Kultur

Festspiele 2023: Hoffen auf die Abendkasse

Best-of-Stadttheater und hochpreisige Entspannung: Was können die heurigen Festspiele?

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Es ist Festspielzeit. Die Opernfestivals laufen (München und Aix-en-Provence) oder machen sich bereit (Bregenz, Salzburg, Bayreuth), Konzertfeste wie Luzern folgen später. „Die Zeit ist aus den Fugen“, hat sich Salzburg als Motto gegeben, worunter sich alles und gar nichts subsumieren lässt. „Paradies“ titelt man beim Lucerne Festival, das ein echtes, ein künstliches, auch ein falsches sein kann. Also geht hier ebenfalls fast jedes Stück. Man soll sich nicht täuschen lassen: All diese Institutionen bieten vornehmlich alten Wein in neuen Schläuchen an – und hoffen, diesen abzusetzen. Obwohl den Kunden womöglich, angesichts von Kriegsangst, Inflationshorror und Wirtschaftskrise, nicht unbedingt nach hochpreisiger Entspannung, nach Ablenkung de luxe ist. Nicht einmal der Bayreuther Grüne Hügel, wo man früher jahrelang auf Tickets warten musste und man in der heurigen „Parsifal“-Premiere mit Augmented Reality experimentiert, ist ausverkauft.


Die Karten sind eben auch in Bayreuth inzwischen immens teuer (bis zu 459 Euro). Keiner mag sich auch an den anderen Orten mehr langfristig im Voraus binden, die Pandemie hat diese Tendenz noch verschärft. Teurer und oft unverlässlich sind Anreise, Aufenthalt und Verköstigung. Auch wenn immer wieder von vergünstigten, sogar billigen Tickets die Rede ist: Das sind wenige, und sie sind rasch vergeben.


Gesangstars, die etwa Salzburgs Festspielhaus (2179 Plätze) zuverlässig füllen, werden immer rarer. Langfristige Plattenverträge haben selbst die Großen kaum noch, für Promotion müssen sie  inzwischen meist selbst aufkommen. Jonas Kaufmann oder Elīna Garanča hört man in Salzburg, wenn überhaupt, nur noch in Konzerten oder Liederabenden, Anna Netrebko trat zuletzt 2021 als Tosca in Szene; inzwischen ist die Russin politisch angeschlagen. Also muss an der Salzach allsommerlich die litauische Sopranistin Asmik Grigorian glänzen, die dort 2018 als Salome berühmt wurde. 2023 ist sie Verdis Lady Macbeth. Von Krise mag aber keiner reden. Man hofft auf bessere Zeiten und die Abendkasse.

Dabei schrillen schon jetzt überall die Alarmglocken. Die staatlichen Kulturförderungen stagnieren – bestenfalls.

„Europe’s most interesting opera festival“ nannte die „New York Times“ unlängst die von Pierre Audi geleiteten Festspiele in Aix-en-Provence. Sechs Premieren in fünf Tagen wurden dort gestemmt, das sind nicht nur zwei mehr als in Salzburg, sie erscheinen auch mutiger, diverser, spannender als all das, was das größte Hochkulturfestival der Welt 2023 zu bieten hat. Irgendwie hat sich bei Markus Hinterhäuser, der seit drei Jahrzehnten (mit Unterbrechungen) in verschiedenen Positionen in Salzburg mitmischt, eine gewisse Routine und Gleichförmigkeit eingenistet. 


Berlins Schaubühnenchef Thomas Ostermeier gelang in Aix eine glamouröse, auch kritische „Dreigroschenoper“ von Brecht und Weill als lang erwartetes Musiktheaterdebüt; freilich mit Schauspielstars der Comédie Française. Das bewährte Duo George Benjamin und Martin Crimp schuf mit „Picture a Day like this“ ein sanft melancholisches Kammerspiel über die Suche nach dem Glück. Dmitri Tcherniakov spitzte als Regiepsychologe Mozarts Liebesexperiment „Così fan tutte“ mit einer bewusst älteren Sängerbesetzung herb-böse zu, Dirigent Thomas Hengelbrock motivierte musikalisch. 


Theaterstar Simon McBurney und Simon Rattle begeisterten mit Christian Gerhaher in der Titelrolle mit einem bewegend-stimmungsvollen „Wozzeck“. Aix ist eine Insel der Seligen im französischen Süden, während 30 Kilometer weiter, in Marseille, Unruhen toben, Geflüchtete kämpfen, Besitz zerstört wird. Aber Aix-Chef Audi versteht es, der Welt von heute durch die alte Kunst ins Auge zu blicken und zerstörte, verängstige Menschen zu erspähen. Auf dass auch das Publikum seine Katharsis erlebe.

In Salzburg aber bleibt man altmodisch, das zeigt sich auch in der Geschlechterbilanz: Der allmächtige Intendant ist seit jeher ein Mann (nur Ex-Präsidentin Helga Rabl-Stadler musste interimsmäßig 2015/16 einspringen). Das eher undankbare Schauspielprogramm ist zumindest mit Bettina Hering seit 2016 erstmals in weiblicher Hand – 2024 legt Marina Davydova ihre erste Saison vor. Wahrscheinlich wird sie auf größere Internationalisierung setzen, unter Hering waren die Festspiele eine Art Best-of-Stadttheater. Dieses spielt in Salzburg aber ohnehin nur eine Nebenrolle. Sieht man von der notorischen Cashcow „Jedermann“ ab, die jährlich die Kassen des Nobelfestivals füllt, ist der Gestaltungsraum überschaubar. Drei große Premieren, meist Koproduktionen mit deutschsprachigen Theatern, sind mittlerweile der übliche Rahmen. Dabei sind die Festspiele eine Preview-Destination: Was ab Herbst in den regulären Spielplänen landet, hat vorher in Salzburg Premiere.

Karin   Cerny

Karin Cerny