FPÖ gegen „Tagespresse“: Der Schnitzelstreit vor Gericht
Als Kurzzeitpraktikant der „Tagespresse“ lässt sich einiges lernen. 1.) Witzemachen ist schön, macht aber viel Arbeit. 2.) Das Schreiben von Satiren geht nicht zwingend unter wieherndem Gelächter vor sich. 3.) Nicht jede Satire ist zum Lachen. 4.) Obacht bei Jubiläums-präsenten! Doch der Reihe nach.
Ein Büro im ersten Stock eines Gebäudes mit breitem Stiegenaufgang, Wien-Margareten, an einem Freitagvormittag. Wüsste man es nicht besser, dass sich hier die Redaktion des Satiremagazins „Die Tagespresse“ befindet, könnte man ein fancy Start-up vermuten: Tischtennistisch, zimmerhohe Fenster, LED-Ringleuchte, Dartscheibe, ein Schreibtischbein mit Kartonkuverts unterlegt. Quentin Tarantinos Roman „Es war einmal in Hollywood“ auf einer Holzablage, daneben Lutschbonbons, die von sich behaupten, „Schornsteinfeger der Kehle“ zu sein. Scharfzüngig und Fantasy-Story, diese Mischung passt ganz gut zur „Tagespresse“: Seit zehn Jahren publiziert das Onlinemagazin Artikel, die ausnahmslos frei erfunden sind, aber das oft strapazierte Körnchen Wahrheit enthalten.
In der „Tagespresse“-Redaktion sitzen Fritz Jergitsch und Philipp Kernstock um 9.30 Uhr bei der Arbeit. Jergitsch, 32, ist der Gründer und Chefredakteur, Kernstock, 25, seit Anfang 2022 Redakteur. Gerade wird die aktuelle Ausgabe geplant. Redaktionssitzungen gehen, abgesehen vom Tastaturklappern, fast lautlos vor sich, ohne viele Worte, Gelächter und Gekicher. Wer Satire macht, muss sich nicht vor Lachen ausschütten. „In meinem Alltag beschäftige ich mich nie mit Satire“, sagt Jergitsch. „Danach werde ich nur in Interviews befragt. Wenn ich nach Hause gehe, beschäftige ich mich nicht mehr mit Witzen und Satire. Das ist mein Job. Um 17 Uhr ist Schluss.“ Kernstock grinst hinter seinem Computer: „Der trockenste Mensch überhaupt.“
Niere gegen Filet
„Niere gegen Filet: Billa startet Tauschprogramm an Fleischtheke“, liest Jergitsch laut vor. Der erste Headline-Vorschlag für diesen Freitag. Inzwischen herrscht Hochbetrieb im virtuellen Raum. Zehn ständige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter liefern via Google Docs und Facebook-Gruppe Ideen und Texte; neben Jergitsch gehören Jürgen Marschal und Sebastian Huber zum Dreiergespann der Chefredaktion. Marschal, der auch Gags für die ORF-Show „Willkommen Österreich“ sowie das „Neo Magazin Royale“ liefert, und Huber, der nach Praktika bei „Falter“ und profil in satirische Gefilde abgebogen ist, sind bei „Tagespresse“-Redaktionssitzungen meist nur virtuell anwesend. Die Niere-Filet-Schlagzeile als Hinweis auf die galoppierende Teuerung wird verworfen. Kurz wird über eine Fortsetzung der Endlossaga vom Goldklavier beratschlagt, die schon selbst ein schwarzes Märchen des Nationalratspräsidenten ist. „Ob wir eine Headline bringen oder nicht – darüber entscheiden wir nach Bauchgefühl“, sagt Jergitsch. Zum Klavier als Thema sagt der Bauch nein. Also zurück zur Inflation? Am Ende wird um 11.10 Uhr die Überschrift „Baba Wanga warnt: Gurken kosten bald 300 Euro“ ausgerollt: Facebook, Instagram, Pushnachricht, Infoscreen-Werbeflächen in Wien, Graz, Innsbruck und Salzburg. Es gibt nicht wenige Headlines mit Hunderttausenden Leserinnen und Lesern.
Seit 2018 finanziert sich die „Tagespresse“ allein durch Abos mit über 10.000 Leserinnen und Lesern. „Wir fabrizieren relevanten Humor“, sagt Jergitsch. „Eine Form des Witzes, die Aussagen über gesellschaftliche Zustände mitschwingen lässt. Das ist unser Platz, den wir in der Medienlandschaft haben, unsere Nische.“ Das Schielen auf Klickzahlen habe man aufgegeben. Wichtig sei die Streuung, an deren Ende neue Abos stünden.
Wer Baba Wanga nicht kennt: Sie ist eine blinde bulgarische Wahrsagerin, die 1996 mit 85 Jahren gestorben ist, laut dem Krawall-Portal „Oe24“ „Nostradamus vom Balkan“ genannt wird und aus dem Grab heraus putzmunter Prophezeiungen von sich gibt. „Oe24“ berichtet darüber gern exklusiv. Witz sollte Widerhaken haben. „Ein Witz ist eine so unerwartete wie überraschende Verbindung, die am Ende schlüssig wird“, sagt Jergitsch nach getaner Arbeit. „Nehmen wir als Beispiel den einfachen Witz: ,Treffen sich zwei Jäger im Wald. Beide sind tot.‘ Das Set-up lässt im Kopf ein Bild von zwei Jägern entstehen, die einander zuwinken. Durch die Pointe bekommt der erste Satz schließlich eine ganz andere Bedeutung. Einerseits wird man überrascht, andererseits ist der Witz mehr als schlüssig, weil er total Sinn ergibt. Bei jeder unserer eigenen Headlines findet sich das wieder, diese Verbindung von zwei Ebenen, in die auf unerwartete Weise etwas hineininterpretiert wird.“
Viele „Tagespresse“-Texte gewinnen dadurch, dass sie mit dem Ernst allen Spiels entlang der sogenannten Wirklichkeit erzählen, über den Umweg des Satirischen das Blickfeld aufs Politische vergrößern. Debatten, die im Gefühligen und Emotionalen wabern, klären sich in Text-Montage-Miniaturmalereien. Selbsterhebung durch Herabwürdigung findet nie statt. Reine Schlaumeierei ist selten. Man kann an diesem Freitag durchaus darüber streiten, inwiefern der Baba-Wanga-Witz da hineinpasst. Nicht jede „Tagespresse“-Satire ist am Ende zum Lachen. Sehr oft schon, aber nicht immer.
Schnitzelschlacht
Später an diesem Freitag, 19.30 Uhr. Im Wiener Rabenhof wird das Jubiläumsbuch „Im Dienste der Wahrheit“ präsentiert. Im Publikum die treue Fangemeinde, auf der Bühne das Trio Jergitsch, Marschal und Huber. Gemessen an den scharfzüngigen Anspielungen und bösen Pointen ihrer Texte, wirken sie auf der Bühne wie brave Buben. Jergitsch erzählt zum gefühlt hundertsten Mal die Geschichte der „Tagespresse“-Gründung: Wie er gefesselt war von der Meldung im Facebook-Newsfeed, dass Felix Baumgartners Stratosphärensprung wegen Übertretung der Absprunglinie um sieben Millimeter für ungültig erklärt worden sei – später stellte sich der Bericht als Meldung einer deutschen Satirezeitung heraus. Jergitsch war jedenfalls fasziniert. Am 5. Mai 2013 registrierte er die Domäne dietagespresse.com und klinkte sich via Elternhaus in die weite Witze-Welt ein. Was im Silicon Valley die Garage ist, sind in Österreich die Jugendzimmer.
Im Wiener Rabenhof folgt ein Best-of – in famoser Unerschütterlichkeit vorgelesen von Ö1-Nachrichtensprecher Paul Kraker. Die Geschichte über den Brief an Adolf Hitler mit der positiven Aufnahmebestätigung für die Wiener Akademie der bildenden Künste (2014 wurden die Klicks noch gezählt: 1,2 Millionen). Der Fall der Wiener U-Bahnstrecke U5 mit einer Fahrzeit von sieben Stunden und 42 Minuten. Die Episode, wie sich ein illustrer Whistleblower ausgerechnet Österreich als sicheres Asylland wählt: „Snowden in Wien gelandet: Vertraut in Trägheit der Justiz“. Der Fake-Bericht schlug gehörige Wellen, Österreichs Außenminister dementierte.
Was einen zum dritten und letzten Abschnitt des Kurzzeitpraktikums führt. Diesen Montag erhielt Jergitsch Post vom Gericht, zum ersten Mal in der „Tagespresse“-Geschichte. Die FPÖ leitet rechtliche Schritte gegen „Die Tagespresse“ ein. Grund sind die Mitte April versandten FPÖ-Fake-Briefe an 500 Gastronomen in Niederösterreich im Zusammenhang mit der von Schwarz-Blau angekündigten Austro-Wirtshausprämie, in denen die „Tagespresse“-Macher die Wirtsleute dazu aufriefen, statt „Pinocchio-Pasta oder Arielle-Fischstäbchen“ besser „Andreas-Hofer-Schnitzel oder die Gabalier-Fleischlaberl“ auf der Speisekarte anzubieten. Bei der Klage geht es um 47.500 Euro, Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, bestätigte die Landespartei am Montag auf Anfrage. Die Freiheitlichen hatten mitgeteilt, dass durch die Briefaktion die geplante Wirtshausprämie verunglimpft werde. „Die FPÖ hatte ja bereits rechtliche Schritte angekündigt“, kommentiert Jergitsch: „Die ließen dann aber auf sich warten – dachte ich. Der gelbe Zettel für den RSb-Brief lag nämlich zwölf Tage lang im Briefkasten. Vielleicht sollte ich öfter nachschauen.“ Eine Klage zum Jubiläum als Grund zum Feiern? „Ich kann damit gut leben“, sagt Jergitsch: „Besonders schockiert sind wir über den Vorwurf: ,Es besteht Wiederholungsgefahr.‘ Erstens: Nein, denn das Einmaleins der Satire besagt: Einen guten Witz macht man kein zweites Mal. Und zweitens: Wir sind davon ausgegangen, dass gerade die FPÖ bei Wiederbetätigungen Kulanz walten lässt.“ Am 12. April zeigte sich FPÖ-Niederösterreich-Landesparteichef und Landeshauptmannstellvertreter Udo Landbauer auf Facebook jedenfalls noch bei bester Laune. „Mahlzeit! Jedes Schnitzel hat zwei Seiten“, postete er damals in Richtung „Tagespresse“ bei Schnitzel und Salat. Nun also die Klage. „Offenbar lag das Schnitzel schwer im Magen“, sagt Jergitsch.