Literatur

Fluch des Festnetzes: „Eine Leidenschaft“ von Annie Ernaux

Einst als Softporno vermarktet, liegt der Roman „Eine Leidenschaft“ der französischen Nobelpreisträgerin Annie Ernaux nun neu übersetzt vor. Er erzählt von der Affäre einer Frau zu einem verheirateten Mann – und ist leider kein Glanzstück.

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Man möge, sagt man, ein Buch doch nicht nach dessen Cover beurteilen. Romaneinbände führen bisweilen tatsächlich in die Irre, davon zeugen die deutschen Ausgaben eines schmalen Bandes, den die französische Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux 1991 unter dem eher unspektakulären Titel „Passion simple“ veröffentlicht hat. Aus „schlicht“ oder „einfach“ wurde im Deutschen, recht reißerisch, „Eine vollkommene Leidenschaft“ mit dem Softporno-Untertitel „Die Geschichte einer erotischen Faszination“. Das Cover des Goldmann-Verlags von 2004 zeigt eine junge Frau in Spitzenreizwäsche, die kokett die Beine überkreuzt. Noch schlimmer ist die Fischer-Taschenbuchausgabe von 1992, die wie ein Groschenroman aussieht: Die Welt steht in Flammen, aber ein nackter, muskulöser Männerrücken dient als sicherer Hafen für zarte Frauenarme, die sich um ihn klammern. Mehr Seifenoper geht nicht. Ernaux wurde einst als Erotica-Kitschautorin vermarktet.

Oft braucht es Jahrzehnte, um falsche Bilder zurechtzurücken. Davon können zahlreiche Künstlerinnen ein Lied singen, deren komplexe literarische Werke in die Frauenabteilung der Buchhandlungen abgeschoben wurden, nur weil sie persönliche Themen behandeln. Während die Schilderungen der Potenzprobleme des US-Autors Philip Roth als Weltliteratur gefeiert wurden, mussten Autorinnen sich für ihren Wunsch rechtfertigen, über Körpererfahrungen wie Geburt oder ihre Wahrnehmung von Sexualität zu schreiben. Nicht selten landeten sie, wie Ernaux, in der Schmuddelecke, wurden in der Kritik marginalisiert oder skandalisiert. Oft auch beides zugleich.

Karin   Cerny

Karin Cerny