Festwochen: Skandalkünstler Jonathan Meese rockt Richard Wagner
Anmerkung: Der folgende Artikel stammt aus der profil-Ausgabe Nr. 22 vom 29. Mai 2017.
Jeder Kreuzfahrtschiffseigner würde sich glücklich schätzen, einen wie ihn mit an Bord zu haben. Jonathan Meese versprüht an diesem Montagmorgen mehr Optimismus als ein Club-Animateur. Der Maler und Aktionskünstler strahlt übers ganze Gesicht. "Die Stimmung ist super!“, ruft er euphorisch. Meese, 47, stets in schwarze Adidas-Trainingsjacken gewandet, ist bekennender Gute-Laune-Verfechter. Unangenehmes muss sein Team für ihn erledigen. Er möchte die Kunst, ja die ganze Welt umarmen. Wenn er lacht, und das tut er ständig, klingt es entweder nach hochgeschraubtem Kichern oder baritonmäßig tief, als bringe der Weihnachtsmann seine Geschenke: Ho, ho, ho.
Von dem öffentlichen Bild des Berserkers und Provokationsvirtuosen, der im Theater an der Wien gerade Wagners Bühnenweihfestspiel "Parsifal“ in einer musikalischen Übermalung des Komponisten Bernhard Lang probt, ist an diesem Tag Mitte Mai wenig übrig. Die Bühne wirkt aufgeräumter, als man es von dem Kunst-Messie erwartet hatte; Meeses Berliner Atelier ist mit knallbunten Gemälden zugemüllt, in denen sich Hakenkreuze und futuristische Manifeste, NS-Propaganda und Kinderkritzeleien irritierend auf Historienbildern tummeln. Sein Wiener Operndebüt "Mondparsifal Alpha 1-8“, einer der prominentesten Programmpunkte der laufenden Wiener Festwochen, ist als eine Art Raumschiff angekündigt, in dem Wagners mythische Figurenwelt auf Science-Fiction-Heldinnen wie Barbarella treffen wird (Premiere: 4. Juni im Theater an der Wien); zeitgleich sind Meese-Ausstellungen im Kunsthistorischen Museum und in der Galerie Krinzinger zu sehen.
In der ersten Szene, die an diesem Vormittag an der Wienzeile geprobt wird, bewegen sich Blumenmädchen um eine gigantische Holz-Fetisch-Figur, die Meese dem Horrorfilm "The Wicker Man“ (1973) entliehen hat, in dem ein heidnischer Fruchtbarkeitskult und Menschenopfer zelebriert werden. "Die Tänzerinnen sind nicht im Rhythmus“, ärgert sich die Choreografin. Meese lacht, hält beide Daumen hoch: "Das wird schon, es sieht toll aus. Die Szene blitzt im Licht, so ein bisschen Voodoo.“ Und er zeigt begeistert Zeichnungen, die Kostümentwürfe zeigen: Wagners Blumenmädchen stecken in japanischen Manga-Schulkleidern. Meese wirkt nicht nur in diesem Moment wie ein Musterschüler-Assistent, der heilfroh ist, bei den Proben dabei sein zu dürfen. "Ich sage nur etwas, wenn es ganz katastrophal wird. Das sind alles Profis, ich bin der einzige Laie.“
Alles Kunst, alles harmlos?
Als Opernregisseur ist Meese tatsächlich Debütant. An Theatern hat er bisher nur ein paar kleinere Inszenierungen (etwa mit Martin Wuttke) und Bühnenbilder für Regisseure wie Frank Castorf verantwortet. In Meese-Performances gab es stets nur einen einzigen Akteur: Meese selbst, der, verlässlich außer Rand und Band, die Diktatur der Kunst ausrief. Er inszenierte sich als rabiaten, brüllaffengleichen Teufelsaustreiber, der den "deutschen Wahn“ bannen wollte. Wiederholt zeigte er dabei den seit 1945 in Deutschland und Österreich verbotenen Hitlergruß. In Kassel stand er 2013 deswegen vor Gericht - und wurde freigesprochen. Er habe, hieß es in der Urteilsbegründung, den Nazi-Gruß nur verspottet. Alles Kunst, alles harmlos? Wahrscheinlich ist Meeses Stärke zugleich auch seine Schwäche: Er flüchtet in seinen undurchdringlichen Kunstkosmos und möchte mit Tagespolitik, Ideologie und Religion nichts zu tun haben.
Im Gegensatz zur Arbeit seines 2010 verstorbenen Kollegen Christoph Schlingensief, der wie Meese in der Kunst widerborstig, privat aber höchst sympathisch auftrat, hält sich das Irritationspotenzial von Meeses Kunst mittlerweile in Grenzen. Während Schlingensiefs Aktionen unscharf zwischen Kunst und Politik, Theatralik und "Realität“ angesiedelt waren, ist Meese ein Stück weit berechenbarer. Mit seinem proklamierten Sieg der Kunst, der alle Lebensbereiche umfassen soll, meint es Meese zumindest bitterernst. "Es bricht gerade alles zusammen, das sind die letzten Tänze. Religion und Politik haben überhaupt keine Kraft mehr, das sind ja nur noch Schauspielereien. Ich vermute, dass die Politik bald abdanken wird.“ Mit 2023 setzt er den Zeitpunkt des endgültigen Niedergangs an.
Richard Wagner, der musikalische Apokalyptiker, hält Meese bereits seit Jahren in Atem. 2014 hätte er den "Parsifal“ in Bayreuth inszenieren sollen. Angeblich wegen Kostenfragen wurde die Inszenierung jedoch abgesagt. Nicht nur Meese selbst bezweifelt diese Begründung der Festspielleitung. Die Wagner-Erben, die sich über Jahrzehnte gegen jede adäquate Aufarbeitung der vielfältigen Verstrickungen der nationalsozialistischen Ideologie mit der Musik und den Schriften des Komponisten gesträubt hatten, bekamen offenbar kalte Füße. Von dem ursprünglich für Bayreuth geplanten "Parsifal“ sei für die aktuelle Wien-Version nicht viel übrig geblieben, sagt Meese: "Es hätte alles unter Wasser spielen sollen. Jetzt mache ich eben einen Mondparsifal.“
"Keine Hakenkreuze"
Auf der Probebühne herrscht erneut schönstes Meese-Chaos. "Sie werden beim besten Willen keine Hakenkreuze entdecken“, sagt Henning Nass, der leitende Dramaturg. Die Anspielungen sind diesmal spitzfindiger. Ein Erntewagen, wie er auch in der NS-Zeit zu Propagandazwecken verwendet wurde, wird über die Bühne gezogen. Darauf steht: "Ungott grüss die K.U.N.S.T.“ Parsifal, gesungen und gespielt von dem Countertenor Daniel Gloger, tritt auf; er trägt kurze Hosen, einen roten Cowboygürtel und hohe Lederstiefel. Das Kostüm soll an Meeses Lieblingssuperhelden erinnern. In dem postapokalyptischen Fantasy-Film "Zardoz“ zeigte Sean Connery als Titelfigur nicht nur sehr viel Brusthaar, er zwängte sich auch in ein aufreizend knappes rotes Höschen, um darin die Welt zu retten. Meeses Zardoz-Parsifal tollt wie ein Kind über die Bühne, scheint sogar an die Hinterwand des Theaterraums zu urinieren.
Komponist Bernhard Lang arbeitet viel mit Loops, mal wird Englisch gesprochen, dann wieder Französisch; sogar Altgriechisch und eine Fantasiesprache, die dem britischen Okkultisten Aleister Crowley entlehnt wurde, kommen zum Einsatz. Aus Wagners "Höllenbraut“ wird "Devil’s Bitch“. Meese freut sich diebisch: "Die unterschiedlichen Sprachen sind ein Angriff auf die konservativen Wagnerianer.“ Wie die Musik am Premierenabend tatsächlich klingen wird, ist noch nicht ganz klar. Man kennt bislang nur die Klavierversion. "Es wird tiefe, harte Töne geben, die das Unbewusste ansprechen.“
Mittagspause in einem kleinen Sitzungsraum. Hunger hat Meese nicht, nur abends wird ausgiebig gegessen. "Meine Mutter hat Angst, dass ich in Wien zunehme. Fünf Kilo sind es bereits. Das Dim Sum am Naschmarkt ist super!“ Damit ist ein weiteres wichtiges Stichwort gefallen. Ohne seine Mutter ist Meese nicht denkbar. Brigitte Meese, 88, ist Managerin ihres Sohns, verwaltet sein Vermögen, kommt in "Mondparsifal“ auch persönlich vor: Als kleine Pappfigur, die an den Eierkopf Humpty Dumpty erinnert, sitzt Mama Meese an der Bühnenrampe und blickt in den Zuschauerraum. "Sie wird über die Inszenierung wachen“, sagt Meese, der sich gerne "Müttersöhnchen“ nennt. "Natürlich wird sie sich auch diesmal wieder ein wenig für mich schämen.“
"Man darf Richard Wagner nicht in den Arsch kriechen!"
Die verhinderte Bayreuth-Inszenierung ist gleichsam Meeses Amfortas-Wunde, an der er, wie Wagners Figur, nicht genesen kann. Meese hat diese Schmach noch nicht überwunden. Ist seine Wiener Inszenierung also auch eine Art von Vergeltung an den bayerischen Weihefestspielen? "Rache ist immer gut, wie sämtliche James-Bond-Filme und Wagner-Opern bestätigen. Wagner selbst war ein rachsüchtiger Mann. Selbst die Hardcore-Wagnerianer schlafen in Bayreuth ja bereits im Theater ein.“ Der Kunstkuschelbär Meese mutiert für Augenblicke zum Wüterich, wild gestikulierend, mit stechendem Blick: "In jedem Raum in Bayreuth ist Angst, es stinkt da nach Scheiße, die haben doch alle Bremsspuren in den Hosen.“ Und Meese brüllt: "Man darf Richard Wagner nicht in den Arsch kriechen! Die politikversauten Wagnerianer wollen Bayreuth in einen CSU-Komödiantenstadl verwandeln. Dieses Haus muss man doch mit Risiko, Risiko, Risiko füllen.“ Das Gewitter zieht vorbei, Jonathan Meese beruhigt sich wieder. Mit sanfter Stimme sagt er: "Ich bin kein Prophet und kein Guru, ich möchte keine Follower. Mein, Parsifal’ soll das Gehirn öffnen, egal wofür.“
Nach der Pause ist die Gralsburg zu sehen. Der Turm wirkt wie eine XXL-Klopapierrolle. "Alles mutiert, bis es explodiert. Der Tempel geht flöten.“ Dass die trashige Simpel-Ästhetik für Bayreuth zu teuer gewesen sein soll, erscheint absurd. Reicht das Budget bei den Wiener Festwochen aus, wurde hart verhandelt? "Es gibt wahrscheinlich eine Grenze, aber mit mir ist nie über Geld gesprochen worden“, versichert Meese treuherzig.
Die Probe geht ihrem Ende entgegen. Der Wiener Gral ist eine Holzgliederpuppe, von oben senkt sich eine Spongebob-Figur herab. Die vielen Anspielungen, die Meese offenlegt, erklären sich nur bedingt. "Das ist Marlon Brando in, Der letzte Tango von Paris‘“, sagt er, während Amfortas auftritt, die Wunde eine sich drehende Spirale, die er umgeschnallt hat. "Da muss ich noch, Tango‘ auf den Mantel malen.“ Meese ist eben sein eigener Planet. "Richard Wagner müsste sich über uns totlachen. Das fände ich geil.“ Zum Abschied schickt Meese Kusshände und zeigt sich zuversichtlich: "Wir kriegen den, Parsifal‘ schon gebacken.“