Filmemacher Peter Tscherkassky
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Filmemacher Peter Tscherkassky: Crash der Kulturen

Seit 40 Jahren arbeitet der Avantgardist Peter Tscherkassky mit gefundenem Analogfilmmaterial, das er Bild für Bild in ekstatische Schnittfolgen verwandelt.

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Dieser Artikel stammt aus profil Nr. 27/2021 vom 04.07.2021

Achtung, Zug fährt durch! Nächste Station: Nirgendwo. "Train Again" heißt der jüngste Film des Wieners Peter Tscherkassky, und er erzählt, indem er tatsächlich Eisenbahnen (und Kollisionen) aller Art zeigt, von der Mobilisierung der Bilder und der Welt. Wie der beschauliche Blick aus der Pferdekutsche durch Umstieg in das dampfspeiende eiserne Ross jäh beschleunigt wurde, so setzte sich um 1895 auch die Fotografie in Bewegung-und veränderte die menschliche Wahrnehmung. In "Train Again" wird der sinnliche Kitzel, den die Kino-Maschine wie die Schienenfahrzeuge verabreichen können, auf die Spitze getrieben. Da stürzen die Bilder in und gegeneinander, zitternd vor Erregung, der Abstraktion entgegen: Es ist ein Crash der Kulturen, querfeldein durch die Historie des Kinos. Denn Tscherkassky montiert seine Werke aus gefundenen Bildern: aus visuellen Splittern, die alten Werbespots, early cinema-Impressionen, Avantgarde-,Dokumentar-und Spielfilmen entstammen.


Der 20-minütige Action-Drahtseilakt "Train Again",dessen Weltpremiere am 13. Juli in der "Quinzaine des Réalisateurs" der Filmfestspiele von Cannes stattfinden wird, ist ein Ereignis, auch weil man lange darauf warten musste. Tscherkasskys letzter Film, "The Exquisite Corpus",liegt sechs Jahre zurück. 36 Monate lang hat er, nach der Planungsphase, an "Train Again" gearbeitet. Selbst wenn man die Sommerpausen, die er einzulegen pflegt, abzieht, stellt er somit im täglichen Durchschnitt bloß 1,5 Sekunden Film her. Das sind, anders betrachtet, immerhin 36 Einzelbilder, jedes davon manipuliert, geformt, geschärft und in das größere Ganze eingepasst. Peter Tscherkassky arbeitet bedächtig, aber unaufhaltsam. Er ist ein Langstreckenläufer seines Metiers. Weniger als vier Stunden bräuchte man, um sein-in den vergangenen vier Jahrzehnten entstandenes-Gesamtwerk zu projizieren.

Zum vierten Mal wird ein Objekt aus seiner Werkstatt nun in Cannes zur Uraufführung kommen. 2002 war er erstmals dort. Zwei weitere Arbeiten aus Österreich, nämlich Sebastian Meises "Große Freiheit" und das Debüt "Moneyboys" von C.B. Yi, werden-abseits der Wettbewerbsschiene-bei den am Dienstag dieser Woche startenden Filmfestspielen vertreten sein.


Man könnte in dem Kino-Virtuosen Tscherkassky auch einen Bildhauer sehen, denn die Arbeit, die er in seiner Weinviertler Dunkelkammer an den bereitliegenden 35mm-Fotografien verrichtet, nennt er nicht ohne Grund skulptural. "Ich begreife-im doppelten Wortsinn-das filmische Material als plastische Kunst, als Grundlage für skulpturale Bewegtbilder", sagt Tscherkassky im profil-Gespräch. Er wolle "das Körperhafte des Filmstreifens erfahrbar machen". Dazu ist ihm jedes Mittel recht: Er benutzt, um den Streuwinkel des Lichts in den Bildern zu modifizieren, etwa Laserpointer, aber auch Taschenlampen und Plexiglasröhrchen, die eigentlich dazu dienen, in alte Automotoren zu leuchten. Er greift in die Emulsion, die Silberschichten seines Materials ein und entwickelt selbst, um ungeahnte Kontrasteffekte zu erzielen. So hat sich Tscherkassky an seinem Optical Printer ein geradezu unglaubliches Arsenal an streng analogen Tricks und manuell erzielten Spezialeffekten erarbeitet: Er belichtet mehrfach, schneidet schwindelerregend schnell und macht das Physische des Kinos, auch Perforationslöcher und Tonspuren, sichtbar; Positiv-und Negativmaterial kopiert er gern übereinander, was auf den ersten Blick wie Solarisation aussieht, nur viel räumlicher, fast dreidimensional wirkt. Die vielen Schichten seiner Filme könnten überfordern, aber es ist etwas Hypnotisches an diesen Werken: Die schiere Raserei mancher Passagen und der immense Unterhaltungswert seiner raffinierten visuellen Operationen schlagen einen in ihren Bann. Theorie und Praxis greifen hier wie selbstverständlich ineinander.

Peter Tscherkassky, 62, Dr. phil., stellt seit 1979 Filme her. Er kuratiert, schreibt Bücher zur Avantgardegeschichte, liebt Frank Zappa, Musique concrète, aber auch Exotica-und Library-Musik. Erst nach Ende des Feinschnitts werden seine Filme an den Komponisten Dirk Schaefer weitergereicht, Tscherkasskys Produktionen entstehen zunächst stumm. Seine Zwischenergebnisse überprüft der Künstler auf einem 35mm-Bildbetrachter. "Dort sehe ich dem Film zu, wie er wächst. Und auf Basis meiner Beobachtung dieses heranwachsenden Kindes beschließe ich Erziehungsmaßnahmen." Seit 1985 realisiert er seine Filme in der Dunkelkammer. Filmaufnahmen mit einer Kamera macht er seit damals kaum noch. In der Subkultur der Filmform-Innovationen genießt Tscherkassky Weltgeltung. Um jedes seiner Werke reißen sich, unmittelbar nach Fertigstellung, Festivalmacher weltweit. Zehntausende Menschen sehen seine Arbeiten im Rahmen von Filmfestspielen und Retrospektiven. Von solchen Zuschauerzahlen können die meisten Spielfilmemacher hierzulande nur träumen.


Dem Wiener Avantgardefilm-Pionier Kurt Kren (1929-1998),dessen Nachlass Tscherkassky gemeinsam mit seinem Kollegen Martin Arnold verwaltet, ist "Train Again" gewidmet. Ein siebenminütiger, amateurhaft gedrehter Werbefilm für die ÖBB stand am Anfang des Projekts. Und zunächst war da nur ein Wortspiel: Aus Krens nervöser Naturstudie "Tree Again" (1978) wurde eben "Train Again". In seiner endgültigen Form ist der Film nun aber als Plädoyer für ein schwer angeschlagenes Medium zu verstehen. Er führt noch einmal die ungeheuerliche Wirkmacht des Kinos vor. Man könnte anhand von "Train Again" auch die Entwicklung der filmischen Moderne studieren. Er habe dieses Projekt weniger als pädagogisch empfunden, "eher als Erinnerung",so Tscherkassky: "Der Zug kommt uns entgegen und mit ihm das Filmmedium an. Ich wollte daran erinnern, was uns dieser Filmzug alles gebracht hat-und wie er schließlich in der Ferne verschwinden wird."

Er mache im Übrigen Filme, von denen er "hoffe und glaube, dass sie bleiben werden und auch in 50 Jahren noch mit Gewinn betrachtet werden können", meint Tscherkassky noch. "Ich will wirklich etwas zur Filmgeschichte beitragen. Geld werfen diese Werke ohnehin nicht ab, wenn ich also derart viel Zeit meines Lebens in sie investiere, sollten sie sich auch als dauerhaft erweisen."

 

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.