Oberösterreichs Landeshymne
Brauchtum

Röhrender Hirsch, jodelnde Sennerin: Österreichs Hymnen auf dem Prüfstand

Mit Ausnahme Wiens hat jedes Bundesland Österreichs seine eigene Landeshymne. Ein neues Buch stellt den Lobgesängen von Vorarlberg bis Burgenland ein desaströses Zeugnis aus.

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Zwietracht sät gelegentlich Eintracht. Spaniens Regionen konnten sich nie auf einen verbindlichen Wortlaut für eine Nationalhymne einigen; bis heute steht die Fußballnationalmannschaft beim Marcha Real, dem königlichen Marsch, stumm auf dem Feld. „Was die Menschen des Absingens dümmlicher oder martialischer, in den meisten Fällen austauschbarer und un-zeitgemäßer Texte enthebt und den Bürgerinnen und Bürgern aller anderer Staaten zu wünschen wäre“, heißt es im Buch „O du mein Österreich“, einer weitverzweigten Reise durch die heimische Hymnenlandschaft – von dem 1947 zur Nationalhymne erhobenen „Land der Berge“ bis zu den einzelnen Bundesländerhymnen. Es geht in dem Buch darum, an scheinbar in Stein gemeißelten Lobliedern zu rütteln, längst notwendiges Nachdenken über den zeitgemäßen Umgang mit dem pathetischen Singsang anzustoßen.

O du mein Österreich!

Drei Autoren, deren Arbeit immer wieder um das Erinnern und das Nicht-Erinnern-Wollen kreist, haben sich dafür zusammengetan. Ludwig Laher, 68, lebt im oberösterreichischen Innviertel; zuletzt erschien sein Band „Schauplatzwunden“ über den NS-Lagerkomplex Sankt Pantaleon-Weyer. Der Salzburger Schriftsteller Christoph Janacs, 69, protokollierte in „Die Stille nach dem Doppelpunkt“ unlängst „nichtgeführte Gespräche“; der Wiener Gerhard Ruiss schließlich ist Autor, Sänger und Geschäftsführer der IG Autorinnen und Autoren. Ruiss, 73, ist kein Verächter hochherzigen Gesangs, im Gegenteil. Soeben hat er die CD „Iagnd waunn amoi“ mit zwölf Dialektsongs veröffentlicht.

„O du mein Österreich“ ist ein Buch, das ohne Vibrato der Empörung daherkommt – und gerade deshalb Wucht und Wirkkraft entfaltet. Wer nach der Lektüre nicht den Wunsch verspürt, zumindest den einen oder anderen Landeslobgesang nachhaltig infrage zu stellen, dem ist nicht mehr zu helfen. Es ist nicht nur der Staub vieler Dezennien, der über diesen Melodien liegt, jene Art ranziger Gesinnungshuberei, die im Hier und Heute nach dem klingt, was sie in Wahrheit immer schon war: verschroben, beschämend, kurzsichtig, klischeebehaftet. „Der unerträgliche Quargelsturz, unter dem diese Hymnen stehen, gehört endlich gelüftet“, sagt Gerhard Ruiss: „Hymnen behaupten gern ohne Einschränkung: So war es. So wird es immer sein. So funktioniert vielleicht schamloser Nationalismus – aber sicher nicht das Leben, mit Gewissheit nicht die Demokratie.“ Die Lebensgegenwart des Jahres 2024 ist in diesen Gesängen so wenig abgebildet, wie E-Mail und Internet Homers antiker „Ilias“ fremd waren.

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.