Szenenbild aus Apichatpong Weerasethakuls neuem Meisterwerk

Die Freiheit des Schlafenden: "Cemetery of Splendour"

Der thailändische Ausnahmeregisseur Apichatpong Weerasethakul arbeitet in „Cemetery of Splendour“ auf gewohnt hohem Niveau.

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Die Seelen der Schlafenden ziehen, befreit von der Logik der „Realität“, durch die blutige Geschichte ihres Landes. Der aus Bangkok stammende Filmemacher Apichatpong Weerasethakul, 45 („Tropical Malady“), gehört zu den bedeutenden Autoren des Weltkinos; er liebt es, sich mit solchen Geschichten zu befassen. Mit seinem jüngsten Film, „Cemetery of Splendour“, bleibt er – fünf Jahre nach seiner Goldenen Palme in Cannes für „Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives“ – bei seinen alten Obsessionen und formalen Signaturen. Eine geheimnisvolle Schlafkrankheit hat viele der Patienten eines am Rande des thailändischen Dschungels gelegenen Militärspitals, eines ehemaligen Schulgebäudes, lahmgelegt, ins Koma befördert. Eine freiwillige Helferin (Jenjira Pongpas Widner, bekannt bereits aus Apichatpongs „Blissfully Yours“, 2002; aus „Syndromes and a Century“, 2006, und aus „Uncle Boonmee“, 2010) beginnt sich für einen der Soldaten zu interessieren und bedient sich der übersinnlichen Fähigkeiten einer jungen Frau, die als Medium mit den Schlafenden kommunizieren kann.

Natur- und Psychostudien mit politischem Subtext

Die Erzählung in „Cementery of Splendour“ geht vom Genius loci aus, von den mythischen Naturschauplätzen, die imaginäre Orte bergen: einen irrealen Palast, einen royalen Friedhof. Dort entwickeln sich sanft verschlungene Natur- und Psychostudien mit durchaus politischem Subtext: Er betrachte seinen Film auch als Reaktion auf die Ereignisse in seiner Heimat, jener „fiebrigen Nation“, hat Apichatpong gesagt und die Militärregierung gemeint, die gegenwärtig in Thailand wieder am Zug ist.

Ein leises Déjà-vu-Erlebnis schleicht sich da und dort allerdings ein: Die Geister, die der Filmemacher rief (und in seinen Werken seit je in vollem Ernst entfesselt), wird er nun, wie’ s scheint, nicht mehr los. Magie und Träume sind die Basis seiner Arbeit: Das Spirituelle seiner Geschichten steht in direktem Zusammenhang mit den atmosphärischen O-Tönen und den sinnlichen Texturen seiner Inszenierungen. Eine spezielle Farblichttherapie taucht die Krankenzonen in unwirkliche Atmosphären.

Cemetery of Splendour“ spielt im Nordosten Thailands, in Khon Kaen, der Heimatstadt Apichatpongs: Autobiografisch ist auch das Setting des Films – der Filmemacher ist das Kind von Ärzten, er wuchs auf einem Spitalsgelände auf. Der Zauber der Natur und die animistische, letztlich hypnotische Qualität des Lebens in und mit ihr faszinieren ihn. Der mexikanische Kameramann Diego García, ein Neuling im Werk dieses Filmemachers, fügt sich bestens in dessen ästhetisches System ein. Traum und Wachzustand verfließen, sanft gehen die semidokumentarischen Bilder in eine sehr spezielle, zarte Metaphysik über, die sich am Ende, überraschend optimistisch, in Musik und Tanz auflöst. In Apichatpong Weerasethakuls Welt spielen Traumzustände, Sehprozesse, Energietransformationen und Phantombegegnungen ineinander. Die Geister des Kinos gehen um.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.