Goldene Palme für Regisseur Jacques Audiard, hier zusammen mit Jesuthasan Antonythasan und Kalieaswari Srinivasan, sowie Mitglieder der Jury: Joel und Ethan Coen
Flüchtlingsdrama "Dheepan" gewinnt Goldene Palme

Filmfestival Cannes 2015: Flüchtlingsdrama "Dheepan" gewinnt Goldene Palme

Filmfestival Cannes 2015: Flüchtlingsdrama "Dheepan" gewinnt Goldene Palme

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Es fällt schwer, in dieser Entscheidung mehr als eine Kompromisslösung zu entdecken: In einem Wettbewerb, der mit Hou Hsiao-hsiens Historienvision „The Assassin“, mit Yorgos Lanthimos’ pointierter Liebesdystopie „The Lobster und Todd Haynes’ Highsmith-Adaption „Carol“ mindestens drei potenzielle Goldpalmen zu bieten hatte, ausgerechnet Jacques Audiards unebenes Migrationsdrama „Dheepan“ mit dem Hauptpreis der bedeutendsten Filmfestspiele der Welt auszuzeichnen, erscheint auf den ersten Blick ein wenig absurd. Und doch hat die von Joel und Ethan Coen geleitete Jury ebendies getan: Sie hat mit ihrer Vergabe der Palme d’or 2015 eine soziale Entscheidung getroffen, keine ästhetische.

„Dheepan“ ist als Migrationsdrama eher konventionell, bisweilen gar konservativ geformt

Dabei ist der Franzose Audiard, 63, ein durchaus versierter Regisseur und Autor – Filme wie „Ein Prophet“ (2009 in Cannes mit dem Großen Preis der Jury prämiert) und „Der Geschmack von Rost und Knochen“ (2012) beweisen das. „Dheepan“ allerdings, seine siebente Regiearbeit, fällt hinter die genannten Werke signifikant zurück. Sie dreht sich um einen Ex-Soldaten, einen tamilischen Befreiungskämpfer, der mit Frau und Kind, die beide nicht seine sind, dem Bürgerkrieg in Sri Lanka entrinnt und in der Pariser Vorstadt Asyl findet. Die aus der Not geborene Gemeinschaft schlägt sich durch, bis sie den lokalen Drogen-Gangs in die Quere kommt – und der introvertierte Held, gespielt von dem auch sein eigenes Schicksal thematisierenden Romancier Antonythasan Jusuthasan, in die Gewalt zurückgezwungen wird.

„Dheepan“ ist als Migrationsdrama eher konventionell, bisweilen gar konservativ geformt, was auch das blutige Realthrillerfinale nicht verhehlen kann. Die triviale Struktur dieses Films (ein „aktuelles“ Sujet als Genrematerial) ist unübersehbar, und dem glaubhaft agierenden Ensemble bleibt die wenig inspirierte Inszenierung einiges schuldig.

Jurypreis an „The Lobster"

Der zweite Hauptpreis der 68. Filmfestspiele in Cannes, der Grand Prix, ging ebenfalls an einen Film, der aus Zeitgeschichte so etwas wie einen Thriller fertigen wollte – und dabei noch viel umstrittener vorging: Ins Innere des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau führt László Nemes’ „Son of Saul“, ein Debüt, das (wie berichtet) mit seiner allzu virtuosen Regie-Handschrift narzisstisch das Grauen der Gaskammern überstrahlen zu können meint. Die Nebenpreise immerhin erreichten dann die tatsächlich besten Filme dieses Jahrgangs: „The Lobster wurde mit dem Jurypreis bedacht, Hou Hsiao-hsien als bester Regisseur gewürdigt, und die Schauspielerin Rooney Mara („Carol“) ex aequo mit Emmanuelle Bercot („Mon roi“) prämiert. Vincent Lindon erklärte man für seine gewohnt lakonische Darstellung eines Arbeiters in „La loi du marché“ zudem zum besten Schauspieler.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.