Wiener Sozialdrama: Film "Joy" von Sudabeh Mortezai
Kulturminister Gernot Blümel hatte entschieden, dem soeben zu Ende gegangenen Filmfestival am Lido fernzubleiben, dachte offenbar gar nicht daran, Sudabeh Mortezais dringliches, in semidokumentarischem Stil entworfenes Wiener Sozialdrama „Joy“ offiziell zu begleiten, das in der Parallelsektion Giornate degli autori lief.
Das erwies sich als Fehler, auch wenn der Film abseits des Wettbewerbs um den Goldenen Löwen lief: Aufsehen erregte er, nicht nur seines Themas wegen – es geht um Frauenhandel und brutale Hierarchiekämpfe unter Entrechteten –, am Lido zuverlässig.
Mortezai, die ihre Regiekarriere Mitte der Nullerjahre mit Dokumentarfilmen begann und es 2014 mit ihrem Spielfilmdebüt „Macondo“ gleich in den Wettbewerb der Berlinale schaffte, gilt als Spezialistin für schwierige, aber brandaktuelle Erzählungen: Als Tochter iranischer Eltern liegen ihr Sujets wie Multikulturalismus, Religion, Fremdenfeindlichkeit und Fluchtgeschichten näher als den meisten anderen Filmkräften dieses Landes. „Joy“ passt in ihr Oeuvre, auch wenn der Titel, der natürlich den Namen der Heldin nennt, fast höhnisch klingt angesichts der Tristesse, von der hier erzählt wird: Nigerianische Frauen werden illegal nach Wien geschafft und an autoritär regierende Zuhälterinnen, die einst selbst Prostituierte waren, verkauft – sie sehen sich gezwungen, sich den Verhältnissen zu ergeben, weil dabei eben doch vergleichsweise viel Geld lukriert werden kann.
Ultrarealistisch Fiktives
Mortezai dreht ausschließlich mit Laien, lässt Dialoge improvisieren und inszeniert Fiktives ultrarealistisch. Auch wenn sich diesmal schauspielerisch und dramaturgisch nicht ganz so mitreißende Ergebnisse wie in „Macondo“ einstellen: Die Feinzeichnung einer Subkultur, die üblicherweise uneinsehbar bleibt, generiert spannende Momente und höchst ambivalente Figuren. So gingen am Ende bei den 75. Filmfestspielen erfreulicherweise zwei wesentliche Preise an „Joy“: Europa Cinemas prämierte das Werk als Besten Europäischen Film, und der mit 10.000 Euro dotierte Hearst Film Award für die beste weibliche Regie ging ebenfalls an Mortezai.
Gernot Blümel hatte vermutlich mit der penibel recherchierten Erzählung von der Ausbeutung nigerianischer Sexarbeiterinnen, die – bedroht von Abschiebung und prekärem Leben – in Wien sich und ihre Familien verzweifelt zu erhalten versuchen, schon sicherheitshalber nichts anfangen wollen. Wie hätte das denn ausgesehen?
Anfang 2019 soll „Joy“, der in wenigen Wochen schon im Rahmen der Viennale zu sehen sein wird, Österreichs Kinos regulär erreichen.