Ulrich Seidl

Filmfestspiele Venedig: Ulrich Seidl sorgt wieder einmal für Erregung

Ende dieser Woche wird Ulrich Seidls neuer Film bei den Festspielen in Venedig uraufgeführt. Das Jagdtourismus-Dokument "Safari" erhitzt bereits im Vorfeld die Gemüter.

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Freundlich lächelt die zwölfjährige Aryanna G. aus Utah via Facebook in die Welt, zeigt, wie sie ihren Afrikaurlaub verbracht hat. Sie stützt fidel den Kopf einer toten Giraffe, posiert in Siegermanier hinter einem erlegten Zebra und freut sich über einen Wasserbüffel, den sie mit Pfeil und Bogen zur Strecke gebracht hat. Die Online-Gemeinde reagierte darauf vor ein paar Tagen erst mit Hass und Todesdrohungen. Schon ein Jahr davor hatte der Sohn eines ehemaligen FPÖ-Politikers seine Reiseimpressionen ähnlich verarbeitet: Mit einer Kalaschnikow im Anschlag thronte der Mann heroisch über einem getöteten Leoparden. Die Kärntner Jägerschaft verurteilte den Poseur scharf; man insinuiere nicht, dass man mit einem Maschinengewehr jage. Es ist schwer zu übersehen: Die Wirklichkeit tendiert dazu, sich in einen Ulrich-Seidl-Film zu verwandeln.

Mit Hasspostings kennt sich Seidl aus. Der unlängst veröffentlichte Trailer, der den baldigen Kinostart seines jüngsten Films ankündigt (Wien-Premiere: 14. September), hat allein auf der Facebook-Site seines Verleihers innerhalb weniger Tage weit über 50.000 Zugriffe verzeichnet. In den Kommentaren dazu geht es erwartungsgemäß rund: Einen "Sozialporno" und "Rassismus" ortet man in Seidls "Safari", das Bild der Jäger werde durch "so einen Dreck" nur noch weiter "verzerrt" - und die auftretenden Jagdtouristen seien "feiges Pack", um das sich "hoffentlich die Natur kümmern" möge. Der Stadtkino-Verleih mahnte per Gegen-Posting ab:

"Dass bei diesem Thema die Wogen hochgehen können, ist klar und überrascht uns nicht. Dennoch ersuchen wir euch - ganz im Sinne einer guten Kinderstube - auf gegenseitige Beleidigungen, Drohungen etc. zu verzichten. Ansonsten müssen wir die Konsequenzen ziehen."

Seidl gelassen

Ein User, der es mit der Kinderstube nicht ganz so genau nimmt, hat gleich eine Guillotine gepostet. "Für mich?", fragt Seidl grinsend, als er davon erfährt. In Wahrheit aber interessiere ihn nicht, "was Leute ins Netz stellen, die den Film noch gar nicht kennen". Bislang hat niemand außerhalb der Filmbranche von "Safari" mehr als die knapp zwei Minuten Bildmaterial des Trailers gesehen. Seidl nimmt die Aufregung sowieso gelassen; der Regisseur der "Paradies"-Trilogie kann gut damit leben, dass sich andere durch seine Arbeit provoziert fühlen. Diese Woche reist Ulrich Seidl, 63, mit seinem Team nach Venedig, um "Safari" außer Konkurrenz bei den 73. Filmfestspielen zu präsentieren. Zwei Jahre nach seinem skandalisierten Film "Im Keller" kehrt er damit an den Lido zurück.

Vor österreichischer Waldlandschaft wird ins Jagdhorn geblasen; so beginnt und endet "Safari". Der Rest spielt in Namibia und Südafrika, wo Jagdtouristen über Großwildfarmen teure Pirschgänge buchen können. Eine offensichtlich wohlhabende Familie aus Oberösterreich steht im Zentrum von "Safari". Ihre Jagdlust, die stellenweise fast libidinöse Züge annimmt, dokumentieren sie in Wort und Tat; sein neues Werk sei "ein Urlaubsfilm über das Töten", sagt Seidl lakonisch.

Alles, was er zeige, sei "vollkommen legal", betont er. Die Tiere werden auf der Farm gezüchtet oder eingekauft, stehen zum Abschuss bereit. Die Farmer bieten an, was erlegt werden kann. Dabei gebe es "Trophäenabschüsse und Fleischabschüsse". Die Tierköpfe kommen als Wandschmuck nach Europa, das Fleisch wird auf der Farm verwertet. "Jagdtouristen brauchen eine Rechtfertigung für ihr Tun. Sie schießen, nach genau fixierten Regeln, alte Tiere und solche, die man angeblich dezimieren muss. So ähnlich argumentiert der österreichische Jäger ja vermutlich auch. Aber jeder Jäger jagt aus Passion und Lust, auch hierzulande. Allzu große Unterschiede zu afrikanischen Jagdtouristen sehe ich da nicht." Wenn er nun Tierschützer gegen sich aufbringe, so liege dem ein Missverständnis zugrunde: "Ich mag Tiere. Ich hatte selbst nie das Bedürfnis, ein Tier zu töten -allenfalls als Kind, da muss man so etwas ja ausprobieren. Aber der Irrsinn der Massentierhaltung etwa gehört aufgedeckt." Militanter Tierschutz sei ihm trotzdem nicht recht.

"Ich vertrete einen Standpunkt, bin ja kein Neutrum"

Was man im Kino zeigen darf, lässt sich Seidl nicht vorschreiben. Er dokumentiert etwas, das täglich tausendfach stattfindet, in einem Stil, den man manieriert nennen mag. "Was nicht sein darf, soll man nicht filmen. Das war schon bei ,Hundstage' so. Damals hieß es, ich dürfe in einer Spielfilmszene nicht zeigen, wie einer Schauspielerin der Kopf ins Klo gesteckt wird. Dies demütige Frauen, hieß es, daher sei die Szene nicht zulässig. Ich denke aber, dass es genau umgekehrt ist: Man muss die Leute mit dem Grauen konfrontieren, um etwas in ihnen auszulösen. Abgesehen davon: Wo kommt man denn hin, wenn in einem Spielfilm nichts Anstößiges mehr gezeigt werden darf?" Letztlich sei das immer derselbe Punkt: "Safari" werde "garantiert in niemandem den Wunsch auslösen, selbst zum Jagdtouristen zu werden. Und all jene, die das aus eigener Erfahrung kennen, werden bestätigen, dass es genau so ist, wie ich es in meinem Film darstelle. Meine Arbeit hat eine bestimmte Sprache und eine unmissverständliche Haltung. Ich vertrete einen Standpunkt, bin ja kein Neutrum. In diesem Sinne fände ich es ganz falsch, zu versuchen, ,objektiv' zu sein."

Vier Jagdausflüge in Namibia sind das Herzstück des Films. Hinter der Kamera steht ein Könner, ein alter Vertrauter Seidls: Wolfgang Thaler, der die Fotografie etlicher Hauptwerke des Regisseurs ("Hundstage", "Import Export", die "Paradies"-Serie) verantwortete, lässt sich mit mobiler Kamera reaktionsstark auf die nicht immer absehbaren Bilder ein, die sich auf der Jagd nach Impalas, Gnus, Giraffen und Zebras ergeben. Nebenbei zeichnen Seidl und Thaler ein tiefenscharfes Porträt der neokolonialistischen Struktur dieser Art des Tourismus: Die lokalen Hilfskräfte arrangieren das Zusammentreffen von Kunde und Tier, sie positionieren die Waffe - der Gast muss nur noch abdrücken. Für den anschließenden Transport und die Zerlegung der Tiere sorgen ebenfalls, während die Weißen ihre Erregung über die eigenen Abschüsse genießen, die schwarzen Angestellten. So erscheint "Safari" thematisch verbunden mit Seidls Sextourismus-Studie "Paradies: Liebe" (2012)."Bei diesem Thema landet man fast automatisch, wenn man in Afrika dreht. Die Schwarzen haben, wo immer sie auf Weiße treffen -und obwohl sie überall schneller, genauer und effizienter sind als diese -, keine Stimme und keine Führungspositionen."

Ich versuche, Wahrhaftiges zu zeigen. (Ulrich Seidl)

"Safari" ist dennoch alles andere als ein Agitationsfilm, eher schon ein Werk der Trauer, eine Polemik zu einer weithin verdrängten, strukturell rassistischen Subkultur. Das Sterben der Tiere findet fast nur im Off statt, den Todeskampf einer angeschossenen Giraffe zeigt Seidl gegen Ende hin aber in extenso - auch weil es nötig ist, den Akt selbst, der so wortreich beschworen wird, nicht auszublenden. So sehr Seidl sich als visuellen Künstler sieht, so zentral ist die Sprache gesetzt. Das Jägerlatein ist eine Kunstsprache, eine Serie von Euphemismen, die Distanz schaffen soll zwischen Jäger und Opfer. Das Tier heißt hier "das Stück", es blutet nicht, sondern es "zeichnet", und was nach dem Schuss vergossen wird, heißt "Schweiß", nicht Blut.

"Ich mache weder positive noch negative Filme", stellt Seidl klar: "Ich versuche, Wahrhaftiges zu zeigen: Wie der Jagdtourismus in Afrika funktioniert, welche Menschen daran teilnehmen, wie sie denken und was sie beim Jagen empfinden." Er bekennt sich, wie gewohnt, zu seinen Protagonisten, ohne deshalb auf ihrer Seite zu sein. "Ich habe ihnen im Vorfeld klargemacht, dass sie damit rechnen müssen, öffentlich angegriffen zu werden, dass es starken Gegenwind geben könnte. Die Jägerei hat kein gutes Image, das wissen sie auch. Und sie wissen, dass sie sich verteidigen müssen." Nach Venedig nimmt er seine Hauptfiguren jedenfalls mit. "Ich stand immer zu meinen Filmen und zu den Menschen, die in ihnen auftreten. Es wäre seltsam, ausgerechnet jetzt keine Einladung auszusprechen." "Safari" nimmt, bei allem soziologischen Interesse , auch das Kino selbst beim Wort: Es geht hier um Leben und Tod, um Schwarz und Weiß, um Schuss und Gegenschuss. Und am Ende auch, ganz ohne Frivolität, um die Obszönität, die in der Erregung über das Schlachten liegt.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.