Fotografin Elfie Semotan: "Ich bin doch nicht gebrechlich“
Eine Altbauwohnung im 9. Wiener Bezirk, wie gemacht für eine Homestory in einem Lifestyle-Magazin. Die hellen Räume erzählen von einem aufregenden Leben: an den Wänden Gemälde und Zeichnungen von Freunden und Weggefährten sowie eigene Fotografien. Die Vitrinen sind voll mit Geschirr und Kleinkram, zusammengetragen auf diversen Flohmärkten dieser Welt. Hinter einer Hängepflanze lugt eine präparierte Kobra hervor. Auf dem langen Tisch in der Mitte des Zimmers stapeln sich Fotos und Materialien für Ausstellungen, die in Planung sind. Kürzlich ist die Autobiografie der Fotografin Elfie Semotan mit dem Titel "Eine andere Art von Schönheit“ im Brandstätter Verlag erschienen. Bekannt wurde Semotan mit ihren Modeaufnahmen für Helmut Lang, stilbewusst ist sie nach wie vor: Sie trägt eine dunkelgrüne Bundfaltenhose des in Wien lebenden Designers Petar Petrov, eine schwarze Wollweste der Belgierin Ann Demeulemeester, darunter ein weißes Herrenunterhemd. Das Label der dunkelgrünen Lederschlüpfer im Collegestil fällt ihr gerade nicht ein.
profil: Gehen Sie gerne shoppen? Elfie Semotan: Ich bin eine schlechte Einkäuferin. In großen Warenhäusern kann ich mich schwer konzentrieren. Mich überfordert das Angebot. Zuerst möchte ich alles haben, am Ende kaufe ich meist gar nichts. Zum Glück kannte ich schon früh Designer wie Helmut Lang, bei denen ich meine Kleidung direkt beziehen konnte.
profil: Sie haben also keine Fehlkäufe im Kleiderschrank? Semotan: Eigentlich nicht. Ich sortiere auch nie aus. Was natürlich fatal ist. Ich besitze Kleidungsstücke, die 40 Jahre alt sind. Mittlerweile bin ich froh, wenn die Motten ein Loch fressen, das einfach zu groß ist, um gestopft zu werden.
profil: Sie legen Wert auf Qualität? Semotan: Manche meiner Schuhe habe ich schon ein halbes Jahrhundert, und sie sind noch immer perfekt. Warum sollte ich die wegwerfen? Natürlich ist das auch ein politisches Thema: Unser Konsum an Mode ist ins Unermessliche gestiegen. Wir produzieren Müll ohne Ende. Unsere Ressourcen gehen zu Ende. Und die Politik tut nichts. Mir ist das total unverständlich.
profil: Die Leute wollen immer mehr für immer weniger Geld. Semotan: Das bedeutet natürlich die totale globale Ausbeutung. Dann liest man, die Arbeiterinnen in indischen Sweatshops hätten eh Kindergärten. In Wahrheit müssen sie in einer feuchten Kammer arbeiten, kriegen schlechtes Essen und werden verprügelt, wenn sie sich beschweren. Wir neigen dazu, die Situation zu beschönigen. Ich liebe Mode, aber ich finde schon, man sollte sich informieren und sich dafür einsetzen, dass die Arbeitsbedingungen verbessert werden - und sei es nur durch Unterschriften, die den Regierungen und Unternehmen Druck machen.
Es gibt viele junge Designer, die ich sehr schätze - aber noch immer zu wenige Menschen, die sich modisch etwas trauen.
profil: Wie steht es um das Stilbewusstsein der Österreicher? Semotan: Die Wiener sind nicht gerade dafür berühmt, sich besonders kreativ anzuziehen. Man bleibt lieber unsichtbar. Nur nicht auffallen, lautet das Motto. In New York beobachte ich oft das Gegenteil, man möchte um jeden Preis auffallen, zieht sich möglichst schrill an. Man sieht die absonderlichsten Menschen mit wilden Frisuren und grellem Make-up. Ich finde das belebend. Ich erinnere mich noch an Struppi, einen Wiener Dandy, der jung starb. Er lief im Sommer auf der Kärntner Straße als Tarzan herum. Als er mich in meinem Haus im Burgenland besuchte, war er als Schulbub verkleidet, mit rosigen Wangen und einem Schulranzen. Die Bauern haben ihn trotzdem auf ihrem Traktor mitgenommen. Solche mutigen Leute vermisse ich heute.
profil: Ist Wien nicht moderner geworden? Semotan: Natürlich, die Stadt hat große Fortschritte gemacht. Es gibt viele junge Designer, die ich sehr schätze - aber noch immer zu wenige Menschen, die sich modisch etwas trauen.
profil: Als Sie jung waren, gab es weder Internet noch heimische Modezeitschriften. Musste man selbst kreativer sein, um einen Look zu entwickeln? Semotan: Es gab fünf Haute-Couture-Salons, das waren erweiterte Schneiderwerkstätten. Fred Adlmüller galt als der Wiener Valentino. Aber von dieser Luxuswelt haben die normalen Leute gar nichts mitbekommen. Die Modemacherin Gertrud Höchsmann, bei der ich kurz arbeitete, regte sich immer auf, dass sie alle Kleider breiter machen musste, damit die Wienerinnen hineinpassten. Es war deprimierend. Mir war nach dem Modestudium schnell klar: Was ich hier entwerfen müsste, dass würde ich nicht einmal mit 60 anziehen wollen. Heute bin ich wesentlich älter, und ich weiß, ich habe recht gehabt.
profil: Sie gingen mit 20 nach Paris. Wollten Sie als Model Karriere machen oder hat sich das zufällig ergeben? Semotan: Ich hatte kein Geld, musste aber überleben. Ich dachte, ich probiere es einfach mal aus. Damals war alles einfacher, nicht so überprofessionell wie heute. Es gab in Paris nur drei Agenturen, Visagisten waren die Ausnahmen. Die Mädchen schminkten sich selbst. Auch das Styling war sehr improvisiert, man brachte oft seine eigenen Schuhe und Taschen mit.
profil: Haben Sie als junges Model Sexismus erlebt? Semotan: Das war noch nicht so schlimm. Wir wurden nicht als Stück Fleisch behandelt. Natürlich versuchten manche Fotografen, die Mädchen abzuschleppen. Aber das war leicht abzuwehren.
Am Anfang war ich nicht bewusst feministisch, sondern einfach nur freiheitsliebend.
profil: Sie begannen früh, nebenher als Fotografin zu arbeiten. War das nicht eine Männerdomäne? Semotan: Es gab ganz wenige Frauen in dem Bereich. Erstaunlicherweise wurde ich aber gleich akzeptiert. Wahrscheinlich, weil ich bereits so viele Leute in der Branche kannte. Damals verliebte ich mich in den kanadischen Fotografen John Cook, der unbedingt Filme machen wollte. Er dachte, das sei in Wien leichter, und auch deshalb übersiedelten wir. Als ich in meinem Studio in Wien arbeitete, zeigte mich eine Fotografin an. Sie dachte wohl, sie habe ein Monopol. So klein war die Welt damals.
profil: In den 1960er-Jahren wurde Feminismus ein zentrales Thema. Hat Sie das beschäftigt? Semotan: Das kam erst später. Am Anfang war ich nicht bewusst feministisch, sondern einfach nur freiheitsliebend. Ich führte ein privilegiertes Leben, musste früh unabhängig sein, verdiente immer mein eigenes Geld. Man lernt erst ernsthaft über die Rolle der Frau in der Gesellschaft, wenn man selbst ein Kind hat. Damals fragte eine Zeitschrift, ob sie mich mit meinen beiden Söhne fotografieren dürfe. Es gehe um starke Frauen und darum, wie sich Kinder und Karriere vereinen ließen. Ich fand die Idee interessant, wollte aber meine Söhne nicht in die Öffentlichkeit zerren. Der Artikel zeigte dann nur Frauen, die gut situiert waren. Das ist doch absurd! Es ist keine Kunst, als wohlhabende Frau Kinder großzuziehen. Wichtig ist doch zu wissen, wie es Frauen ohne Geld machen. Alleinerziehende Mütter haben es noch immer enorm schwer. Wenn ich heute schwanger wäre, würde ich mit vier anderen Frauen, die auch Kinder haben, in eine große Wohngemeinschaft ziehen. Dann hätte jede einen Tag in der Woche, an dem sie auf fünf Kinder aufpassen müsste. Aber die restlichen Tage könnte sie arbeiten.
profil: Sie waren mit den Künstlern Kurt Kocherscheidt und Martin Kippenberger verheiratet. Gab es keine Konflikte, wer in der Karriere zurücksteckt? Semotan: Ich hatte viel Energie. Mir ist gar nicht aufgefallen, was ich alles machte. Irgendwann wurde mir das natürlich schon bewusst. Es waren oft Kleinigkeiten: Ich kam nach einer Woche Arbeit zurück in unser Haus ins Burgenland, und da stand noch immer das alte Geschirr herum.
profil: Wie haben Sie reagiert? Semotan: Ich habe getobt. Und dann habe ich es abgewaschen. Ich ließ den Männern wahrscheinlich oft den Vortritt, weil ich vieles gar nicht als Belastung wahrnahm. Später wurde ich vorsichtiger, ich wollte mich nicht absichtlich in den Hintergrund stellen.
profil: Haben Sie für Mann und Kinder die Mahlzeiten vorbereitet? Semotan: Zum Glück hat mein erster Mann gerne gekocht. Als mir meine Mutter Grundkenntnisse beibringen wollte, verweigerte ich mich. Essen erschien mir als Zeitverschwendung. Ich trank Tee, das reichte mir. Inzwischen hat sich das sehr verändert. Ich koche gern, aber jetzt ist es auch kein Zwang mehr.
profil: Sie haben oft für den Designer Helmut Lang fotografiert. Wie lernten Sie ihn kennen? Semotan: Sein Büro rief an, er wolle mit mir arbeiten. Wir haben uns sofort gut verstanden, obwohl er sehr scheu war. Meine Stärke ist, dass ich jedem seine Freiheit lasse. John Cook hat gestottert, das war für mich gar kein Problem. Ich habe das einfach zur Kenntnis genommen mit allem, was es bedeutete.
profil: Ungeduldig werden Sie nie? Semotan: Ich bin eigentlich sehr ungeduldig, versuche aber trotzdem, großzügig und geduldig zu sein. Das macht das Leben leichter.
profil: Sie haben viele Porträts von Prominenten gemacht. Wer hat Sie am meisten überrascht? Semotan: Extrem positiv überrascht war ich von dem Schauspieler Benicio del Toro. Er kam ohne Manager und war sehr unkompliziert. Er sah auf seine spezielle Art immer gut aus, und es schien ihm völlig egal zu sein, wie er wirkte - als trüge er die Gewissheit in sich, dass ganz andere Dinge als Schönheit zählten.
profil: Und Supermodel Naomi Campbell? Semotan: Von ihr habe ich nichts erwartet, ich war aber neugierig, wollte sie sehen. Sie ist eine wunderschöne Frau, auch ungeschminkt, perfekt gebaut, Barbiepuppen-Körper, muskulös und trotzdem ganz schmal. Aber man kriegt von ihr keine Stimmung, keine Emotion. Sie gibt nichts her, oder sie hat es gar nicht. Vielleicht kommt auch keiner auf die Idee, etwas von ihr zu verlangen.
Mir ist wichtig, dass die Fotografierten gut aussehen. Ich lasse ihnen ihre Würde.
profil: Was macht ein gutes Model aus? Semotan: Ich halte klassische Schönheit für überschätzt. Als mich das Wiener Pelzhaus Liska für eine Kampagne engagierte, wollte ich unbedingt mit dem jungen heimischen Model Stella Lucia arbeiten. Alle fanden sie hässlich. Dabei ist sie großartig, sie entspricht nur keiner Schablone. Ich liebe ihr wildes Gesicht. Ich machte also mit meinem Handy ein Foto, da sah man besser, was ihre Stärke ist: Sie hat eine unglaubliche Präsenz. Und das ist schon sehr viel in diesem Geschäft.
profil: Durch das Handy kann mittlerweile jeder Bilder machen. Woran erkennt man gute Fotografie? Semotan: Es geht nicht nur um die technische Perfektion, die ein Foto haben sollte, sondern auch darum, etwas Wesentliches zu erfassen. Technik ist mittlerweile gar nicht mehr so wichtig, man muss als Fotograf eine Vorstellung von der Welt und von den Menschen haben, wie man sie gerne zeigen möchte. Mir ist wichtig, dass die Fotografierten gut aussehen. Ich lasse ihnen ihre Würde. Gerade in der Werbung, wo noch immer mit den abgegriffensten Klischees gearbeitet wird, ist mir das ein Anliegen.
profil: Sie sorgten mit ihren Plakaten für Palmers, die spärlich bekleidete Frauen zeigten, für viel Aufregung. War das geplant? Semotan: Nein, ich war total überrascht. Damals war es nicht üblich, dass Frauen in der Unterwäsche dastehen und selbstbewusst in die Kamera blicken. Ich glaube, diese Haltung hat mindestens genauso provoziert wie das Sujet.
profil: War Sexualität noch ein Tabu? Semotan: Sicherlich, diese Geradlinigkeit war niemand gewohnt. Ich wollte immer selbstbewusste Frauen zeigen. Deswegen finde ich Werbung oft schwierig: Frauen, die für eine Damenbinden-Werbung fröhlich über grüne Wiesen laufen. Noch blöder geht es doch gar nicht!
profil: Sie haben auch heimische Politiker fotografiert. Waren die schwierig vor der Kamera? Semotan: Ganz unterschiedlich. Ex-Bundeskanzler Franz Vranitzky habe ich am liebsten fotografiert, obwohl er es nicht gerne mochte. Er dachte immer, das gehe zwischen Tür und Angel. Man musste ihn überzeugen, dass er sich Zeit nehmen sollte. Aber er hatte einfach ein gutes Gesicht.
profil: Sie haben auch Wolfgang Schüssel 1999 mit dem ÖVP-Slogan "Der bessere Weg“ für den Wahlkampf abgelichtet. Semotan: Schüssel war extrem professionell. Er wusste genau, worum es geht, wie man Wirkung erzielen kann. Im Nachhinein ist es natürlich komisch, diese Regierung indirekt promotet zu haben. Keine sonderlich erfreuliche Erinnerung.
profil: Sie feiern demnächst Ihren 75. Geburtstag. Fällt Ihnen das Älterwerden schwer? Semotan: Ich mache es ja schon eine Zeit lang und habe mich daran gewöhnt. Aber seltsam ist es schon, ich fühle mich nicht so alt, wie ich auf dem Papier bin. Am schlimmsten ist es, wenn mich Leute beschützen wollen. Ich bin doch nicht gebrechlich.
profil: Wie halten Sie sich fit? Semotan: Wenn im Sommer die Bäder offen sind, gehe ich jeden Tag schwimmen, aber nicht endlos, 20 Minuten. Und ich mache Pilates aus einem Buch, das ich zufällig entdeckte, als ich für ein Foto Körperposen recherchierte.
profil: Wird es ein großes Fest zum Geburtstag im Juli geben? Semotan: Ich mache jedes Jahr eine Party! Ich hatte schon zum 70er ein großes Fest. Eigentlich wollte ich die Organisation heuer auf meinen älteren Sohn schieben, der ist nämlich an meinem Geburtstag geboren.
profil: Sie haben eine Wohnung in New York, wo Schönheitschirurgie und Botox gängig sind. Kamen Sie nie in Versuchung? Semotan: Ich habe so viele Frauen gesehen, die das ganze Gesicht aufgespritzt hatten. Wenn ich das Ergebnis schön finden würde, hätte ich vielleicht überlegt. Aber die meisten sind furchtbar verschandelt.
profil: Haben es Frauen nicht ohnehin schwieriger mit dem Altern: Mick Jagger kann wie eine Mumie aussehen, aber bei Madonna fragt man, ob sie nicht zu viele Muskeln hat, um in Würde zu altern? Semotan: Frauen werden anders gesehen als Männer: Sie sollen gefallen. In dieser Liga wollte ich nie wirklich mitspielen, ich möchte lieber auf andere Art beeindrucken.
Elfie Semotan, 74, ist Fotografin. Sie begann ihre Karriere als Fotomodel in Paris, Ende der 1960er-Jahre wechselte sie hinter die Kamera. Hierzulande wurde sie durch die langjährige Zusammenarbeit mit Helmut Lang bekannt sowie mit ihren provokanten Kampagnen für Palmers und Römerquelle. Semotan war mit den Künstlern Kurt Kocherscheidt und Martin Kippenberger verheiratet. Sie hat zwei Söhne und lebt in New York, Wien und Jennersdorf im Burgenland.
Die Buchpräsentation von "Eine andere Art von Schönheit“ findet am 30. März im Wien Museum statt.
Elfie Semotan: Eine andere Art von Schönheit. Brandstätter. 240 S., EUR 35,-