia“ nehmen wir uns Männer vor, die gar nicht merken, wie gestrig sie eigentlich sind. Für den Song „Kerngeschäft“ haben wir uns Unterstützung von der Rapperin Ebow geholt. Damit wollten wir ein Zeichen setzen.

profil: „Dunkel“ erscheint zwei Tage vor der deutschen Bundestagswahl …
Urlaub: … deshalb gibt es auch einen Song über Demokratie auf dem Album.

profil: Und warum dieser ominöse Titel „Our Bass Player Hates This Song“?
Urlaub: Das ist einfach die Wahrheit. Rod meinte, als ehemalige Punkband können wir uns nicht hinstellen und den Menschen wie in der „Sesamstraße“ oder der „Sendung mit der Maus“ erklären, was Demokratie ist.


profil: Nach 16 Jahren tritt Bundeskanzlerin Angela Merkel ab. Was macht das mit der politischen Person Farin Urlaub?
Urlaub: Wahlempfehlungen gebe ich nicht gerne. Die Menschen sollen selbst entscheiden, wen sie wählen. Ich habe drei Patenkinder, die jetzt alle schon wählen dürfen. In Diskussionen kommen wir stets zu dem Schluss, dass es aktuell nur eine einzige Partei gibt, die man wählen kann. Das Gebot der Stunde ist: Wir müssen endlich Rücksicht auf die Natur nehmen. Da ich diese Partei schon seit Jahren wähle, würde ich ihnen den Wahlerfolg und die Kanzlerschaft wünschen.

profil: Sehen Sie eine Chance, dass der Klimawandel nach der Pandemie das vordringliche Thema der kommenden Jahre bleibt?
Urlaub: Wenn die Menschen eins und eins zusammenzählen – und das ist keine blöde Verschwörungstheorie –, dann gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen der Pandemie und dem Klimawandel. Wir können nicht den Planeten ruinieren und hoffen, dass sich sonst nichts ändern wird. Bewegungen wie Fridays for Future sind immer noch so relevant wie vor der Pandemie, aber das Thema sollte nicht nur an Freitagen, sondern die ganze Woche wichtig sein. Langsam wacht die Politik auf, nachdem man das Thema jahrelang vor sich hergeschoben hat.


profil: Sie selbst sind leidenschaftlicher Weltreisender, veröffentlichten Fotobücher über Afrika, Australien …
Urlaub: … und ich bin Teil des Problems. Ja, ich hab’s verstanden.

profil: Haben Sie Ihr Reiseverhalten in den letzten Jahren verändert?
Urlaub: Es war ein schleichender Prozess. Heute reise ich nicht mehr so rücksichtslos wie früher. Andererseits gibt es Ziele, die ohne Flugzeug einfach nicht zu erreichen sind. Die Fliegerei habe ich massiv eingeschränkt und ein paar private Entscheidungen getroffen, die dem Klima guttun. Natürlich ist da auch bei mir noch viel Luft nach oben. In meinem privaten Bereich wird das sehr ausführlich diskutiert – ich bin lern- und änderungswillig.


profil: Haben Sie inzwischen keinen Fernreisestress mehr, nachdem Sie bereits einen Gutteil der Erde gesehen haben?
Urlaub: Das ist kein Stress, der mich rauszieht, es ist totale Sehnsucht. Die Liste der Länder, die ich noch nicht gesehen habe, sitzt tief in meinem Kopf. Wenn ich über ein Land lese, in das man wieder reisen kann, will ich da sofort hin. Letztens zum Beispiel in den Sudan. Leider kam Corona dazwischen. Ich möchte die Welt sehen und verstehen – und auch den Klimawandel habe ich auf Reisen schon erlebt, bevor er in Europa so spürbar wurde.


profil: Jahrelang war nicht klar, ob Die Ärzte noch aktiv sind. Wie lange werden Sie weitermachen?
Urlaub: Für mich war das Thema eigentlich abgeschlossen. Auf Musik in der Öffentlichkeit hatte ich keine Lust mehr, wollte – wenn überhaupt – nur noch zu Hause spielen. Aktuell fühlt es sich extrem gut an. In den letzten Jahren hat sich sehr viel beruhigt, was sich davor angestaut hatte.

Interview: Philip Dulle

Die Ärzte wurden 1982 von Bela B (Dirk Felsenheimer), heute 58, und Farin Urlaub (Jan Vetter), 57, in West-Berlin gegründet. 1988 löste sich die selbst ernannte beste Band der Welt auf, widmete sich anderen Projekten und kehrte 1993 mit dem neuen Bassisten Rodrigo González (52) und der Single „Schrei nach Liebe“ zurück. Der Song, der den wiederaufflammenden Rechtsextremismus in Deutschland thematisiert, ist bis heute ihr wichtigstes Lied. Während Urlaub einen Gutteil seiner Freizeit auf Reisen verbringt, tritt Bela B als Hörspielsprecher, Schauspieler und Autor (2019 erschien sein Roman „Scharnow“) in Erscheinung. Der gebürtige Chilene und Multiinstrumentalist González, dessen Eltern von der Pinochet-Diktatur verfolgt wurden und in den 1970er-Jahren in Hamburg Asyl bekamen, betreibt in Berlin sein eigenes Tonstudio. 2016 erschien sein Dokumentarfilm „El Viaje“ („Die Reise“).

Update: Die Konzerte von Die Ärzte am 17. und 18. Dezember in der Wiener Stadthalle wurden abgesagt.

 

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Von 2009 bis 2024 Redakteur bei profil.