Interview

Filmstar Mikkelsen: „In meinem Business blühen eine Menge Neurosen“

Um den dänischen Schauspieler Mads Mikkelsen reißt man sich weltweit, seinen Hollywood-Ruhm nimmt er gelassen. Fantasy-Schurken hat er ebenso im Repertoire wie Charakterstudien. Im profil-Interview erzählt er, warum er in seinen Filmen ungern tanzt und wie er seine Paranoia drosselt.

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Es wäre eine Untertreibung zu behaupten, Mads Mikkelsen sei bloß gut im Geschäft. Tatsächlich ist der Däne eine globale Größe, er gilt nicht nur in Europa als charismatischer leading man, sondern – seit er die Welt 2006 als sadistischer Le Chiffre in dem James-Bond-Abenteuer „Casino Royale“ verblüffte – auch in Hollywood. Und er bespielt so gut wie alle Genres: psychologisch vertrackte Arthouse-Dramen, romantische Komödien und Millionen-Dollar-Blockbuster. Man glaubt Mikkelsen alles, enorme Sturheit und äußerste Bosheit ebenso wie seine selbstzweiflerischen Protagonisten.

Erst mit 30, nach einer Tanzausbildung und Jahren der Musiktheaterarbeit, hat er begonnen, in Filmen aufzutreten – und mit Nicolas Winding Refns Crime-Thriller „Pusher“ (1996) gleich ein spektakuläres Debüt hingelegt. Er hat Igor Strawinsky und Michael Kohlhaas gespielt, 2016 auch den Marvel-Superschurken Kaecilius und vergangenes Jahr erst Harrison Fords Nazi-Gegenspieler im vierten Teil der „Indiana Jones“-Filmreihe.

Nun ist Mikkelsen mit „King’s Land“ (Originaltitel: „Bastarden“, Regie: Nikolaj Arcel) im Kino wieder zu bewundern: mit einem mitreißenden historischen Drama, das ins 18. Jahrhundert zurückführt, in einen dänischen Western, in dem ein Soldat das Brachland, das ihm das Königshaus für seine Kriegsdienste zugewiesen hat, fruchtbar zu machen versucht. Als seine Bemühungen erste Erfolge zeigen, kriegt er es mit einem dekadenten Landbesitzer zu tun. Die Konflikte eskalieren. Für seine Darstellung des rigorosen, für sein Recht kämpfenden Individualisten wurde Mikkelsen, 58, im vergangenen Dezember mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet.

In „King’s Land“ spielen Sie einen hartnäckigen Mann, der allen Widrigkeiten zum Trotz an seiner Utopie festhält. Er erinnert an den tragischen Helden in Heinrich von Kleists „Michael Kohlhaas“, den Sie 2013 ebenfalls dargestellt haben.
Mikkelsen
Stimmt. Kleist hat mit seiner Novelle allerdings ein Stück Philosophie verfasst: die Geschichte eines Mannes, der bis kurz vor Schluss nicht begreift, was er anrichtet. In „King’s Land“ entwickelt der Held dafür ein Bewusstsein, er fragt sich irgendwann, was zum Teufel er da eigentlich tut. Aber klar: Beide nehmen das Risiko in Kauf, ihre Welt niederzubrennen, um zu kriegen, was sie wollen.
Sture, wild entschlossene Kämpfer spielen Sie oft.
Mikkelsen
Ludvig ist eben ein Soldat, ein Mann seiner Zeit. Er ist geblendet von seiner Mission: Er hasst den Adel, aber er will und muss Teil davon werden.
Er verwandelt sich vom einsamen Streiter und Eigenbrötler kaum merklich in eine etwas humanistischere Figur.
Mikkelsen
Ja, eine plötzliche Wendung wäre unglaubwürdig. Wir mussten uns sein Buster-Keaton-Lächeln in kleinen Schritten erarbeiten. Es war wichtig, dies hinauszuzögern, es durfte aber auch nicht zu spät passieren, wir konnten nicht zu lange an seiner Panzerung festhalten. Hätten wir Ludvig einfach in jeder Szene ein bisschen menschlicher gemacht, wäre daraus keine nennenswerte Story entstanden. Wir brauchten diese irre Sturheit – und mussten warten. Und weiter warten.
Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.